Freitag, 29. Mai 2015

Notizen aus der Provinzhauptstadt: DEW21 – Verstaatlichung durch die Hintertür?



Die deutschen Atomkonzerne wollen sich der Haftung für ihren strahlenden Schrott entziehen. Dafür streben sie die Gründung einer staatlichen Atomstiftung an, in die sie ihre Rückstellungen für die Verschrottung der AKW und die Endlagerung des radioaktiven Mülls einbringen könnten – den Rest und damit das ganze Kostenrisiko aber soll der Staat, also wir Steuerzahler tragen. 38 Milliarden € haben die AKW-Betreiber bisher für die „Ewigkeitslasten“ zurückgestellt – zwischen 50 und 70 Milliarden wird jedoch die Abwicklung der Kernenergie hierzulande kosten, schätzen Wirtschaftswissenschaftler. Und es ist keineswegs sicher, dass 70 Milliarden ausreichen.

Eine „Bad Bank“ für Atomkraftwerke

Die Idee mit der Stiftung erinnert an die Bankenkrise ab 2008. Eine staatliche Bad Bank wurde gegründet, auf welche Geschäftsbanken ihre „toxischen“ Spekulationspapiere abladen durften und so die Kosten der Krise auf die Allgemeinheit abwälzten. Das könnte auch den Energiekonzernen so passen.

Wenn die Atomwirtschaft wie jedes andere Privatunternehmen auf ihrem Geschäftsrisiko sitzen bleibt, wäre RWE in zehn Jahren pleite. Da hilft nur eins: die Abwälzung des Privatrisikos auf den Staat. Am 29.05.2015 schrieb die FAZ (Frankfurter Allgemeine) in ihrer Netzausgabe: „Die Idee einer Atomstiftung zur Abdeckung der kommenden Kosten des Atommülls wird in ihrer Konsequenz zu einer Verstaatlichung des deutschen Energieversorgers RWE führen. Davon ist Werner Müller überzeugt, der Vorsitzende der RAG-Kohlestiftung, die in Teilen als Vorbild für eine mögliche öffentlich-rechtliche Atomstiftung dient.“

Das Problem für RWE ist nur: RWE trägt 10 Mrd. dieser Rückstellungen, ist an der Börse aber nur noch knapp 13 Mrd. € wert. Ein Missverhältnis, das Werner Müller zu dem Ergebnis bringt, die Atomkonzerne müssten bereit sein, nicht nur die Rückstellungen in die Stiftung einzulegen, sondern eventuell auch „weiteres unternehmerisches Potential abzugeben“. Auch der RAG-Stiftung, die ab 2019 für die Ewigkeitskosten des Steinkohlebergbaus aufkommt, hatten Konzerne mit Anteilen am Bergbaugeschäft Vermögen übertragen, sich im Gegenzug künftige Verpflichtungen vom Hals geschafft und sich unter den Schirm einer Staatsgarantie begeben. Das führe laut FAZ „in der Konsequenz dazu, dass dies mit Blick auf RWE nur durch eine Verstaatlichung erreicht werden kann – ohnehin sind schon heute Ruhrgebietskommunen mit 25 Prozent an RWE beteiligt.“

Damit sind wir bei der Dortmunder Energie- und Wasserversorgung. Mit einer Verstaatlichung von RWE würde erreicht, was die RWE-Lobbyisten in der Dortmunder Stadtspitze noch vor wenigen Monaten verhindern konnten: Auf diesem Umweg bekämen wir zwar nicht die vollständige Rekommunalisierung und Dezentralisierung unserer Energieversorgung, wohl aber ginge auch der 40-%-Anteil von RWE an der DEW21 GmbH in öffentliches Eigentum über.

Ein später Sieg unseres Bündnisses DEW-kommunal? Es wäre ein Pyrrhussieg, der die Allgemeinheit hundertmal mehr kostet als unsere Forderung, RWE die DEW-Beteiligung abzukaufen. Jedenfalls bestätigt das unsere Warnungen: Die Verbindung mit RWE wird für Dortmund noch teuer werden. Nicht nur für Dortmund.

