Samstag, 28. April 2012

Wer sich selbst nichts zutraut...

Es geht wieder auf Wahlen zu, „Rankings“ und „Ratings“ – zu deutsch: Ratespiele – haben Hochkonjunktur. Eine besonders bei politischen Journalisten beliebte Simulation von Volkes Meinung fragt die „Kompetenzprofile“ der Parteien ab: Welcher Partei trauen wie viele Passanten in der Fußgängerzone die Lösung der „dringendsten Probleme des Landes“ zu?

Natürlich, um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, haben die Meinungsforscher schon vorformuliert, was die dringendsten Probleme des Landes sein sollen, und zwar im Interesse der mathematischen Vergleichbarkeit so allgemein, abstrakt und nichtssagend wie möglich. Da kommt z.B. bei Infratest-dimap ganz überraschend heraus, dass die größte Kompetenz für „soziale Gerechtigkeit“ 47 % der Befragten ausgerechnet bei der SPD sehen (die zusammen mit den Grünen Hartz-IV verbrochen hat und heute noch unbelehrbar daran festhält), sogar noch 20 % bei der CDU (kein Witz!) – aber nur 3 % bei der LINKEN.

Auf die offensichtliche Absurdität solcher Ergebnisse kommt es nicht an – die Meinungsindustrie bedient sich derlei Hokuspokus nur zu dem einen Zweck, (Tot-) Schlagworte als Vor-Urteile zu zementieren und solche dann zu wirklichen Motiven von Wahlentscheidungen zu machen.

Vom geringen Aussagewert dieser Meinungsmache abgesehen, wird damit das Grundproblem des in sich selbst kreisenden Politikbetriebs völlig ausgeblendet: Statt nach der Volkssouveränität zu fragen, wird den Parteien eine Kompetenz zur Problemlösung zugewiesen, die sie allesamt von vorn herein nicht haben. Das stellt das Wesen der Demokratie auf den Kopf und sorgt dafür, dass Die-da-oben weiterhin oben bleiben.

Aber es funktioniert, nicht nur in den Köpfen, sondern dann auch real: Wer sich selbst nichts (mehr) zutraut, traut auch der LINKEN nichts zu. – Und umgekehrt!

Donnerstag, 19. April 2012

Wird Italien zum Schicksal des Euros?

Michael Schlecht, MdB, Chefvolkswirt der Bundestagsfraktion DIE LINKE und Gewerkschaftspolitischer Sprecher im Parteivorstand DIE LINKE schrieb am 17.4.2012:
 
"Die Krise ist zurück. Mit einer Billion Euro wurden die Banken zwischen Dezember 2011 und Februar 2012 von der Europäischen Zentralbank (EZB) vollgepumpt. Das hat die Situation für zwei Monate beruhigt. Jetzt steigt die Zinsfieberkurve für Italien und Spanien wieder deutlich an. Dreijährige Kredite sind für den italienischen Staat im Vergleich zum Januar um 40 Prozent teurer geworden. 

Geht das so weiter, muss Italien unter den Rettungsschirm. Der ist aber für die drittgrößte Wirtschaft der Eurozone zu klein. Um Italien und Spanien abzudecken, müsste er auf 1,5 Billionen Euro aufgeblasen werden. Das deutsche Haftungsrisiko erreicht dann den Wert von zwei kompletten Bundeshaushalten. Das ist politisch nicht mehr durchsetzbar. Italien wird deshalb zum Schicksal des Euros.

Inzwischen befindet sich ganz Europa durch die diktierte Kürzungspolitik der deutschen Kanzlerin in der Rezession. Dadurch werden die Prognosen der Europäischen Kommission für das italienische Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren deutlich unterschritten. Die offiziellen Konsolidierungspläne können - wie im griechischen Fall – nicht eingehalten werden.

Durch die Ratifizierung des unkündbaren ESM- und Fiskalvertrags droht diese verheerende Politik auch noch in Stein gemeißelt zu werden. DIE LINKE hält die Verträge für verfassungswidrig. 
 
Die italienischen Staatsschulden haben sich im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung erst mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 erhöht. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass Italien über seine Verhältnisse gelebt hat. Mit einer Ausnahme: Die hohen Einkommen und Vermögen wurden zu gering besteuert.

