Mittwoch, 27. Juni 2012

Aufstandsbekämpfung in urbanen Zonen

Nach einer Meldung von "german-foreign-policy" fungiert Deutschland als Führungsmacht im Rahmen der NATO-Strategie zur Aufstandsbekämpfung in den urbanen Zentren der sogenannten Dritten Welt. Dies gehe aus NATO-Dokumenten hervor. Integraler Bestandteil der deutschen Führungsrolle sei die Errichtung einer Manöver-Modellstadt auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Altmark bei Magdeburg, von der dieser Tage auch in anderen Medien berichtet wurde. Der NATO zufolge sollen hier alle Formen des Häuserkampfes trainiert werden, einschließlich des Einsatzes unbemannter Flugsysteme und Bodenfahrzeuge. Die Großstädte des globalen Südens werden an Zahl und Größe weiter zunehmen und laut NATO zu "Brennpunkten sozialer Unruhen" werden. Gefordert wird daher, Militäroperationen in urbanen Gebieten zum "Imperativ der NATO-Doktrin" zu erheben. Insbesondere die Fähigkeit zu "selektiven Zerstörungsmaßnahmen" und zur "Abriegelung" ganzer Stadtteile seien weiterzuentwickeln, heißt es. Von der Rüstungsindustrie wird erwartet, dass sie ihre Kompetenzen und Ressourcen konsequent für diese Ziele einsetzt.

mehr: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58358

Dienstag, 26. Juni 2012

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Was tun für die Bildung?

Blöde Frage? Es ist schon absurd, ein unlösbarer Systemwiderspruch: Der entwickelte Kapitalismus des 20. Jahrhunderts hat in seinen fortgeschrittensten Ländern ein so hohes und breites Bildungsniveau erreicht wie noch nie in der Menschheitsgeschichte – zugleich reduziert er Bildung immer mehr auf die Dressur von Arbeitskräften und Konsumidioten für „die Märkte“. Wer auch immer es mit dem humanistischen Bildungsziel allseitiger Persönlichkeitsentwicklung bei gleichen Bildungschancen für Alle erst meint, muß damit unvermeidlich in Opposition zum herrschenden (Bildungs-) System geraten. Demnach könnte die Verteidigung der menschlichen Persönlichkeit eine der breitesten, stärksten Bewegungen gegen die Ökonomisierung und Zurichtung des ganzen Menschen auf die „Wettbewerbsgesellschaft" sein.

Noch absurder ist folgendes: Ohne die praktische Annäherung an das humanistische Menschenbild wird es eine freiere, sozialere, demokratischere Entwicklungsstufe der Menschheit nach dem Kapitalismus nicht geben – jedoch solange viele Linke die Volksbildung konservativen Eliten, kapitalhörigen Bürokratien, Bertelsmännern und BILD überlassen, wird das Kapital weiter über die Köpfe herrschen. In Dortmund wie überall.

In dieser Einsicht war die Arbeiterbewegung schon mal weiter als wir Linken heute. Auch ich springe mit diesem Plädoyer über meinen Schatten. Das soll nicht ohne Folgen bleiben für Dortmund.

Mittwoch, 20. Juni 2012

Mehrheit gegen Lockerung der Sparvorgaben für Griechenland

Die Krise als Gelegenheit zur "Schnäppchenjagd" deutscher Unternehmer

In den "Nachdenkseiten" vom heutigen Tag findet sich folgende Meldung mit sehr treffendem Kommentar eines Lesers:

37 Prozent der Deutschen befürworten es, wenn Griechenland mehr Zeit eingeräumt wird für die Umsetzung der Sparvorgaben, 54 Prozent sind dagegen (weiß nicht: 9 Prozent). Eine Lockerung der Sparvorgaben an sich lehnt mit 78 Prozent eine große Mehrheit der Befragten ab, nur 13 Prozent unterstützen dies (weiß nicht: 9 Prozent).
Quelle: Forschungsgruppe Wahlen