Freitag, 22. Mai 2015

Das Versagen der Marktwirtschaft. Am Beispiel Griechenland


Auszüge aus einem Interview mit Elena Papadopoulou anlässlich der ersten 100 Tage SYRIZA-Regierung

Elena Papadopoulou ist Ökonomin und wirtschaftliche Beraterin des griechischen Ministers für internationale ökonomische Beziehungen. Sie ist Vorstandsmitglied des Nicos Poulantzas Instituts und Mitherausgeberin der griechischen Ausgabe des Magazins von transform!. Das Interview wurde von Catarina Príncipe und George Souvlis für das Magazin Jacobin geführt und am 22. April 2015 vom Nachrichtenportal LEFT IN GOVERNMENT veröffentlicht.


Auf die Frage, warum Sparpolitik nicht zu einer wirtschaftlichen Erholung führen kann, antwortete Frau Papadopoulou:
„Was wir aus den 1930-er Jahren und von Keynes theoretisch und politisch hätten lernen sollen, ist, dass es in einer strukturellen Krise keinen automatischen Marktmechanismus für eine wirtschaftliche Re-Balancierung gibt. Wie konnten wir vergessen, dass der Markt uns nicht wieder zur Vollbeschäftigung bringen kann, wenn es keine staatliche Intervention gibt, wenn es keine öffentlichen Investitionen gibt, die einen produktiven Prozess starten und wenn es keine Mittel gibt, die Entwicklung zu fördern, wie etwa eine zusammenhängende Industriepolitik?

Während der letzten fünf Jahre ist Griechenland, ökonomisch gesehen, um Jahrzehnte zurückgefallen und hat große Verluste an produktiven und menschlichen Kapazitäten erlitten. Das ganze Konzept innerer Entwertung hat seine Grenzen aufgezeigt: Griechenland kann nicht erwarten, Wettbewerbsfähigkeit durch Lohndrückerei zurückzugewinnen; das ist eine Strategie, die keinen Sinn macht. Im Gegenteil, Griechenland muss seine produktive Basis wieder aufbauen, durch Qualität und Pluralität, was seine Produktionsformen betrifft. Es muss auch auf seine sozialen Kapazitäten bauen, auf seine hochgebildete, hochqualifizierte menschliche Dynamik; es muss von den weitverbreiteten kreativen Experimenten selbstorganisierter, gemeinschaftsorientierter Initiativen lernen, die sich im ganzen Land in den letzten Jahren entwickelt haben. (…)

Wenn wir an den Kern der Probleme denken und den Ernst der Situation, können wir ökonomisch und - vielleicht noch wichtiger - politisch nicht einfach davonkommen, indem wir die Blechdose die Strasse hinunterkicken. (…)

Grundsätzliche Fragen müssen angegangen werden: Ist der Prozess der Währungsunion angesichts der verschiedenen Wirtschaftsstrukturen in den verschiedenen teilnehmenden Ländern wirklich lebensfähig? (…)

Meiner Meinung nach muss die Linke in Griechenland und in Europa jetzt diskutieren, wie wir eine zusammenhängende Strategie für wirtschaftliche Solidarität entwickeln können, die das Wirtschaftsmodell der Monokultur des Privatmarkts herausfordert und alternative Mechanismen für Finanztransfers entwickelt sowie ökonomische Ziele mit sozialem Wohlergehen usw. verbindet.“

Montag, 18. Mai 2015

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Die Geschichte von Erind

"Ich will euch eine Geschichte erzählen, die Geschichte von Erind.
 

Als Erind vier Jahre alt war, sind seine Eltern mit seinem kleinen
Bruder und ihm nach Italien gezogen. Dort lebte die Familie, die Eltern
arbeiteten, die Jungs wuchsen dort auf. Erind lernte die Sprache und die
Kultur des Landes, er schätzt sie sehr, sein Lieblingsverein ist
Juventus Turin. Mit dem Land, in dem er geboren wurde, verbindet er nur
sehr negative Einschätzungen.

 

Als Erind 14 Jahre alt ist, verlieren die Eltern ihre Arbeit, und die
Familie muss zurück in das Land gehen, in dem Erind geboren wurde. In
Albanien kommt die Familie nicht mehr klar, der Vater verändert sich, er
trinkt, er spielt, er schlägt die Mutter. Die Mutter flüchtet mit den
beiden Söhnen aus dem Land vor dem Vater, sie gehen wieder nach Italien,
für drei Monate dürfen sie legal bleiben. Sie bleiben länger.

