Donnerstag, 15. Februar 2018

Weiter-so ist tödlich. Auch die LINKE muss ihre Strategie ändern.



Konsequenzen aus der neuen-alten GroKo ziehen

1. Zur Bewertung der Ergebnisse der Bundestagswahl 2017

Bernd Riexinger, Co-Vorsitzender der LINKEN:
"Die LINKE gewinnt in den Städten deutlich dazu. Es gelingt uns, junge, zum Teil prekär lebende AkademikerInnen, Teile der solidarischen, links-grünen Mittelschicht, Beschäftigte mit niedrigen oder durchschnittlichen Einkommen und Erwerbslose anzusprechen. Zwischen 11 und 12 Prozent der unter 35-Jährigen haben links gewählt. (…)
Die Befürchtung, die LINKE verliere in ‚der Arbeiterklasse‘, trifft nicht zu…Wir gewinnen an Zuspruch bei jungen Lohnabhängigen und bei den Beschäftigtengruppen in der Pflege, in Kitas und neuen Dienstleistungsbranchen, in denen vor allem Frauen arbeiten…Bei Angestellten und GewerkschafterInnen haben wir zugelegt…Die zum Teil deutlichen Verluste bei Erwerbslosen, sind beunruhigend. (…)
Diese Wahl hat uns erneut gezeigt, dass es ein Potenzial für eine fortschrittliche Politik links von Merkel gibt. Das heißt für uns, verstärkt daran zu arbeiten, Brücken zu bauen ins sozialdemokratische und links-grüne Milieu.“

Gregor Gysi, Vorsitzender der Europäischen Linken:
"Richtig ist, dass uns zu wenige Arbeiterinnen, Arbeiter und Arbeitslose wählen. Das war schon seit 1990 ein Problem für uns. Unsere Aufgabe ist es, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Arbeitslosen, Schritt für Schritt davon zu überzeugen, dass unsere Politik gerade auch in ihrem Interesse liegt.“

Horst Kahrs Rosa-Luxemburg-Stiftung:
"Probleme, die die Bürgerinnen und Bürger bewegen, die Zukunft Europas, die Rolle Deutschlands gegenüber den globalen Problemen, die Bekämpfung von Fluchtursachen jenseits moralisch zwielichtiger Abkommen mit anderen Staaten, spielten eine sehr untergeordnete Rolle. Mit dem Thema ‚soziale Gerechtigkeit‘, wie wir es aus der Vergangenheit kannten, ließ sich die Wahl nicht gewinnen. (…)
Die Parteien ‚links von der Union‘ SPD, LINKE und GRÜNE verlieren gemeinsam 4,1% und erreichen nur noch 38,6% der gültigen Stimmen. Der Abwärtstrend hält an, 2017 »dank« der Schwäche der SPD. Für SPD und Linke als linke Oppositionsparteien böte sich die Chance, in der Opposition eine gesellschaftspolitische Alternative zu formieren. Es dürfte auf lange Sicht das letzte Zeitfenster für die Erneuerung sozialdemokratischer und linksreformistischer Politik sein."

Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Saarländischen Landtag:
"Allen Grund nachzudenken hat DIE LINKE trotz ihres guten Ergebnisses darüber, dass nur 11 Prozent der Arbeitslosen sie unterstützt haben – weniger als SPD (23 Prozent), AfD (22 Prozent) und Union (20 Prozent) und gerade mal etwas mehr als FDP und Grüne (je 7 Prozent) – und nur 10 Prozent der Arbeiter (Union 25 Prozent, SPD 24, AfD 21). Das sind zwei Prozent mehr als bei der FDP(!), die von acht Prozent der Arbeiter gewählt wurde."

MAKROSKOP (Flassbeck, Steinhardt):
"Für die ‚Parteien der Mitte (einschließlich der SPD)‘ ist nichts wichtiger, als die Fiktion aufrechtzuerhalten, die Armut in der Mitte unserer Gesellschaft sei notwendig, sei ein Garant für eine gute Entwicklung des Arbeitsmarktes und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Deutschland geht es gut, ja sogar sehr gut und so gut wie noch nie! So lautete die Wahlkampf-Botschaft der beiden ‚großen‘ Volksparteien. Sie hatten ganz offensichtlich darauf gesetzt, dass diese optimistische Einschätzung von vielen geteilt wird."

