Im Juni werden es 45 Jahre, daß ich, in diversen Organisationen, meinen Landsleuten die Zusammenarbeit für ein besseres Leben in einer besseren Welt antrage. Einige Zigtausend haben sich darauf eingelassen; die allermeisten von ihnen waren eh‘ schon links oder wären es auch ohne mein Zutun geworden; viele Tausend mehr haben trotz meines Zuredens ihr Linkssein wieder aufgegeben. Was hindert die große Mehrheit der von mir Angesprochenen, das Angebot anzunehmen?
- Haben sie andere Vorstellungen vom „besseren Leben in einer besseren Welt“ als ich und meine Genoss-innen?
- Halten sie ihr gegenwärtiges Leben für besser, jedenfalls bequemer als eine vorstellbare „linke“ Zukunft? Ist also ihr Leidensdruck nicht groß (genug)?
- Erscheinen ihnen die Risiken einer anderen Zukunft zu hoch oder unabsehbar?
- Scheuen sie die unvermeidlichen Konflikte mit Verteidigern des Alten?
- Halten sie mich oder meine linke Organisation für ungeeignet?
- Halten sie sich selbst für ungeeignet, haben zu geringes Selbstvertrauen und keine positive Meinung von Solidarität?
- Haben sie aufgrund negativer Erfahrungen resigniert?
In den meisten Fällen wirken verworrene Knäuel aller dieser möglichen Motive zusammen. Keines von ihnen hält vernünftiger Prüfung Stand. Aber alle sind auch nur teilweise bewußt und vernünftiger Diskussion zugänglich. Am ehesten noch die ersten beiden genannten. Auf diese konzentriert sich denn auch die linke Agitation und Propaganda, die übrigen bleiben in der Regel unbearbeitet. – Ganz anders verfährt die anti-linke Demagogie. Sie spricht das Bewußtsein und das Unterbewußtsein über die ganze Bandbreite an. Auch deswegen ist sie heute wirkungsmächtiger als wir.
Muss das so bleiben? Nein. Denn erstens wird die Vernunft ja nicht ins Unrecht, sondern nur praktisch außer Kraft gesetzt dadurch, daß ihr das Unterbewußtsein widerspricht. Das lässt sich ändern. Die Linken müssen also stärker Methoden praktizieren, die auf das Gefühlsleben unserer Adressaten einwirken. (Meine Bürgerfunkerei war solch eine wirksame Methode – gerade deshalb von den mächtigen Meinungskonzernen verbissen bekämpft.)
Zweitens: Gefühle verändern sich, verstärken oder schwächen sich ab durch Erfahrungen. Mithin auch die Macht der Demagogie über Herzen und Köpfe. Letztlich erwächst aller historische Fortschritt aus Erfahrung plus sozialer Phantasie. Wir Linken verkörpern beides. Das unterscheidet uns fundamental von allen, die am Alten kleben. Und dies Beides kann uns niemand nehmen – außer uns selbst. Da wären wir zwar saudumm, aber gegen die eigene Dummheit besonders empfindlich anzugehen, gehört zum Wesen der Linken, anders können wir unsere Aufgabe nicht erfüllen.
Die entscheidende Frage ist also: Wann reicht die Erfahrung aus, um die soziale Phantasie zum nächsten historischen Schritt zu ermutigen? Diese Frage lässt sich nur praktisch beantworten.
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