Prekär wurde die Situation für Italien erst, als es ab 2004 durch den Export weniger Geld einnahm als es für die Importe bezahlen musste. Ab da verschuldete sich das Land mit immer größeren Beträgen im Ausland. Erst dieses Doppeldefizit – hohe Staatsverschuldung und steigende Verschuldung gegenüber dem Ausland – hat Italien gegenüber den Finanzmärkten verwundbar gemacht.

Maßgeblich verantwortlich für die negativ gewordene italienische Handelsbilanz ist der Warenaustausch mit Deutschland. Ohne die Handelsbilanzdefizite gegenüber Deutschland und China hätte Italien 2010 sogar einen Überschuss erwirtschaftet. Der deutsche Handelsbilanzüberschuss gegenüber Italien hat sich zwischen 2000 und 2010 fast verdreifacht.

Prozentual nahmen die deutschen Exporte nach Italien aus dem Nahrungs- und Genussmittelsektor am stärksten zu. Durch das deutsche Lohndumping stieg der jährliche Wert in diesem Zeitraum um 61 Prozent. Der jährliche Bruttolohn fiel in dieser Branche zwischen 2000 und 2008 von 23,2 auf 17,9 Euro je Arbeitsstunde.
Deutschland schadete Italien aber auch bei dessen Handel mit den Ländern außerhalb der Eurozone. Dieser wird in Dollar abgerechnet. Italien und andere Euroländer hatten steigende Handelsdefizite mit dem Dollarraum. Durch die deutschen Überschüsse war die Handelsbilanz der gesamten Eurozone aber ausgeglichen und so dessen Wirkung auf den Euro-Dollar-Wechselkurs neutral. Das verhinderte, dass sich der Euro gegenüber dem Dollar verbilligen konnte. Dadurch wären die italienischen Waren außerhalb der Eurozone preislich attraktiver geworden. 

Auch das italienische Beispiel zeigt: Ohne Beendigung des deutschen Lohn- und Sozialdumpings gibt es kein Ende der sogenannten Eurokrise. Wären die Löhne seit dem Jahr 2000 wenigstens in der Höhe der Produktivität gestiegen, hätten die Arbeitnehmer hierzulande eine Billion Euro mehr in der Tasche. Davon wären auch viele Milliarden durch den Konsum ausländischer Produkte und Dienstleistungen in die Krisenländer geflossen. Nur bei einer solchen Politik können die Ungleichgewichte zukünftig verringert werden."

Montag, 16. April 2012

Reaktionen auf das Grass-Gedicht: Herrenmenschen in Wut

In einer ganzseitigen Reportage aus Israel im Tagesspiegel (12.04.12) bestätigten zwei hohe israelische Militärs indirekt, aber hundertprozentig die Warnung des Grass-Gedichts „Was gesagt werden muß“ vor dem israelischen Kriegskurs: Im Gegensatz zu einer wachsenden Minderheit israelischer Bürger zielt die herrschende Staatsdoktrin darauf, mit allen Mitteln, eben auch mit militärischen bis hin zum atomaren Präventivschlag zu verhindern, daß irgendein muslimischer Staat der Region so mächtig wird, die israelische Besatzungsmacht ernsthaft zu gefährden.

Diese strategische Grundlinie billigt und deckt nicht nur jede US-Regierung, sondern auch die herrschenden Kreise unseres Landes haben sie zur „deutschen Staatsraison“ erklärt (Kanzlerin Merkel). Wenngleich die unbedingte Unterstützung israelischer Politik hierzulande offiziell mit der deutschen Schuld gegenüber den europäischen Juden begründet wird, hat sie real mit dem Holocaust wenig zu tun. Vielmehr bedient das Schlagwort von der „Verteidigung des Existenzrechts Israels“ auch die Ideologie, mit der die USA seit dem 2. Weltkrieg Dutzende ihrer Angriffskriege in aller Welt rechtfertigten, und mit der jetzt Deutschland erneut als Zuchtmeister Europas auftrumpft: die Ideologie der Überlegenheit einiger weniger von Gott auserwählter Völker. Diese Tüchtigen dürfen die Menschheit in Gute und Böse einteilen, und was der gute, tüchtige Staat Israel sich frech herausnimmt und stillschweigend zugestanden bekommt, soll für den bösen, weil radikal-islamischen Schurkenstaat Iran tödlich enden dürfen.