Sebastian Müller (auf MAKROSKOP):
[Die AfD-Wähler sind] "Teil einer im Entstehen begriffenen Klasse, die das Pendant zu den erfolgreichen Globalisten ist. Eine Klasse des ‚transnationalen Unten‘. Dort drängen sich die Geringverdiener aus unterschiedlichen Weltregionen, gering- und dequalifizierte einheimische Arbeitnehmer und Migranten aus Zweitwelt- und Drittweltstaaten als ‚modernes transnationales Dienstleistungsproletariat‘.
Die AfD verzeichnet insgesamt 23 % Stimmanteile von Wählern mit einer schlechten wirtschaftlichen Situation und teilt sich darin gleichauf mit der SPD den ersten Platz. Umgekehrt schrumpft seit 2009 der Anteil der Arbeiter und Arbeitslosen, die Die Linke wählen, stetig. Bei den Arbeitern von 18 auf 10 %, bei den Arbeitslosen gar von 25 auf 11 %.“

2. Die Klassenbasis linker Politik verändert sich

Der Klassenkampf ist eine Tatsache, wie der US-Milliardär Warren Buffett vor einigen Jahren feststellte:
“There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.”
Buffett sagte das nicht aus Überheblichkeit, sondern Investoren wie er und George Soros erkennen sehr wohl, dass die Schere zwischen oben und unten immer weiter auseinandergeht. Thomas Piketty führt in seinem Werk "Das Kapital im 21. Jahrhundert" (2016) aus, dass die Besitzer von Finanzvermögen, Aktien, Immobilien, Anleihen usw. gar nicht anders können, als immer reicher zu werden. Es genüge, einfach stillzuhalten und die Erträge des »passiven« Einkommens anzuhäufen. Und mit ihrem Reichtum wächst ihre Macht, die Erde und die Menschen auszubeuten und die Ausbeutung mit Staatsgewalt abzusichern.

Solange Gesellschaftsklassen, aus objektiven Gründen, einander auf diese Weise antagonistisch gegenüberstehen, ist Klassenkampf unausweichlich und eine Politik der Klassenversöhnung unsozial. Das haben Sozialreformer immer heftig bestritten. Die SPD negiert es seit ihrem Godesberger Programm von 1959. Darin brach sie endgültig mit der Marx'schen Konsequenz aus der Tatsache, dass „die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft die Geschichte von Klassenkämpfen" ist. Und dass, wie der Kapitalismus nun mal funktioniert, „nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse“ sein kann.

Das Godesberger Programm gab die sozialdemokratische Antwort auf objektive Entwicklungen im Kapitalismus, die allerdings Marxens Voraussagen zum Verlauf und revolutionären Ziel des Klassenkampfs zum Teil verkomplizieren, zum Teil in eine ferne Zukunft verschoben haben:

-die Weiterentwicklung des Konkurrenzkapitalismus („Marktwirtschaft") zum Monopol- und Finanzkapitalismus (Aktiengesellschaften, „Imperialismus“),
-enorme zahlenmäßige Vergrößerung der Arbeiterklasse bei  immer weiter gehender Differenzierung und Spezialisierung der Qualifikationen, Herausbildung der technischen Intelligenz als Schicht innerhalb und außerhalb der Arbeiterklasse,
-damit und mit der Abspaltung von immer mehr prekären Jobs und Scheinselbständigkeit
die zunehmende individualistische Zersplitterung der Klasse und die Schwächung ihrer Organisiertheit,
-teilweise Verlagerung von schwerer körperlicher und gesundheitsschädlicher Arbeit in Kolonien und abhängige Länder („verlängerte Werkbänke“),
-die Möglichkeit, aus monopolistischen Extraprofiten eine „Arbeiteraristokratie" (Engels) zu privilegieren und mit deren Hilfe die Arbeiterorganisationen dem Kapital unterzuordnen,
-die Möglichkeit und Notwendigkeit, in den entwickelten Ländern die Arbeiter durch materielle Zugeständnisse ruhig zu stellen („Sozialstaat", Lohnmoderation), um sie in den internationalen Konkurrenzkämpfen auf die Seite ihrer Brotherren zu ziehen, bis hin zur „Vaterlandsverteidigung" in militärischen Konflikten,
-die Herausbildung einer staatsmonopolistischen Krisenregulierung,
-die Spaltung der Arbeiterklasse durch nationalistische Vorurteile und Privilegien,
-die Volksverdummung und -verrohung durch allumfassende, allgegenwärtige Propagandamedien,
-das historische Scheitern des ersten sozialistischen Lagers sowohl an seinen inneren (Klassen-) Widersprüchen als auch am „Kalten Krieg" der kapitalistischen Mächte gegen ihn.

Friedrich Engels hat diese Weiterentwicklung des Kapitalismus schon gegen Ende des 19.Jh. am Beispiel Englands beobachtet und stellte 1882 fest: „Die Arbeiter zehren flott mit von dem Weltmarkts- und Kolonialmonopol Englands."

W.I. Lenin hat diese Entwicklungen im 1.Weltkrieg umfassend untersucht. Im Zusammenhang mit dem Imperialismus der kriegführenden Mächte unterschied er zwischen unterdrückten Nationen und Unterdrückernationen und stellte fest:
„Dadurch dass die Kapitalisten eines Industriezweigs oder eines Landes hohe Monopolprofite herausschlagen, bekommen sie ökonomisch die Möglichkeit, einzelne Schichten der Arbeiter, vorübergehend sogar eine ziemlich bedeutende Minderheit der Arbeiter zu bestechen und sie auf ihre Seite gegen alle übrigen zu ziehen."

