Montag, 24. Februar 2014

Ist Vollbeschäftigung überhaupt (noch) ein anstrebenswertes Ziel?

Mein Vortrag bei attac Dortmund am 17.02.2014 - Teil 2

Das wird von manchen Leuten bestritten, z.B. von Verfechtern eines „Bedingungslosen Grundeinkommens“ (BGE).
Aber wenn wir „Beschäftigung“ nicht nur auf abhängige Lohnarbeit reduzieren,
sondern auf alle produktive Tätigkeit des Menschen, also auf bedarfsdeckende Arbeit schlechthin verallgemeinern, müssen wir anerkennen, daß jegliche Kulturleistung und aller Wohlstand er-arbeitet werden muß.

Und weil das so ist,
Weil Wohlstand der Gesellschaft durch Arbeit entsteht, wächst der Wohlstand mit der Beschäftigtenzahl und erreicht sein jeweils mögliches Maximum bei Vollbeschäftigung.

Nun wird Vollbeschäftigung im Kapitalismus immer nur in kurzen Phasen der Hochkonjunktur mit hohem Wirtschaftswachstum erreicht, wenn die Produktion schneller wächst als die Arbeitsproduktivität (Rationalisierung). Es lässt sich kaum noch ernsthaft bestreiten, daß solche Wachstumsraten in normalen Friedenszeiten nicht mehr erzielbar sind.
Seit Mitte der 1970’er Jahre steigt die Arbeitsproduktivität durch technischen Fortschritt und Rationalisierung der Arbeitsabläufe schneller als die Masse der Produkte (das BIP) wächst. Seit etwa 12 Jahren stagnieren die Reallöhne, seit fast zehn Jahren sinken die Renten und Transfereinkommen. Die Exportüberschüsse, mit denen die deutsche Wirtschaft gegenwärtig noch auf Kosten ihrer Abnehmerländer wächst, können die strukturelle Unterbeschäftigung zwar noch abfedern, aber sie stoßen jetzt an die kritische Grenze, an der dauerhafte Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen zwangsläufig die Absatzmärkte ruinieren. – Abgesehen davon gibt es gute Gründe der Ökologie und der Demografie, warum die Menschheit sich schnellstmöglich von der Illusion grenzenlosen Wachstums verabschieden muß.

Das alles stellt uns vor die Frage, ob wir Vollbeschäftigung anders herstellen können als nur über den kapitalistischen Arbeitsmarkt?

Wenn wir „Arbeit“ nicht mit kapitalistischer Lohnarbeit gleichsetzen, sondern umfassend begreifen, können wir erkennen:

Arbeit war von allem Anfang an zunächst Selbsthilfe.

Und das ist sie auch heute noch:
Nach verschiedenen Schätzungen arbeiten gegenwärtig etwa 80 % der Menschheit außerhalb der kapitalistischen Arbeitsmärkte als Selbstversorger. (Die Wissenschaft spricht von sogen. „Subsistenzökonomien“.) Und selbst in den hoch entwickelten Ländern gab und gibt es immer diese Gegenwelt zur kapitalistischen Ausbeutung:

-       Riesige gesellschaftliche Bedarfe bleiben unbefriedigt, weil sie privaten Unternehmern keine Profitanreize bieten (zahlungsfähige Nachfrage),
-        
-       In allen Industrieländern gibt es riesige Reservearmeen von Erwerbslosen, von denen viele sich mit sogen. „Schwarzarbeit“ durchschlagen,
-        
-       Genossenschaftswesen usw.

Selbsthilfe ist mehr als ein Notbehelf.

Über den aktuellen Bedarf hinaus bietet der sozialgewerbliche "zweite" Arbeitsmarkt Zukunftsperspektiven für ein selbstbestimmtes Arbeiten, das auf die Bedürfnisse der Menschen gerichtet ist und nicht auf Profitmaximierung, Arbeiten ohne Zwang und Sanktionen durch die ARGE.
Schon jetzt sind die meisten Projekte nicht so streng von oben nach unten ausgerichtet wie gewerbliche Unternehmen und der öffentliche Dienst. In einigen Ländern, auch in Europa, bestehen z.B. für Genossenschaften viel bessere Rahmenbedingungen als in Deutschland.

Unter Ausnutzung der steigenden Arbeitsproduktivität und immer kürzerer Arbeitszeiten erscheint freiwilliges Arbeiten, befreit vom Zwang zum existenzsichernden Lohnerwerb, als durchaus realistische Zukunft in einer insgesamt humaneren Gesellschaft.

