Montag, 28. Juli 2014

Am Beispiel Palästina. Zu den Religionskriegen des 21. Jahrhunderts


Es gibt aktuell wohl keinen zweiten heißen Krieg auf der Welt, dessen Historie, Ursachen und Hintergründe so breit und umfassend analysiert vor aller Augen liegen wie beim Krieg um Palästina. Den allbekannten Tatsachen können die täglichen Gräuelnachrichten nichts wirklich Neues hinzufügen – was sie nicht weniger entsetzlich macht. Wie politische Repräsentanten zu diesem Krieg Stellung beziehen, ist längst zu einer Frage ihrer eigenen politisch-ethischen Grundhaltung geworden, zur Scheidelinie zwischen Rechts und Links, Oben und Unten, Gestern und Morgen.

Um das zu verdeutlichen, rufe ich nur zwei Momente dieses Konflikts in Erinnerung, die wirklich schon rauf und runter ausdebattiert sind und dennoch von den meisten Menschen immer wieder „vergessen“ werden.

Erstens: Seit 1948 (sogar noch früher) wird dieser Krieg von beiden Seiten nicht nur im Namen gegensätzlicher Nationalinteressen, sondern auch zum Schutz der jeweiligen Religionen geführt. Die Unversöhnlichkeit und verbissene Opferbereitschaft beider Seiten wurzelt vor allem darin. Wie ist das möglich, dass im 21. Jahrhundert Nationen im Namen jahrtausendealter Mythen sich gegenseitig abschlachten? Begreifen kann das nur, wer sich das Wesen und die gesellschaftliche Funktion der Religion klar macht.

Religion ist eine Fluchtbewegung der Menschheit, eine geistige Hilfskonstruktion, mit der sie alle Erscheinungen der Natur, die sie nicht versteht, denen sie geistig nicht gewachsen ist, für die ihr Erkenntnisvermögen nicht hinreicht, auf eine übernatürliche, überirdisch-jenseitige Ursache abschiebt, in Gestalt eines göttlichen Willens, dem sich der religiöse Mensch bedingungslos unterworfen glaubt und der ihn des eigenen menschlichen Willens (als Konsequenz aus eigener Welterkenntnis) enthebt, ihn von der Not (-wendigkeit) eigener Erkenntnisanstrengung und den darin eingeschlossenen Konflikten erlöst.

Da beim religiösen Menschen der Gehorsam gegenüber einem fremden, ihn allmächtig beherrschenden Willen an die Stelle eigener ethischer Entscheidung tritt, eignet Religion sich bestens, um Menschen für Handlungen zu motivieren, auf die sie sich aus eigenem freiem Willen niemals einlassen würden. Religion eignet sich dazu sogar besser als die vulgärdarwinistische Ideologie vom „Kampf ums Überleben“, mit der die bürgerliche Klasse ihre Konkurrenzkämpfe verbrämt, und die doch immer auch die gefährliche Frage nach Sinn und Richtung des evolutionären Fortschritts aufwirft – wohingegen Religion solche Fragen mit der Berufung auf den göttlichen Willen ausschließt.

Während die modernen westlichen Demokratien, ebenso wie sozialistische Staaten, Religion(en) zur „unpolitischen“ Privatsache der Individuen erklärten – Trennung von Staat und Kirche, ein epochaler Fortschritt zu geistiger Freiheit und zu den Menschenrechten! – kehren sowohl die zionistische Ideologie als auch fundamentalistische Varianten des Islam wieder zur religiösen Bevormundung der Menschen und der Politik zurück – und damit zu den Glaubenskriegen des Mittelalters. Diesen Rückfall ins Mittelalter wird die Menschheit nur überwinden können auf dem Weg, den Karl Marx in Anlehnung an Bruno Bauer schon vor 170 Jahren aufzeigte: „In Bauers Sinn hat jedoch die Judenfrage eine allgemeine, von den spezifisch deutschen Verhältnissen unabhängige Bedeutung. Sie ist die Frage von dem Verhältnis der Religion zum Staat, von dem Widerspruch der religiösen Befangenheit und der politischen Emanzipation. (…) Der Mensch emanzipiert sich politisch von der Religion, indem er sie aus dem öffentlichen Recht in das Privatrecht verbannt.“ (Karl Marx, Zur Judenfrage, 1843/44)

Zweitens: Seine materielle Grundlage hat der Anachronismus des „Religionskrieges“ in den Sozialstrukturen, Herrschafts- und Eigentumsverhältnissen innerhalb der kriegführenden Gesellschaften. Beide dort aufeinander einschlagende Glaubensbekenntnisse wenden sich äußerst elitär und aggressiv gegen Andersgläubige.