Lenin hielt diese Spaltung der Arbeiterklasse noch für vorübergehend. Inzwischen ist die Entwicklung aber so weit fortgeschritten, dass in allen „Unterdrückernationen" die Arbeiterklasse gespalten ist, wobei nicht vorübergehend, sondern dauerhaft sogar die Mehrheit der Arbeiter und fast das gesamte Kleinbürgertum auf die Seite der imperialistischen Ausbeutung und Unterdrückung übergingen.

Infolgedessen verlor linke Politik in allen „westlichen" Staaten entscheidend an Einfluß.
Dieselben Entwicklungen des kapitalistischen Systems haben inzwischen aber auch den reformistischen Parteien, bei uns der SPD den Boden soweit entzogen, dass selbst eine organisatorische (Wieder-)Vereinigung der Arbeiterparteien auf absehbare Zeit keine gesellschaftliche Mehrheit mehr mobilisieren könnte.

3. Auf globaler Ebene sieht es anders aus.

Die Mehrheit der Menschen auf der Erde besteht nicht aus Lohnarbeitern in kapitalistischen Unternehmen, sondern aus kleinen Parzellenbauern, Viehhirten, selbständigen Kleingewerbetreibenden, kleinen Händlern und hunderten Millionen entwurzelter Landbevölkerung, die sich in den Slums der Riesenstädte ohne regelmäßige Erwerbsquellen durchschlagen.

Die Frage stellt sich nun global: Kann diese Mehrheit der Menschheit ein neues revolutionäres Subjekt bilden, das den Kapitalismus überwinden und eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen kann?

Was die Lohnabhängigen und Prekarisierten bei uns mit diesen Milliarden Selbstversorgern der Erde tatsächlich gemeinsam haben, ist die Klassenvernunft zur Durchsetzung einer nicht-marktbestimmten, solidarischen Wirtschafts- und Lebensweise von unten. Also die praktische Lösung der Eigentumsfrage: Commons plus Ökologie plus Aneignung digitaler Technologie.

4. Konsequenzen für die Linke

Nach der (absehbaren) Entscheidung der SPD für eine Neuauflage der GroKo kann sich eine Linke, die die Welt verändern will, ein selbstzufriedenes Weiter-so à la Riexinger und Gysi (siehe oben) nicht leisten. Sie muss die eigene Strategie überdenken: Wie müssen wir uns aufstellen, um die Teile der Bevölkerung zu sammeln, die mit dem „Durchregieren“ und dem brutalen Auftrumpfen in Europa nicht einverstanden sind? Wie können wir die Gegner der deutschen Großmacht-Ambitionen in der Welt (mit allen zerstörerischen Folgen) aktivieren? Wie lässt sich die immer noch überaus breite Solidarität mit Geflüchteten auf eine wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen richten? Wie auf eine gerechtere Lastenverteilung in der Gesellschaft drängen?

Wenn die SPD-Basis mehrheitlich für die GroKo stimmt, ist der Niedergang dieser Partei nicht mehr zu stoppen. Dann müssen auch viele überzeugte Sozialdemokraten neu darüber nachdenken, dass in Frankreich  eine linke Sammlungsbewegung entstanden ist (La France Insoumise), die mit einem klassisch keynesianischen Programm bei der Präsidentschaftswahl fast dreimal soviele Stimmen holte wie die neoliberal abgewirtschaftete Sozialdemokratie (Parti Socialiste). Und dass in England auf den Trümmern von New Labour Jeremy Corbyn eine starke linke Sammlungsbewegung aufgebaut hat.

Den einzig erfolgversprechenden Weg, auch in Deutschland die Opposition gegen die herrschenden Zustände wieder hörbar zu machen, sehe ich in einer Verbindung der Linken mit enttäuschten Sozialdemokraten und Grünen, quer zu den zementierten Parteigrenzen. Und zwar in Verbindung mit den internationalen Klassenkämpfen. Das wird nicht auf die Schnelle zu einer einheitlichen Organisation führen, wie Oskar Lafontaine u.a. sie schon mal mit dem „Plan B für Europa“ angeregt hatten. Aber warum sollte eine Strategie, die in anderen Ländern Europas erfolgreich ist, in Deutschland falsch sein?

Sahra Wagenknecht hat die Idee der „linken Sammlungsbewegung“ aufgegriffen. Dazu schrieben z.B. die Nachdenkseiten:
Kevin Kühnert (Juso-Vorsitzender) ist leider auch nicht ‚die letzte Hoffnung der deutschen Sozialdemokratie‘. Dafür schafft es Kühnert nicht über den aktuellen politischen Tellerrand der SPD hinauszuschauen und dafür ist sein politisches Programm viel zu dürftig. Somit wird die Idee von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine für eine neue linke Bewegung immer reizvoller.“

Auch in und bei der SPD gibt es viele, die über den Tellerrand hinaus sehen, dass das Weiter-so unsere gespaltene, gelähmte Gesellschaft mit tödlichen Gefahren bedroht. Zu tun gibt es dagegen eine Menge. Packen wir’s gemeinsam an.