 

Erind erträgt das Leben in der Illegalität nicht, er kann nicht immer in
einem Zimmer sitzen und darauf warten, dass man sie entdeckt, er sucht
seinen Weg. Er geht nach Frankreich. Er versteht die Sprache nicht, er
hat keine sozialen Kontakte, er wird in verschiedenen Unterbringungen
geparkt, er hat keine Schule, er hat keine Perspektive. Er erkundigt
sich und geht nach Deutschland, nach Dortmund.

 

In Dortmund ist Erind "geduldet", er hat eine Wohnung, hier geht er zur
Schule, er ist zuverlässig und mit guten Leistungen, er kann denken. Er
macht ein Praktikum, das er sich selber gesucht hat. Der
Praktikumsbetrieb ist sehr zufrieden mit ihm, dort sind viele
Jugendliche, die "ausbildungsfähig gemacht werden" sollen, die Chefin
nennt ihn nach nur wenigen Tagen "unbedingt ausbildungsfähig". Mitten im
Praktikum kommt der Tag, an dem Erind 18 Jahre alt wird. Die
Ausländerbehörde bestellt ihn ein. Erind bekommt ein Schreiben
vorgelegt. Er muss unterschreiben, dass er nach dem Schuljahr "gehen"
wird, dann kann er die Schule beenden - oder kann sofort "gehen". Erind
unterschreibt.

 

Er nimmt am Integrationsprogramm der Handwerkskammer teil. Er ist gut,
er ist sehr gut, die Handwerkskammer will ihm eine Ausbildungsstelle
besorgen! Erind träumt von einem Job im Hotel, er ist höflich, er kann
viele Sprachen. Aber er will auch die angebotene Ausbildung als Maler
machen, es ist ihm egal, er will Geld verdienen, hier das Geld ausgeben
und Steuern zahlen, er will keine Hilfe, er will seine Wohnung endlich
selber bezahlen. Eine Firma aus Bochum will ihn ausbilden, die
Handwerkskammer macht einen Termin mit der Ausländerbehörde, die
"Duldung" muss verlängert werden für die Ausbildung. Erind bekommt ein Nein.

 

Sein Lehrer hört von der Geschichte. Er schätzt Erind. Er kann nicht
verstehen, dass Erind in ein Land gehen soll, das ihm fremd ist, vor dem
er Angst hat, dessen Kultur ihm nicht behagt, wo er keine Familie hat,
wo er höchstens den Vater trifft, den er besser nicht treffen sollte und
will. Ein Land, in dem Erind fast nie gelebt hat. Der Lehrer ist
Mitglied einer kleinen Partei, die im Rat der Stadt Dortmund vertreten
ist. Er beendet für die Schüler an einem lauen Tag im Mai den Unterricht
früher und redet 2 Stunden mit Erind. Beide haben manchmal Tränen in den
Augen. Der Lehrer sagt zu Erind, dass er einen Plan hat, er erzählt ihn,
und Erind ist einverstanden. Diese Mail ist Teil des Planes.

Ist die Piratenpartei Dortmund, die Vertreter im Rat und die Fraktion im
Rat willens und bereit, mit dem uns möglichen politischem und
öffentlichem Einsatz ein Leben für Erind hier zu ermöglichen?

 

Viele Grüße von Erinds Lehrer
Holger"


Diese Zuschrift fand ich in meinem Postfach. Ich werde in ihrem Sinn handeln und fordere die Leser-innen dieses Blogs auf, sich mit ihren Mitteln für Erind einzusetzen. W.S.

