Ist es wirklich schon Ewigkeiten her, dass leitende
Kommunalbeamte respekt- und vertrauensvoll „Stadtväter“ genannt wurden? Heute
fühlen sie sich lieber als Manager eines „Konzerns Stadt Dortmund“ (zum
Beispiel). Um ihr Unternehmen zu vermarkten, müssen sie die Stadt, unser
Stückchen Heimat zu einer „Marke“ hochstilisieren. Die Dortmunder Stadtspitze
ist da wirklich Spitze. Ihr neuester Marketing-Gag: Ein „Masterplan
Erlebnis.Dortmund“ soll unser Alltagsmilieu zum Dauer-Event aufmotzen. Wäre es
nicht so peinlich, könnte man drüber lachen, wie sie mit heraushängender Zunge
einer blindwütigen Marktideologie hinterher stürzen. Dabei planen die Masters
an den Tatsachen vorbei ins Blaue.
Tatsachen? – Nur
passende!
Der Umbau der alten Kohle-Stahl-Bier-Stadt zum
Dienstleistungszentrum hat beachtliche Ströme von Geschäftsreisenden, Messe-
und Kongressbesuchern in die Stadt gebracht. In den letzten acht Jahren stieg
die Zahl der Übernachtungen von 749.300 (2009) um 465.200 auf 1.214.500 (2016),
um durchschnittlich 58.000 pro Jahr. Der Masterplan will diesen Trend nicht nur
um weitere acht Jahre verlängern, sondern jedes Jahr um 100.000 steigern, also
fast verdoppeln.
- Aber
Tatsache ist auch: Der Umbau der Wirtschaftsbasis ist im wesentlichen
abgeschlossen. Viel mehr als die heute erreichten 85 % Dienstleistungsjobs gibt
der Arbeitsmarkt der Stadt nicht her, ohne die verbliebene industrielle Basis
weiter zu zerstören. Der Ausbau der Hochtechnologien stößt an die Grenze des
Fachkräftemangels. Die Geschäftsbesucherzahl wird sich nicht mehr verdoppeln
lassen, schon gar nicht binnen acht Jahren.
Dortmund ist nach dem Abgang der
Montanindustrien grüner geworden, sauberer, ansehnlicher. Seine
Sehenswürdigkeiten locken 34,5 Millionen Tagesgäste an (2015). Diesen Trend
will der Masterplan ebenfalls noch steigern.
- Aber:
Stillschweigend unterstellt werden dafür weiter steigende Masseneinkommen nicht
nur in Deutschland, sondern auch bei unseren Nachbarn. Das kann nicht
funktionieren. Bei uns basierten Einkommenszuwächse der letzten Jahre auf der deutschen
Sonderkonjunktur der Exportüberschüsse – aber diese gingen zu Lasten ihrer
Handelspartner, erhöhten dort die Arbeitslosigkeit und senkten die Einkommen.
Die EU-Krise, der Brexit, der neue USA-Protektionismus werden Deutschland in
den nächsten Jahren zwingen, die Ungleichgewichte abzubauen und mit den Überschüssen
der Exportwirtschaft die Einkommenszuwächse auf europäisches Mittelmaß zu senken.
Unterstellt wird weiter anhaltende,
von Terrorismus, internationalen Spannungen und sozialen Abstiegsängsten durch
„Industrie 4.0“ unbeeindruckte Reiselust einer sorgenfreien Mittelschicht.
- Alles
höchst unwahrscheinliche Annahmen, wie die rückläufigen Passagierzahlen des
Flughafens inzwischen schwarz auf weiß bestätigen.
Was nicht passt, wird
passend gerechnet
Der Beitrag des Tourismus zur Dortmunder Wirtschaftsleistung
wird im Masterplan nicht nur übertrieben, sondern seine Berechnung ist grob fehlerhaft
und daher falsch.
Nach den -ungeprüften- Angaben einer privaten Beraterfirma
geben die Besucher in Dortmund jährlich ca. 1,3 Milliarden € aus, entsprechend
6,4 % der gesamten Wirtschaftsleistung der Stadt. Davon angeblich 690 Millionen
€ für Einkäufe. Das wären unglaubwürdig hohe 18,2 % am Gesamtumsatz des
Dortmunder Einzelhandels!
Die 1,3 Mrd.€ Umsatz tragen angeblich 600 Millionen € zu den
Primäreinkommen der Erwerbstätigen in Handel, Verkehr und Gastgewerbe bei.