Anmerkung unseres Lesers G.K.: Ist diese menschlich kaltherzige, sozialpolitisch verantwortungslose und ökonomisch desaströse Haltung vieler Bundesbürger angesichts der von nahezu allen deutschen Mainstreammedien verabreichten ekelhaften Mixtur aus Rechtskonservatismus, Neoliberalismus und herablassendem Nationalchauvinismus verwunderlich? Lax formuliert kann man diesen Befund wie folgt zusammenfassen: Von nix kommt nix! Siehe auch den aktuellen NachDenkSeiten-Beitrag “Der Niedergang von Moral und Verstand bei unseren Meinungsführern ist beeindruckend“.
Die von zahlreichen Medien freudig begrüßte Gelegenheit zur perfiden “Schnäppchenjagd” (so die treffende Formulierung Albrecht Müllers in dem hier verlinkten NDS-Beitrag) nach billigen südeuropäischen Facharbeitern beraubt die Krisenstaaten ausgerechnet jener Fachkräfte, die dringend für den Wiederaufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft benötigt würden. Die Frage sei erlaubt: Ist dies pure Gedankenlosigkeit unserer “Eliten” oder ist diese freudig begrüßte “Schnäppchenjagd” auch von dem Wunsch getrieben, über eine ökonomische Schwächung zahlreicher europäischer Staaten und auf dem Rücken der dortigen Bevölkerungen eine dauerhafte Dominanz der deutschen (Export-)Wirtschaft zu zementieren? Hierzulande dient das Gerede vom angeblichen “Facharbeitermangel” ganz wesentlich dem Ziel, über den Zuzug von Facharbeitern aus den europäischen Krisenstaaten den Lohndruck auf die deutschen Arbeitnehmereinkommen auch in Zukunft aufrechtzuerhalten.
Die miese Stimmungsmache nahezu aller deutschen Mainstreammedien und Politiker gegen die europäischen Krisenstaaten und die dort lebenden Menschen versucht den Eindruck zu erwecken, “Deutschland” sei das finanziell geschröpfte Opfer faul in der Sonne liegender und in der Kneipe herumhängender, nichtsnutziger, korrupter und unfähiger Bevölkerungen in Griechenland, Spanien, Portugal, Ialien und Irland, neuerdings aber auch in Frankreich. Die Menschen in zahlreichen europäischen Staaten lebten dank hoher Renten und Sozialleistungen wie die Made im Speck. Die massive Mitverantwortung der hiesigen Dumpingpolitik für die Krise der Eurozone und die enormen Vorteile, die dem “Krisenprofiteur” Deutschland zumindest bis zum heutigen Tage aus dem Euro und der Krise innerhalb der Eurozone erwachsen, wird hingegen vergleichsweise sehr klein geschrieben. Bereits im Jahre 2010 kritisierte Altbundeskanzler Helmut Schmidt völlig zu Recht die “wilhelminische Großspurigkeit” in der hiesigen Europapolitik und stellte fest, es bestehe weder Bedarf nach einem “deutschen Schulmeister” noch nach einem “deutschen Oberkommandierenden” in Europa.

Quelle: http://www.nachdenkseiten.de/?p=13577#h06

Anmerkung von mir: Die 13%, die eine Lockerung des Crashkurses gegenüber Griechenland unterstützen, sind demnach in etwa die Obergrenze des heutigen linken Wähler-innenpotentials. Die Wahlschlappen der Linkspartei liegen also keineswegs nur in deren inneren Richtungs- und Machtkämpfen begründet. 

Montag, 18. Juni 2012

Zum griechischen Wahlergebnis: Angst vor Empörung

Knapp siegte die Angst über die Empörung. Daß sie überwog, war zu erwarten, die Angst vor dem Konflikt mit den All(er)mächtig(st)en, die einmal mehr Schicksal spielen durften über ein Volk, einen ganzen Kontinent. Denn die griechische Gesellschaft ist in ihrer breiten Mehrheit kleinbürgerlich geprägt, wie könnte es anders sein.