Nach zionistischer Doktrin ist das Volk der Juden von Gott auserwählt, Seiner Weltordnung eine „Heimstatt“ zu schaffen, und zwar in „Eretz Israel“, dem heiligen Land, das wieder in Besitz zu nehmen göttliches Gebot sei. Ihm geht es also erklärtermaßen um die Aneignung eines Landes und seiner Reichtümer aus fremdem Eigentum. Mit diesem erklärten Ziel dienten sich die Zionisten schon vor dem ersten Weltkrieg den Nahostinteressen der britischen Kolonialmacht und später den strategischen lnteressen des US-Imperiums an, beide benutzten und benutzen noch heute die zionistische Bewegung als Waffe gegen ein Erstarken der arabischen Länder. Bis heute könnte der zionistische Staat seine permanenten gewaltsamen Übergriffe auf arabisches Eigentum nicht durchführen ohne die massive finanzielle und militärische Aufrüstung aus der US-amerikanischen Hochfinanz. Die israelische Oberklasse profitiert, neben den Subventionen aus den USA und der Ausbeutung der eigenen israelischen Staatsbürger, von den Hunderttausenden billigster palästinensischer „Gastarbeiter“, die das vom israelischen Besatzungsregime erzeugte und aufrecht erhaltene Elend, die Sperrung sogar der Wasserversorgung usw., über die Grenze in die israelischen Agrar- und Industriebetriebe treibt.

Auf der Gegenseite predigt der fundamentalistische Flügel des Islam die Erlösung der Gläubigen durch den Märtyrertod im heiligen Krieg gegen die Ungläubigen. Dies menschenverachtende Dogma konnte im Gazastreifen von der Hamas zur Staatsreligion erhoben werden, weil es aufgrund der elenden Lebensbedingungen unter der israelischen Besatzungspolitik eine besondere Überzeugungskraft in den verarmten, oft gewaltsam enteigneten kleinbäuerlichen Massen gewinnt. Man könnte es für eine besonders perfide zionistische Strategie halten, gerade im Gazastreifen die Lebensgrundlagen so unerträglich zu zerstören, um in der zunehmenden Verzweiflung und daraus folgenden Radikalisierung der Bevölkerung immer neue Vorwände für militärische „Strafexpeditionen“ zu finden, die eine friedliche Koexistenz beider Völker unmöglich machen.  Während in Gaza die Verwaltung sich fast ausschließlich aus der Funktionärshierarchie von Hamas rekrutiert, bestimmen in der Westbank immer noch die großen Grundbesitzerclans die Politik und Verwaltung. Naturgemäß sind sie mehr an Verhandlungslösungen mit den Großmächten interessiert, Hamas hingegen sucht und findet eher Hilfe bei ähnlich fundamentalistisch ausgerichteten Golfstaaten.

In Kenntnis dieser Fakten kann es für linke Politik zu diesem Konflikt nur eine Haltung geben:

Wenn heute die deutsche Regierung, im Einklang mit den USA und allen westlichen Großmächten – und in ihrem Kielwasser leider auch einige Vertreter der Linkspartei – die zionistische Expansion in Palästina und die Verhinderung eines souveränen und lebensfähigen palästinensischen Staates als „Verteidigung des Existenzrechts Israels“ ausgeben, so leistet das nicht nur Beihilfe zu den zionistischen Kriegsverbrechen, sondern schlägt dem eigenen Verfassungsgrundsatz der modernen laizistischen Demokratie offen ins Gesicht. Im Gegensatz dazu muss eine „besondere deutsche Solidarität mit Israel“ sich heute klar auf die Seite der israelischen Friedensbewegung gegen die israelische Regierung stellen. Diese klare Unterscheidung zwischen dem militanten Zionismus und den guten Kräften des jüdischen Volkes wäre auch die notwendige Kampfansage an jeglichen Antisemitismus.