Fälschlich wurden darin die Vorleistungen doppelt eingerechnet, um diesen
Fehler korrigiert bleiben knappe 345 Millionen € für Erwerbseinkommen übrig.
Das sind gerade mal 3 % aller Dortmunder Primäreinkommen, die sich aber auf 30
% aller Erwerbtätigen verteilen. Womit bewiesen ist, dass der Tourismus nur
weniger als 1 %, also verschwindend wenig zur Lebenshaltung der Dortmunder
Erwerbsbevölkerung beiträgt, und dass obendrein der Masterplan wieder einmal
Branchen mit besonders niedrigen Arbeitsentgelten (und den miesesten
Arbeitsbedingungen) besonders fördert.
Die Stadt als Kulisse
der Event-Industrie
Die Stadt ist alltäglicher Lebensort mit all ihren schönen
und Schattenseiten, Gemeinwesen und Heimat ihrer Bewohner. Doch dieser
Masterplan und seine Macher haben ein ganz anderes Bild vor Augen, sie
begreifen das Stadtleben als pausenlose Abfolge von „Erlebnissen“, möglichst
einzigartigen „Events“. Die bekannten Sozialwissenschaftler H.Häußermann und
W.Siebel prägten dafür den Ausdruck „Festivalisierung der Städte“ und ordneten
diese Art Stadtentwicklungspolitik der neoliberalen Ideologie des totalen
Wettbewerbs zu. Und sie fragten (schon zwanzig Jahre vor der heutigen
Politikverdrossenheit): „Könnte es vielleicht sein, dass eine Politik, die ihr
eigenes Überflüssigwerden in den Augen der wahlentscheidenden Mehrheit ahnt,
Projekte gleichsam als Selbstrechtfertigung erfindet? Festivalisierung der
Politik als Inszenierung der eigenen Daseinsberechtigung?“ (in: Werk,
Bauen+Wohnen Heft 6/1998 S.29)
Cui bono – wem zum
Vorteil?
Wie oben nachgewiesen, ist der Beitrag des Tourismus zur
Dortmunder Wirtschaft mit etwas über 6 %
eher gering. Wenn alle Hotels, Gaststätten, Discos und Boutiquen zusammen
gerade mal ein Sechzehntel des BIP von den Besuchern abschöpfen, muss hinter
diesem Masterplan noch ein anderes Kalkül stecken als die gewöhnliche Kumpanei neoliberal
geprägter Wirtschaftsförderung mit einflussreichen Unternehmerverbänden.
Schon der römische Kaiser Trajan (98 bis 117 n.u.Z.) wusste,
wie Politik die Volksmassen unmündig im Bann halten kann: „Panem et circenses“
– Brot und Spiele müsse die Herrschaft dem Volk bieten, damit es gar nicht erst
auf unnütze Gedanken kommt. Und wenn heute das „Brot“, ein auskömmliches Leben
nicht mehr für Alle vorgesehen ist, weil die Superreichen zu wenig fürs Volk
übrig lassen, dann müssen umso mehr „Spiele“ – auf neudeutsch „Events“
inszeniert werden. Das ist der tiefere Hintersinn solcher Politik. Noch einmal
Häußermann/Siebel: „Festivalisierung ist auch das organisierte Wegsehen von
sozialen, schwer lösbaren und wenig spektakuläre Erfolge versprechenden
Problemen… Dafür eignen sich am besten die allgemeinsten Themen, die allen gute
Gefühle verschaffen – besonders der Sport.“ (aaO)
Tatsächlich: Fußball, Bier und „urbane Subkultur“ heißen die
drei Anrufungen, mit denen „Feierkultur, Geselligkeit, Spaß“ zum „Erlebnis.Dortmund“
überhöht werden sollen. Sie reduzieren den ganzen Masterplan auf ein lächerlich
unangemessenes Rummelniveau. – Wohlgemerkt, alles liebenswerte Züge eines lebenswerten
Ortes, die aber können Bochum, Köln, Aachen, Lüttich, Amsterdam, Manchester und
Dutzende andere europäische Städte auch für sich geltend machen, und darüber
hinaus einiges mehr. Warum also soll Dortmund so armselig für sich werben?
Wer von uns, wieviele und welche Teile unserer
Stadtgesellschaft können und wollen sich so ein Leben im Erlebnisrausch leisten?
An den Bedürfnissen der Bevölkerungsmehrheit geht diese elitäre Politik meilenweit
vorbei. Cui bono? Fast ausschließlich der Oberschicht und ihrem genusssüchtigen
Nachwuchs.