Mittwoch, 13. Mai 2015

Medienhetze gegen „Vergreisung“ soll weitere soziale Einschnitte und Privatisierung der Altersvorsorge vorbereiten


DIE WELT hetzt (zitiert und kommentiert in NachDenkSeiten vom 13.05.15):


Vergreisung wird uns 497.000.000.000 Euro kosten
Ein Bericht der EU-Kommission zeigt: Kaum ein Land trifft die Alterung der Gesellschaft so brutal wie Deutschland. Die Kosten des Sozialstaats verdoppeln sich – auf eine Schwindel erregende Zahl.
So prognostiziert der Alterungsbericht für Deutschland, dass die jährlichen öffentlichen Ausgaben für Renten, Gesundheit und Pflege von 19,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2013 auf 23,8 Prozent im Jahr 2060 steigen werden.
Hinter diesem scheinbar moderaten Anstieg von 4,8 Prozentpunkten verbirgt sich eine hohe dreistellige Milliardensumme.
Unter diesen Voraussetzungen würde die Mehrbelastung gegenüber dem Vergleichsjahr 2013 schon 2025 einen dreistelligen Milliardenbetrag ausmachen. Im Jahr 2060, das lässt sich anhand des Berichts berechnen, müsste der deutsche Staat den Steuer- und Beitragszahlern gar rund 497 Milliarden Euro zusätzlich abknöpfen – fast eine halbe Billion also.
Insgesamt würden sich die jährlichen Ausgaben für Renten, Gesundheit und Pflege fast verdoppeln – von 520 Milliarden Euro 2013 auf 1017 Milliarden Euro im Jahr 2060 – in Zahlen: 1.017.000.000.000 Euro.
Quelle: Olaf Gersemann auf Welt.de

Anmerkung WL (NDS): Die Methode ist immer die Gleiche. Man malt demografische Horrorszenarien an die Wand. Man greift eine Zahl über einen möglichst langen Zeitraum heraus und rechnet sie hoch. Man lässt aber alle anderen Zahlen, die gleichfalls wachsen werden, also etwa das BIP, die Löhne etc. heraus.
Warum sollte es nicht möglich sein im Jahre 2060, also in 45 Jahren nicht 23,8% gegenüber 19% (wenn diese Zahl überhaupt stimmt) des BIP für Rente, Gesundheit und Pflege einzusetzen?
Siehe dazu nochmals „Schreckgespenst Demografie“.

Ergänzende Anmerkung J.A.: unsäglich. Da wird eine nominale Verdopplung der Sozialkosten innerhalb von 47 Jahren genannt, ohne darauf hinzuweisen, daß es inflationsbereinigt nicht einmal 20% mehr sind. Da wird frech behauptet, die Sozialversicherung würde vom Staat bezahlt, der ja sparen müsse, obwohl in Wahrheit Rente, Krankenversicherung und Pflegekosten von den Arbeitnehmern selber bezahlt werden und der Staat draufzahlen muss (z. B. “Grundsicherung im Alter”), wenn Menschen zu wenig Rente haben. Die hier geforderten “Einschnitte” würden den Staat – alle – richtig viel Geld kosten und höchsten die private Versicherungswirtschaft reich machen. Die falsche Betrachtung des Quotienten von Erwerbsfähigen zu Rentnern, wo richtigerweise die Erwerbstätigen zur Grundgesamtheit und das Produktivitätswachstum betrachtet werden muss. Sicher ist es nützlich, solche Projektionen anzustellen, aber “natürlich” fehlt in der WELT jeder Hinweis zu der Unsicherheit, mit der eine Prognose über diesen extrem langen Zeitraum behaftet ist. Das “Problem” ist in Wahrheit keins (weil von der Produktivität überkompensiert), oder höchstens ein minimales. Aber logischerweise folgt zeitgleich der nächste Hetzartikel):
“Im deutschen Sozialsystem muss es Einschnitte geben. Die Vergreisung lässt keine Wahl: Die Deutschen werden den Gürtel künftig noch enger schnallen und wohl noch länger arbeiten müssen. Nur ein scharfer Sparkurs kann den gegenwärtigen Wohlstand halten.”
Besonders “witzig”, dass “die Deutschen” durch “Gürtel enger schnallen” den “Wohlstand halten” können sollen, den sich doch in Wahrheit durch den “scharfen Sparkurs” verlieren… Weniger witzig, dass in Wahrheit Löhne und Sozialleistungen dramatisch steigen müssen, um die Schäden durch eine völlig falsche Wirtschaftspolitik in den letzten Jahrzehnten wenigstens ein bisschen abzumildern. Es ist zum Verzweifeln, dass sich in der Politik sicher auch für diesen geistigen Müll dankbare Abnehmer finden werden.
 