Damit wäre auch der Missbrauch des Ehrenamts zu Lohndrückerei und Arbeitsplatzabbau nach und nach zu überwinden.

Freitag, 21. Februar 2014

Die Mitverantwortung der Stadtpolitik an der Armut in Dortmund



Neulich bei attac Dortmund (17.02.14) sprach ich vor 50 Gästen zum Thema. Hier der erste Teil meines Vortrags:

Armut ist kein gottgewolltes Schicksal, dem der Mensch sich in Demut fügen müßte – sondern: Armut wird von Menschen erzeugt. Die Verarmung ganzer Gesellschaftsschichten ist die Kehrseite und Bedingung zur Anhäufung unvorstellbarer Reichtümer an der Spitze der Gesellschaft.
In unserer kapitalistischen Gesellschaft ist der wichtigste Hebel zur Reichtumsproduktion, daß die Einkommensverteilung vom privaten Gewinninteresse der „Investoren“ / Kapitaleigner diktiert wird. Und zwar einschließlich der breiten Masse der Arbeitseinkommen. Dazu gehört die unternehmerische Entscheidung, wer arbeiten darf und wer nicht.

Dortmund hat seit der Bergbaukrise der 70’er Jahre und der 10 Jahre danach einsetzenden, bis heute anhaltenden Krise der Stahlindustrie, schließlich der Brauereien rund 80.000 industrielle Arbeitsplätze verloren; im Dienstleistungssektor aber nur 40.000 neue Jobs gewonnen. Dazwischen klafft die Beschäftigungslücke, die seit 30 Jahren etwa gleichbleibend 40-50.000 Einwohner der Stadt von Erwerbsarbeit ausschließt.

Und selbst die neuen Dienstleistungsjobs treiben die Verarmung sogar weiter an, denn diese Branchen sind es vor allem, die Dortmund zur „heimlichen Hauptstadt der prekären Beschäftigung“ gemacht haben, der Niedriglöhner und Aufstocker in Leiharbeit, Teilzeit, Minijobs, Praktika, Aushilfen, Existenzgründer usw.

Das mußte durchaus nicht so sein.

Ab 1999, als Dr. Langemeyer Oberbürgermeister von Dortmund wurde, hat die Stadtspitze diesen „Strukturwandel“ mit Hunderten Millionen € subventioniert. Unter Federführung der Unternehmensberatung McKinsey setzte Langemeyers „Dortmund-Project“ zunächst auf drei angebliche „Zukunftsbranchen“ (Informatik, Logistik und Mikrosysteme), die alle nicht dazu taugen, die Masse der Erwerbslosen wieder in Arbeit zu bringen. Zur Halbzeit des DoPro (2005) war seine Beschäftigungsbilanz dermaßen lachhaft hinter den Versprechungen zurück geblieben, daß die Förderung auf acht Branchen erweitert wurde – in denen (außer wenigen hoch bezahlten Spezialisten) nur noch mehr prekäre Jobs entstanden, von denen niemand menschenwürdig leben kann.

Im Gegenzug strich die Stadtspitze gemeinsam mit der Arbeitsagentur sämtliche Reste einer kommunalen Beschäftigungspolitik außerhalb des gewinndominierten Arbeitsmarktes auf Null zusammen. 1.800 ABM, die Dortmunder Dienste (DODI), der Kommunale Arbeitsmarktfonds (KAF), Arbeit-statt-Sozialhilfe (ASS), DOGELA, alles das fiel der neoliberalen Marktreligion zum Opfer. Zwar hatten diese Maßnahmen auch in ihren besten Tagen kaum mehr als 3.000 Erwerbslose von der Straße geholt, aber immerhin war Kommunalpolitik vor Langemeyers Amtszeit sich noch ihrer Mitverantwortung für den Arbeitsmarkt bewußt. – Seit der Agenda 2010 (ab 2005) gibt es stattdessen in Dortmund nur noch 2.000 „1-€-Jobs“ und 400 Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante, heute „Bürgerarbeit“ (die in 2014 ausläuft).

Ergebnis: Bei ca. 300.000 Erwerbstätigen (einschließlich Selbständigen, Beamten, mithelfenden Familienangehörigen usw.) fehlen zur Vollbeschäftigung heute in Dortmund 80- bis 100.000 Vollzeitarbeitsplätze zu existenzsichernden Löhnen.