Aber daß die Empörten so knapp den alten Betrugsparteien unterlagen, kann Folgen haben für ganz Europa. Wenn – hoffentlich – SYRIZA standhaft im Widerstand bleibt. Und unsere Solidarität sie weiter stärkt.

Sonntag, 17. Juni 2012

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Stadtentwässerung – Wirtschaftsprüfer widerlegt „Privat vor Staat“ und bestätigt die LINKE

In ihrer Not, die Haushaltslöcher für 2012 zu stopfen, hatte im Dezember 2011 die SPD sich der CDU an den Hals geworfen und deren Streichliste fast 1:1 übernommen. So fand auch ein Auftrag an die Stadtverwaltung, die komplette Stadtentwässerung aus dem Tiefbauamt zu verselbständigen, eine Mehrheit im Rat gegen die Stimmen der LINKEN, Grünen und FDP/Bürgerliste. Damit wollten die Schwarzen und die Sozen den Verkauf des Kanalnetzes an private Investoren vorbereiten.

Die Verwaltung ließ zunächst eine Wirtschaftsberatung die Vor- und Nachteile verschiedener Betriebsformen begutachten, und zwar: GmbH, Eigenbetrieb plus GmbH und rein städtischer Eigenbetrieb.

Das Gutachten liegt jetzt vor und kommt zu dem Ergebnis – man staune: Die Beteiligung privaten Kapitals bringe der Stadt keinerlei Vorteile gegenüber einem rein städtischen Betrieb.

Nur in einem Nebensatz, weil das nicht zu seinem Untersuchungsauftrag gehörte, stellt der Gutachter fest, dass die jetzige Organisation der Dortmunder Abwasserentsorgung als Regiebetrieb innerhalb des städtischen Tiefbauamtes bundesweit zu den „best-Practice“-Beispielen gehört.

- Moment mal, geht die LINKE dazwischen, das sagen wir doch schon seit unserer Gründung: „Öffentlich, weil’s besser ist.“ Warum sollten wir dann überhaupt einen Betrieb auslagern und umkrempeln, der so vorbildlich arbeitet?!

Weil Dortmund im Moment wegen der Haushaltslüge des Ex-OB Langemeyer keinen Rat hat, legte der Beauftragte der Bezirksregierung Heinze die Sache erst einmal auf Eis bis nach der Wiederholungswahl Ende August. Dann werden wir weiter gegen die große Privatisierer-Koalition kämpfen.

mehr: http://www.dielinke-dortmund.de/nc/presse/aktuell/detail/zurueck/aktuell-81/artikel/ausgliederung-des-kanalsystems-nicht-sinnvoll/

Mittwoch, 13. Juni 2012

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Leiharbeit in Kitas blüht und gedeiht

In Dortmunds Kitas und in der Kinder- und Jugendhilfe fehlen Fachkräfte. Doch viele finden inzwischen nur noch als Leiharbeiter-in einen Job. In Dortmund hat im Herbst 2011 eine Verleihfirma ihre 27. Filiale eröffnet, die eigens auf solche Berufe spezialisiert ist (diwa personalservice gmbh, Hauptsitz München). Aktuell bietet sie sieben Jobs für Sozialpädagog-innen und Erzeher-innen mit Einsatzort in Dortmund an. 

Nach einer Übersicht der Bundesagentur für Arbeit waren Mitte 2011 bundesweit 7.338 Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Kindergärtnerinnen und -pflegerinnen über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt. 2009 waren es noch 5.664, das entspricht einer Zunahme um 30 Prozent in zwei Jahren. Das Geschäft floriert offenbar, weil Kommunen und freie Träger so ihre Personalkosten weiter senken. Auch das ist Teil der deutschen Bildungskatastrophe.

