Freitag, 27. Dezember 2013

Deutsche Idylle 3.0


Im dritten Anlauf hat Deutschland seine endgültige, naturgewollte Regierungsform gefunden. Mitten im fetten Gras des Freigeheges scharrt die schwarz-rot gefleckte Glucke, schmeißt geschäftig die preisgekrönten Hinterkeulen, allein mit der natürlichen Autorität der Urmutter lenkt sie ihre freilaufende Hühnerschar um alle Pfützen der marktkonformen Demokratie. Ein Küken so schwarz-rot gesprenkelt wie das andere, eilen sie hinter Mutti her, ohne dass diese einmal „Basta!“ brüllen müsste.

Doch neben dem idyllischen Bild vom glücklichen Hühnerhof bedient Mutti weitere den Deutschen heilige Folklore-Klischees. Ein bißchen schwäbische Hausfrau, ein bißchen Queen von Bayreuth, ein bißchen Grande Dame, die auch den mächtigsten Präsidenten der Welt schlicht auf deutsch erklärt, wo’s lang zu gehen hat.

Das ganze Parlamentsgedöns können wir uns ab jetzt sparen. Wahlen haben nur noch den Sinn, von Zeit zu Zeit zu kontrollieren, ob das Hühnervolk noch zufrieden ist mit seiner Mutti. Das erkennt man schon auf den ersten Blick an der Zu- oder Abnahme der grell signalfarbenen „Oppositions“-Küken im schwarz-roten Meer: Je nachdem welche Signalfarbe zunimmt, muss Mutti vielleicht ein schwarzes Küken gegen ein etwas röteres austauschen oder umgekehrt. So ist sogar Opposition noch zu etwas nützlich.

Samstag, 7. Dezember 2013

2/3 der Deutschen geben der Obrigkeit freie Hand.



Nach repräsentativen Umfragen befürworten rund zwei von drei Wähler-innen in Deutschland die große Koalition. Und zwar unbesehen, das heißt ohne dass sie den Koalitionsvertrag auf seine reale Substanz und Haltbarkeit prüfen konnten. Die in Leserbriefen, im Internet und unter Bekannten von mir aufgeschnappten Gründe für die große Koalition sortieren sich – mit einigem Interpretationsspielraum, ohne wissenschaftlichen Anspruch und unter Ausschluß rein taktischer Spekulationen im Interesse der einen oder anderen Partei – etwa so:
„Uns geht’s doch gut mit Mutti, also weiter so! Nur vielleicht mit ein paar sozialen Nachbesserungen.“
„Demokratie funktioniert nur in stabilen Verhältnissen.“
„Schwierige Zeiten brauchen eine starke Regierung. Eine handlungsfähige Regierung in einem starken Staat braucht eine breite Akzeptanz.“
„Wir müssen zusammenhalten gegen die anderen, die uns unseren Wohlstand neiden.“
„Einigkeit macht stark – Streit macht schwach.“
„Macht ist sexy – Ohnmacht stößt ab. Opposition ist Mist.“
„Linke und Grüne sind nicht regierungsfähig, weil sie übers Ziel hinaus schießen – nicht mit Geld umgehen können – uns gegenüber dem Ausland schwächen.“

Eine fundamentale Gemeinsamkeit haben alle derartigen Antworten. Nicht eine-r der Befürworter-innen berührte die Frage, ob dieser Koalitionsvertrag bestimmten Teilen der Gesellschaft mehr nützt und anderen vielleicht sogar schadet. Während unter den Gegnern der Groko immerhin einige feststellten, dass im Energiebereich die Großkonzerne ihre  Interessen durchgesetzt haben, in der Arbeitsmarktpolitik „die Wirtschaftslobby“, in der Steuerpolitik „die Reichen“ usw., scheint die breite Masse der Jasager alle jene zu vereinigen,  die die Grundstruktur unserer Gesellschaft völlig aus dem Blick verloren haben oder bewußt ausblenden: den zentralen Interessengegensatz zwischen dem großen Kapital und der Mehrheit, die ihre Arbeitskraft ans Kapital verkaufen muss, um leben zu können.

Dabei wäre es doch leicht zu erkennen, dass das schwarz-rot vereinbarte Weiter-so nicht nur auf einzelnen Feldern wie der Energiepolitik, und sogar dort wo noch Wrackteile sozialdemokratischer Wahlversprechen aus dem Sand ragen, sondern von A bis Z die Verwertungsbedingungen des Kapitals in Deutschland sichern und verbessern soll – alles andere steht nur in Prüfaufträgen oder unter Finanzierungsvorbehalt. Und weil das Weiter-so uns auch in den nächsten Jahren kein Wachstumswunder bescheren kann, gilt weiterhin das Gesetz der kommunizierenden Röhren: Was in der einen dazu kommt, muss aus der anderen abfließen. Weiter-so bedeutet weiter Umverteilung von unten nach oben.

Bei den Vielen, die den Kapitalismus für alternativlos halten, kann es uns nicht wundern, wenn sie vor seinen inneren Widersprüchen Augen und Ohren verschließen, solange es irgendwie geht. Auch Sozialdemokraten, die seit Bad Godesberg (1959) den Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit nicht mehr als alltägliche Realität zur Kenntnis nehmen, sondern für böswillige kommunistische Verleumdung halten, könnte die gegenwärtige Krise des Kapitalismus in Europa als neue Bewährungsprobe erscheinen, „unser Vaterland nicht im Stich“ zu lassen (SPD-Vorsitzender Hugo Haase 1914 bei der Bewilligung der Kriegskredite für den 1. Weltkrieg).

Daraus ist zu schließen, dass heute der rechnerisch möglichen „linken Mehrheit“ im Bundestag leider keine gesellschaftliche Mehrheit entspricht, sondern 2/3 des Wahlvolks einer „rot-rot-grünen“ Regierung skeptisch bis ablehnend gegenüber stünden.