Donnerstag, 7. Mai 2015

Michael Schlecht, MdB, wirtschaftspolitischer Sprecher Fraktion DIE LINKE – Klartext zu Griechenland

Die Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und ihren Gläubigern sind in der Endrunde. Die öffentliche Debatte dreht sich inzwischen nur noch um Fragen wie „Gelingt eine Einigung?“, „Wann geht Griechenland pleite?“ oder „Droht ein Austritt aus der Euro-Zone?“ Das ist bedauerlich. Denn darüber gerät in Vergessenheit, was an den Verhandlungen eigentlich bedeutsam ist. Hier einige kleine Erinnerungsstützen:
Mit welchen Forderungen und welcher Kritik ist die Syriza-geführte Regierung in Athen in die Ver-handlungen gegangen? Erstens mit der Forderung nach einem Ende des Kürzungsregimes, das nach-weislich die Wirtschaft ruiniert hat. Dieser Befund ist unstrittig. Doch die Gläubiger fordern weitere Einsparungen, Rentenkürzungen, Massenentlas-sungen und Steuererhöhungen für die Konsumen-ten.
Zweitens wollte Athen ursprünglich einen Schul-denschnitt. Auch dieser Punkt ist berechtigt – kein Mensch bezweifelt, dass Griechenland auf Dauer seine Schulden weder zurückzahlen noch bedie-nen kann. Doch die Gläubiger lehnen einen Schul-denschnitt ab. Ebenso wie eine – sinnvolle – Kopp-lung des Schuldendienstes an die griechische Wirtschaftsentwicklung.
Drittens fordert Athen eine Bekämpfung der hu-manitären Krise im Land. Dass es diese Krise gibt, ist ebenfalls unbestritten. Dennoch haben die Gläubiger – inoffiziell – Hilfsmaßnahmen für die ärmsten griechischen Haushalte kritisiert. Viertens will Syriza die reichen Haushalte stärker belasten und die armen entlasten. Denn Letztere haben in den vergangenen Jahren die Hauptlast der Spar-maßnahmen getragen. Das ist belegt: Das Ein-kommen des ärmsten Zehntels der Bevölkerung sank um 86 Prozent, das des reichsten Zehntels um 17 Prozent. Auch dieser Punkt geht also an Syriza.
Fünftens wollte Athen die Korruption und Steuer-hinterziehung stärker bekämpfen. Und sechstens schließlich die Gewerkschaften stärken – schließ-lich ist die gesamte Lohnsumme Griechenlands in den Zeiten der verordneten Wettbewerbsfähigkeit um 30 Prozent gesunken, die inländische Nachfra-ge ist zusammengebrochen.
All dies sind berechtigte Forderungen. Doch die Gläubiger – insbesondere die Bundesregierung – verweigern sich einer Einigung und schimpfen lieber über die „unprofessionelle“ Verhandlungs-führung der griechischen Regierung. Ganz offen-sichtlich wird am Beispiel Griechenland ein Exem-pel statuiert: Kein Land darf sich den neuen Re-geln der Euro-Zone – Sparsamkeit und Wettbe-werbsfähigkeit durch Lohnsenkung – verweigern. Kein Land darf ausscheren, das wird am Fall Grie-chenland derzeit klargemacht. Wenn sich doch eines wehrt, wird es in die Pleite gedrückt.
Dabei fehlt ein wesentlicher Punkt auf der Forde-rungs-Liste von Syriza: die Rolle Deutschlands. Was war der tiefere Grund für die Euro-Krise? Die drastische Lohnsenkungspolitik der Bundesregie-rung – Stichwort Agenda 2010. Sie verhalf den deutschen Unternehmen unfairen Wettbewerbs-vorteilen und beschränkte die deutschen Importe. Das Resultat: riesige Außenhandelsüberschüsse, die sich von 2000 bis Ende 2015 auf zwei Billionen belaufen werden. Spiegelbildlich mussten so bei den Handelspartnern ebenso riesige Defizite, also Schulden entstehen. Wer den Abbau der Außen-handelsüberschüsse vor allem durch deutliche Lohnsteigerungen in Deutschland verweigert, der will nicht, dass zum Beispiel die Eurokrisenländer sich entschulden.
Fakt ist: Griechenland – und die gesamte Euro-Zone – werden nie stabilisiert, wenn Deutschland diesem Pfad weiter folgt. Nur wenn hierzulande die Löhne endlich stärker steigen und der Staat seine Ausgaben erhöht, schafft dies in Europa die Nachfrage, die die Wirtschaften stimuliert und, die Defizite verschwinden lässt. Deswegen sind Streiks für höhere Löhne – zum Beispiel der Erzieherinnen und der Lokführer – faktisch die höchste Form der Solidarität, die man in Deutschland für Griechen-land – und andere Euro-Länder - leisten kann.
Wer stattdessen lieber argumentiert, überschul-dete Verlierer-Nationen sollten aus der Euro-Zone ausscheiden, der stellt sich die europäische Wirt-schaft offensichtlich als eine Art Fußball-EM vor, bei der die Unterlegenen das Turnier verlassen müssen. Nur bleibt dann Deutschland am Ende als einziger übrig – und ist umringt von ruinierten Ländern, mit denen es keinen Handel treiben kann.