Sonntag, 10. Juni 2012

Europa neu gründen - Die Wahl in Griechenland kann zu einem Signal werden

"...In jedem Land gibt es zwei politische und moralische Europas, die im Gegensatz zueinander stehen: eines möchte das Volk zum Wohle der Banken enteignen, und ein anderes bekräftigt das Recht aller zu einem Leben, welches diesen Namen wert ist, und gibt sich gemeinsam die Mittel zu entsprechendem Handeln.

Wir wollen also, gemeinsam mit den griechischen Wählern und den Aktivisten und Führern von SYRIZA, nicht das Verschwinden von Europa, sondern seine Neugründung. Es ist der Ultra-Liberalismus, welcher das Aufkommen von Nationalismen und der extremen Rechten hervorruft. Die wahren Retter der europäische Idee sind die Unterstützer der Offenheit und der Mitwirkung seiner Bürger, die Verteidiger eines Europas, in dem Volksherrschaft nicht abgeschafft sondern ausgedehnt wird und Beteiligung erfährt.

Ja, Athen ist in der Tat die Zukunft der Demokratie in Europa, und das Schicksal Europas steht auf dem Spiel. Dank einer merkwürdigen Ironie der Geschichte stehen die stigmatisierten und verarmten Griechen in der ersten Reihe unseres Kampfes für eine gemeinsame Zukunft.

Lasst uns ihnen zuhören, unterstützt und verteidigt sie !!! "

aus einem Aufruf von 170 europäischen Intellektuellen zur Unterstützung der griechischen SYRIZA-Partei bei den Wahlen am 17. Juni 2012

Donnerstag, 7. Juni 2012

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Rettet unsere Stadt vor den Krisenmachern

Bis jetzt konnte man so tun, als seien wir von der Wirtschaftskrise kaum betroffen, die „Konjunkturlokomotive Deutschland“ ziehe im Gegenteil Europa aus der Krise. Zwar stellt das die Verhältnisse auf den Kopf – in Wahrheit konkurriert die deutsche Wirtschaft mit Dumpinglöhnen die europäischen Nachbarn in Grund und Boden – aber jetzt ist Schluß damit: Exporte brechen weg, die Aufträge der Industrie schrumpfen, die jüngsten Tarifabschlüsse können die Einkommensverluste der letzten zehn Jahre nicht wett machen.

Krise auch in Dortmund

Sowohl die Ursachen der Krise als auch ihre Auswirkungen haben schon heute das Bild unserer Stadt deutlich verändert. Die Füllung der geplatzten Spekulationsblasen lieferte die Umverteilung der Einkommen von unten nach oben, dramatisch verschärft mit der Agenda 2010 des SPD-Kanzlers Schröder und seiner grünen Komplizen. In Dortmund hat seither die Zerlegung von Normalarbeitsplätzen in Teilzeit- und Minijobs drastisch zugenommen, ebenso die Leiharbeit. Die Zahl der „Aufstocker“ explodierte, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können und ergänzendes ALG 2 beziehen, Die Renten sind hier seit dem Jahr 2.000 um 38 € im Monat gesunken (Neurenten, Inflation noch nicht einbezogen). Die Zahl der auf Grundsicherung Angewiesenen stieg in der Stadt in nur vier Jahren um 20 %, der wachsende Niedriglohnsektor wird die Renten weiter unter die Armutsschwelle drücken.

Dasselbe Bild bei der Kinderarmut. Jedes dritte Dortmunder Kind wächst an oder unter der Armutsschwelle auf, über 21.000 in Hartz-IV-Haushalten. Die meisten von ihnen ohne bessere Aussicht, denn besonders die Jugendarbeitslosigkeit hat seit 2008 um 10 % zugenommen. Die Fallzahlen der städtischen Kinder- und Jugendhilfe schnellten hoch.