Aber nicht nur das. Wenn heute die alltäglichen Auswirkungen der Kapitalmacht auf die Politik nicht mehr als elementare Funktion der Klassengesellschaft wahrgenommen, sondern geleugnet und weg-ideologisiert werden können, liegt das auch an der LINKEN. An vielen Details dieses Koalitionsvertrags hat sie ja bewiesen, dass ihr „zähes Bohren dicker Bretter“ (Max Weber) auch aus der Opposition heraus das politische Klima im Land und damit die Beschlusslage in Parlamenten durchaus verändern kann. – Aber, teils aus dem „demokratisch-sozialistischen“ Selbstverständnis der PDS, teils aus der „Co-management“-Ideologie der westdeutschen Gewerkschaftsapparate hat sie es „vermieden“ (so wörtlich in einem Programmkommentar von 1997), noch vom Klassengegensatz und seiner Unversöhnlichkeit zu sprechen – und hat sich so dem Zeitgeist der Unterordnung des Lebens unter die Kapitalverwertung angepasst. Akribisch untersuchen linke Sozialwissenschaftler die Differenzierungen, Segmentierungen und „Ungleichheiten“ zwischen verschiedenen Milieus der Bevölkerung. Nichts dagegen – nur wenn darüber der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit aus dem Blick gerät, verstärkt das die optische Täuschung, als sei das Gerechtigkeitsproblem im Kapitalismus zu lösen, etwa durch sozialen Ausgleich innerhalb der Arbeiterklasse, oder gar die wachsende Ungleichheit im Land aufzulösen in eine „Gleichheit“ zwischen Kapital und Arbeit. Auf diesem Mist gedeihen große Koalitionen.

Wer wie die LINKE den Anspruch an sich stellt, zur Durchsetzung neuer Ideen beizutragen, muss die Dinge bei ihren richtigen, einfachen Namen nennen. Warum das so wichtig ist?
(1)  Weil das Weiter-so nie mehr sein kann als der trotzige bis verzweifelte Versuch, sich noch eine Zeit lang über Wasser zu halten, bevor einen die Geschichte in die Tiefe reißt. Denn die Welt, die Lebensverhältnisse verändern sich, ob man will oder nicht. Im Gegensatz zu allen konservativen Ideologien ist Leben ständige Bewegung, Fortschreiten vom Alten zum Neuen, Widerspruch des Neuen gegen das Alte, Kampf zwischen ihnen.
(2)  Ob die Welt sich für den Einzelnen zum Guten oder zum Schlechten verändert, können viele Einzelne in gemeinsamer Anstrengung beeinflussen. Voraussetzung dafür ist eine realistische Kenntnis, wie das Ding funktioniert, das man verbessern will. Das heißt, welche inneren Widersprüche seine Entwicklung antreiben.
(3)  Für das Zusammenleben großer Menschengemeinschaften (Gesellschaften) ist dies heute vor allem der tagtägliche Klassenwiderspruch zwischen den Vielen, die alle Güter erarbeiten, und einer kleinen Minderheit, die über alles Geschaffene verfügt. Wer mehr will als sich bloß noch eine Zeit lang über Wasser halten, muss in diesem Klassenwiderspruch Partei ergreifen.
(4)  Wie könnte dieser Grundwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft jemals zum besseren aufgelöst werden, solange seine eine Seite, die Arbeiterklasse sich selbst nicht einmal als Klasse erkennt? Sollte die LINKE ihr dabei nicht helfen?

Sonntag, 1. Dezember 2013

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Mc-Kinsey-Dortmund - ein Kartenhaus stürzt ein.


Was war unser ewig lächelnder Wirtschaftförderer zehn Jahre lang stolz auf die Rankinglisten, die zwar ähnlich willkürlich-unwissenschaftlich vorgehen wie Ratingagenturen, aber Dortmund zum leuchtenden Vorbild des gelungenen "Strukturwandels" hochjubelten, von der Malocherstadt zur "Wissensmetropole" usw. Wir Linken hatten den Schwindel schon im Jahr 2000 durchschaut, als wir zum erstenmal McKinseys Wunder-verheißendes "Dortmund-Project" mit den wirklichen Lebensverhältnissen in unserer Stadt verglichen.

Jetzt ist die Luftblase auch offiziell geplatzt: Der "Zukunftsatlas" des Prognos-Instituts im Auftrag des Handelsblatts verwies unter 402 untersuchten deutschen Städten und Kreisen Dortmund auf dem 323.Platz. Spitzenwerte bei der Arbeitslosigkeit, besonders viele Hartz-IV-Haushalte, entsprechend niedrige Durchschnittseinkommen und Kaufkraft, daher Spitzenwert bei der Armutsquote, es lässt sich nicht länger beschönigen:

Das sind die "Erfolge" des neoliberalen Politikmodells, dem Dortmund von 1999 bis heute bedingungslos folgt. Von der hoch gepriesenen "Dynamik" der Entwicklung in Mc-Kinsey-Dortmund ist nichts mehr übrig. Dortmund entwickle sich in vielen Merkmalen schlechter als die meisten anderen Städte, stellt Prognos fest.

"Da aus eigener Kraft rauszukommen, ist fast unmöglich," sagt der Projektleiter von Prognos. - Doch!, sagt die LINKE und macht schon genauso lange konkrete Vorschläge für ein Umsteuern zu sozialer, solidarischer Stadtpolitik. Lest mal unser Programm für Dortmund, das wir jetzt für die Kommunalwahl 2014 aktualisiert haben und heute in 14 Tagen beschließen. Daran könnt ihr feststellen: Gaaanz langsam dreht sich der Tanker nach backbord.