Nur schwarze Schafe? Menschenrechts- und Umweltverbrechen deutscher Industriekonzerne


Diese Seite berichtet immer wieder auch von schweren Umweltschäden durch führende Unternehmen wie RWE; RAG, ABB-Envio usw. Aber dieselben Kapitalgesellschaften, die uns Luft und Wasser verpesten, Fisch und Grünkohl vergiften, zählen auch weltweit zu den größten Sündern gegen Umwelt- und Menschenrechte.

Nach einer aktuellen Auswertung der Universität Maastricht über 1.877 Menschenrechtsbeschwerden, die beim Business & Human Rights Resource Centre* zwischen 2005 und 2014 eingingen, belegt die deutsche Wirtschaft unter allen Menschenrechtsbrechern der Welt den fünften Rang hinter den USA, England, Kanada und China.

Weitaus die meisten Menschenrechtsverstöße gehen mit gigantischen Umweltzerstörungen durch industrielle Großprojekte einher. Bis 2014 bezog sich fast jede dritte Beschwerde auf Bergbau- und andere extraktive Industrien (29%), gefolgt von IT-Konzernen (16%) und Konsumgüterproduktion (15%). Typische Beispiele sind die Verseuchung von Wasser zur Gewinnung von Kupfer für deutsche Autos, die Flutung von Dörfern für einen Staudamm durch HochTief, die gewaltsame Vertreibung ansässiger Bewohner für Tagebau und Industriezonen, die Vernichtung angestammter Lebensräume für Kaffee- oder Palmöl-Plantagen, die Ausbeutung von Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie.

In Deutschland steht vor allem der Import von Rohstoffen für die Automobil- und Chemieindustrie am Pranger. Verbindliche Regeln für deutsche Unternehmen gibt es bis heute nicht. Klaus Milke von Germanwatch: "Bundesregierung und Parlament setzen weiter ausschließlich auf freiwillige Maßnahmen der Unternehmen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen jedoch: Freiwillige Maßnahmen von Vorreitern unter den Unternehmen sind wichtig, sie verhindern aber nicht das unverantwortliche Verhalten schwarzer Schafe.“

Als 2011 – erst ! – der Human Rights Council der UNO allgemeine „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ beschloss, verweigerte die deutsche Regierung die Umsetzung. Erst Ende 2014 rang sich die GroKo unter Federführung des Außenministers dazu durch, mit Beteiligung von Zivilgesellschaft und Wirtschaftsverbänden einen sogenannten „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte" zu entwickeln. An diesem Mittwoch (6. Mai 2015) stellte sie den ersten Zwischenbericht vor. Mitte 2016 will das Kabinett den Aktionsplan verabschieden.

In Frankreich hat die Nationalversammlung vor kurzem große Unternehmen zu einer Sorgfaltsprüfung im Bereich Menschenrechte und Umwelt verpflichtet, mit Geldbußen von bis zu 10 Millionen Euro und zivilrechtlicher Haftung für die Verletzung der Vorsorgepflicht. In Deutschland steht es in den Sternen, ob und wann es zu so einer Regelung kommen könnte.
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*Unabhängige NGO in London, gegründet 2002, die mit der UNO zusammenarbeitet.