Zugleich ließen sich viele Gewerkschaftsführer und Betriebsräte auf breit angelegte Senkung der Reallöhne ein in der Hoffnung, Arbeitsplätze zu retten. Wie sich nun zeigt, schadeten sie damit nicht nur den Beschäftigten, sondern letztlich auch der Dortmunder Wirtschaft: Weil die verfügbaren Einkommen pro Kopf seit 2008 sinken, schrumpft die Kaufkraft im Dortmunder Einzelhandel (von 5.600 € pro Einwohner in 2001 auf 4.990 € 2009). Es sinken die Umsätze im Verarbeitenden Gewerbe (2008: 6,6 Mrd. € - 2010: 4,8 Mrd. €). Die Bruttowertschöpfung in den Dortmunder Betrieben ging von 56.000 € je Erwerbstätigen auf 54.000 € zurück. Im Gegenzug nehmen die Firmenpleiten kontinuierlich zu (2007: 350 – 2008: 398 – 2009: 403 – 2010: 445 – 2011: 482).

Wenn der Oberbürgermeister zum Zocker wird

Die Politik dreht in großer Koalition aus SPD, CDU, FDP/BL und Grünen eifrig mit an der Krisenschraube. Seit 2008, dem ersten Jahr des Bankencrash’s – dem Jahr der Lehman-Pleite, bei der auch die städtische EDG 23 Millionen verzockte – blieben die Einnahmen der Stadt aus Steuern, Abgaben und staatlichen Zuschüssen jedes Jahr um bis zu 100 Mio € hinter den Ausgaben zurück. Die Lücke summierte sich in diesen vier Jahren auf 425 Mio €. Sie mußte mit neuen Krediten geschlossen werden. Die Verschuldung der Stadt wuchs dreimal so schnell wie ihr Haushalt. Nutznießer sind dieselben Banken, die uns die Krise eingebrockt haben.

Obendrein dient das Haushaltsloch infolge Steuersenkungen für die Reichen den Regierungen im Bund, Land und im Dortmunder Rathaus als Vorwand, immer mehr öffentliche Leistungen zu kürzen und für teuer Geld an private Geschäftemacher zu verschieben. So verschärfen sie die Krise noch mehr.

Und alle zocken ungehindert weiter. Die LINKE will das ändern.
Um seinen Anteil an der Krisenzockerei zu vetuschen, griff der damalige Dortmunder OB unmittelbar vor der Kommunalwahl 2009 zu einer dreisten Lüge. Wie das Bundesverwaltungsgericht jetzt urteilte, war das ein Rechtsbruch, der die Wahl ungültig machte.

Somit ist die vom Gericht angeordnete Wiederholung der Ratswahl auch ein Ergebnis der Finanzmarktkrise. Nämlich Ergebnis der falschen Politik, mit der die Verantwortlichen auf die Krise antworten, die sie selbst mit angerichtet haben.

Nur die LINKE wehrt sich gegen die Krisenpolitik. Immer wieder stellen wir auch im Stadtrat Anträge, statt Kürzungen und Privatisierungen die Einnahmebasis der Stadt zu stärken, zu Lasten der Finanzhaie, die sogar an der Krise noch profitieren. Die große Koalition lehnt sie meistens ab. Stattdessen wird weiter gekürzt und privatisiert.

Wir appellieren an die Dortmunderinnen und Dortmunder: Wehrt euch gemeinsam mit uns dagegen.

Sonntag, 3. Juni 2012

Kompromisse und rote Linien

Notwendige Ergänzung zu Gregor Gysis Rede in Göttingen

Der Streit in der LINKEN um ihr Spitzenpersonal ist – erst mal! – ausgestanden, wir können uns wieder mit mehr Ruhe dem eigentlichen, darunter schwelenden Konflikt zuwenden. Der ist tatsächlich existenziell für die Linke und entzweit sie schon seit Rosa Luxemburgs Zeiten: der strategische Konflikt um das jeweils historisch adäquate Verhältnis von „Reform und Revolution“. Zu ihm hat nun auch Gregor Gysi auf dem Göttinger Parteitag nützliche Denkanstöße beigetragen.