Nur vor diesem ideologischen Hintergrund wird verständlich, welcher Tsunami an Geifer, Schmähungen und Haß dem Friedensmahner Günter Grass entgegenschlug. Solche jede Einsicht abblockende Wut erlebten wir zuletzt, als ein anderer Dichter Serbien gegen deutsche (damals von SPD und Grünen befohlene) Bomben verteidigte: Peter Handtke. So wütend werden die Guten, wenn man ihrer natürlichen-gottgewollten-moralisch-humanitären Vorherrschaft widerspricht.

Montag, 2. April 2012

Kleine persönliche Zwischenbilanz zum 73.

Im Juni werden es 45 Jahre, daß ich, in diversen Organisationen, meinen Landsleuten die Zusammenarbeit für ein besseres Leben in einer besseren Welt antrage. Einige Zigtausend haben sich darauf eingelassen; die allermeisten von ihnen waren eh‘ schon links oder wären es auch ohne mein Zutun geworden; viele Tausend mehr haben trotz meines Zuredens ihr Linkssein wieder aufgegeben. Was hindert die große Mehrheit der von mir Angesprochenen, das Angebot anzunehmen?

- Haben sie andere Vorstellungen vom „besseren Leben in einer besseren Welt“ als ich und meine Genoss-innen?
- Halten sie ihr gegenwärtiges Leben für besser, jedenfalls bequemer als eine vorstellbare „linke“ Zukunft? Ist also ihr Leidensdruck nicht groß (genug)?
- Erscheinen ihnen die Risiken einer anderen Zukunft zu hoch oder unabsehbar?
- Scheuen sie die unvermeidlichen Konflikte mit Verteidigern des Alten?
- Halten sie mich oder meine linke Organisation für ungeeignet?
- Halten sie sich selbst für ungeeignet, haben zu geringes Selbstvertrauen und keine positive Meinung von Solidarität?
- Haben sie aufgrund negativer Erfahrungen resigniert?

In den meisten Fällen wirken verworrene Knäuel aller dieser möglichen Motive zusammen. Keines von ihnen hält vernünftiger Prüfung Stand. Aber alle sind auch nur teilweise bewußt und vernünftiger Diskussion zugänglich. Am ehesten noch die ersten beiden genannten. Auf diese konzentriert sich denn auch die linke Agitation und Propaganda, die übrigen bleiben in der Regel unbearbeitet. – Ganz anders verfährt die anti-linke Demagogie. Sie spricht das Bewußtsein und das Unterbewußtsein über die ganze Bandbreite an. Auch deswegen ist sie heute wirkungsmächtiger als wir.

Muss das so bleiben? Nein. Denn erstens wird die Vernunft ja nicht ins Unrecht, sondern nur praktisch außer Kraft gesetzt dadurch, daß ihr das Unterbewußtsein widerspricht. Das lässt sich ändern. Die Linken müssen also stärker Methoden praktizieren, die auf das Gefühlsleben unserer Adressaten einwirken. (Meine Bürgerfunkerei war solch eine wirksame Methode – gerade deshalb von den mächtigen Meinungskonzernen verbissen bekämpft.)

Zweitens: Gefühle verändern sich, verstärken oder schwächen sich ab durch Erfahrungen. Mithin auch die Macht der Demagogie über Herzen und Köpfe. Letztlich erwächst aller historische Fortschritt aus Erfahrung plus sozialer Phantasie. Wir Linken verkörpern beides. Das unterscheidet uns fundamental von allen, die am Alten kleben. Und dies Beides kann uns niemand nehmen – außer uns selbst. Da wären wir zwar saudumm, aber gegen die eigene Dummheit besonders empfindlich anzugehen, gehört zum Wesen der Linken, anders können wir unsere Aufgabe nicht erfüllen.

Die entscheidende Frage ist also: Wann reicht die Erfahrung aus, um die soziale Phantasie zum nächsten historischen Schritt zu ermutigen? Diese Frage lässt sich nur praktisch beantworten.