Gysi sieht die LINKE im Osten und im Westen mit unterschiedlichem Charakter aufgrund unterschiedlicher politischer Situationen. Im Osten sei sie mit  über 20 Prozent Wählerzuspruch „Volkspartei“, im Westen mit um die 5 Prozent „Interessenpartei“. Und er stellt fest:
„Eine bestimmte Stärke im Landtag erfordert auch ein anderes Herangehen. Man kann mit Wahlergebnissen von über 20 Prozent nicht permanent erklären, dass man sowie so nur in Opposition bleibt und gar nicht bereit sei, etwas zu verändern, es sei denn, die anderen machten genau das, was man selber will.
Warum kann man das nicht akzeptieren, wenn man selber mit 5 Prozent in einen Landtag gewählt wird? Und umgekehrt, warum fällt es manchen im Osten so schwer zu akzeptieren, dass man sich als 5 Prozent-Partei anders verhalten muss als eine 25 Prozent-Partei. Als 5-Prozent-Partei muss man prononciert bestimmte Interessen vertreten, nicht das gesamte Spektrum. Es sind unterschiedliche Bedingungen.“


Im Osten und Westen aber gelte gleichermaßen:
„Unsere Wählerinnen und Wähler erwarten von uns ein eigenständiges Bild, sie erwarten von uns klare, verständliche und nachvollziehbare politische Vorschläge. Sie wollen nicht, dass wir die Kopie einer anderen Partei sind. Aber viele Wählerinnen und Wähler wollen auch, dass wir für sie etwas erreichen, etwas gestalten, daran mitwirken. Sie wollen mehr soziale Gerechtigkeit bei Löhnen, bei der Rente und im Gesundheitswesen erleben. Sie wollen Chancengleichheit für Kinder in der Bildung. Und vieles andere mehr. Dazu muss man konkret und aktiv kommunalpolitisch, landespolitisch, bundespolitisch und europapolitisch wirken. Dazu muss man auch mit anderen zusammenarbeiten. Selbstverständlich.
Man muss seine Eigenheit wahren, man muss seine Prinzipien schützen, aber auch kompromissfähig sein, um für die Menschen etwas zu erreichen. (...)Natürlich kann man Wählerinnen und Wähler verlieren, wenn man falsche, prinzipienlose Kompromisse schließt. Aber man verliert auch Wählerinnen und Wähler, wenn man erklärt, dass man sich auf die SPD nur dann einlässt, wenn sie unsere Beschlüsse umsetzt, und zwar möglichst vollständig. Die Wählerinnen und Wähler wissen, dass das irreal ist.“


Damit hat Gregor sehr recht. Allerdings, die Feststellung, so richtig sie ist, daß beides, Prinzipien und Kompromisse zusammen linke Politik ausmachen, sie reicht nicht aus, ist nicht genau genug. Denn er selbst sagte:
„Die alte Bundesrepublik war und ist ein militant antikommunistisches Land. Eine Partei links von der Sozialdemokratie hatte dort niemals eine reelle Chance...“
- es sei denn, muss man ergänzen, sie wäre für Kompromisse nicht nur zu Abstrichen von ihren Zielen, sondern zur Anpassung, zum direkten Verrat an ihren Prinzipien bereit. Genau das verlangt die Machtelite von der LINKEN. Daher ihr Haß auf Oskar Lafontaine, und genau das erhofft sie sich von unserem „Reformerflügel“. Ob zu recht oder unrecht, brauchen wir nicht erst zu probieren, die SPD-Spitze und die Leitmedien sprechen es deutlich genug aus.

Lieber Gregor, aus deiner eigenen Darstellung gibt es folglich nur einen Schluß: Nicht nur im Westen, sondern bundesweit können wir nur solche Kompromisse eingehen, die unsere Prinzipien nicht verletzen. Das genau ist der Sinn unserer „roten Haltelinien“, die unsere „Reformer“ gern los wären.