– Auf der anderen Seite kann nur ein starker internationaler Einsatz für die Unantastbarkeit palästinensischen Eigentums und das volle palästinensische Selbstbestimmungsrecht, bis zur Gründung eines einheitlichen, souveränen und lebensfähigen Palästinenserstaates die Bedingungen schaffen, um den radikal-islamistischen Gotteskriegern der Hamas den Boden zu entziehen. Nur durch energische Unterstützung der Zwei-Staaten-Lösung kann linke Politik heute zum Frieden in Palästina beitragen.

Mittwoch, 2. Juli 2014

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Wenige Gewinner – viele Verlierer. Erfahrungen mit Wirtschaftsförderung in Dortmund



„Strukturwandel“: Spaltung der Gesellschaft auf neuer Grundlage

Etwa um die Jahrtausendwende, mit dem Wechsel im Amt des Oberbürgermeisters von Günter Samtlebe zu Dr.G.Langemeyer, wurde in Dortmund das Industriezeitalter („Kohle-Stahl-Bier“) amtlich für beendet erklärt. Die letzten Großkonzerne (TKS, Brau-und-Brunnen/Oetker) verzogen sich, hinterließen Altlastenflächen so groß wie Städte mitten in der Stadt und 40.000 Arbeitslose. Ausgerufen und massiv vorangetrieben wurde ein „Strukturwandel“ zur Dienstleistungs- und „Wissensgesellschaft“.

Dortmund hat seit der Bergbaukrise der 70’er Jahre und der 10 Jahre später einsetzenden, bis heute andauernden Krise der Stahlindustrie, schließlich der Brauereien, rund 80.000 industrielle Arbeitsplätze verloren; im Dienstleistungssektor aber nur 40.000 neue Jobs gewonnen. Dazwischen klafft die Beschäftigungslücke, die seit 30 Jahren etwa gleichbleibend 40-50.000 Einwohner der Stadt von Erwerbsarbeit ausschließt.

Bei der Stilllegung der Stahlproduktion in Dortmund versprach ThyssenKrupp einige Tausend Ersatzarbeitsplätze. Dafür – vielmehr stattdessen – heuerte der Konzern die Unternehmensberatung McKinsey an, und die schwatzte dem Kunsthistoriker auf dem OB-Sessel ein phantastisches Wolkenkuckucksheim auf: das „Dortmund-Project“. Es machte sich anheischig, binnen zehn Jahren (bis 2010)
-          70.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen,
-          die Einwohnerzahl um 30.000 zu erhöhen,
-          die Arbeitslosenzahl unter 13.000 zu senken,
-          die Wertschöpfung von 45.000 auf 70.000 DM je Einwohner zu steigern.
70.000 Arbeitsplätze, das entsprach einem Viertel des Bestandes, in zehn Jahren neu oben drauf. Umkehr des epochalen Einwohnerverlustes, an dem rundherum alle Großstädte leiden. Wertschöpfungs-, Einkommens- und Steuerzuwächse um "mindestens 50 %".

Und das alles nur durch energische Förderung dreier Leitbranchen: Anfangs konzentrierte McKinsey das Dortmund-Project nur auf drei Wirtschaftszweige, die um die Jahrtausendwende überdurchschnittlich expandierten und hier günstige Bedingungen vorfanden:
-          unternehmensnahe IT-Dienstleistungen, Callcenters, Softwareentwickler usw.,
-          Transport, Lagerung und elektronisch gesteuerte Logistik,
-          Mikrosystem- und Nanotechnik.
Später kamen Biotechnologie und Gesundheitsdienstleistungen hinzu, noch später „Produktionstechnik“ und „Kreativwirtschaft“.

Doch schon zur Halbzeit (2005) mussten Dr. L. und seine Berater die Hosen herunter lassen. Keine seiner Zielgrößen erreichte das Dortmund-Project auch nur annähernd. Die Einwohnerzahl schrumpfte während seiner Laufzeit weiter (von 591.000 unter 580.000). Das Anlocken auswärtiger Unternehmen erwies sich, trotz Ausrichtung der gesamten Dortmunder Kommunalpolitik auf den „Standortwettbewerb“, als Fehlschlag und verschwand in der Routine weltweiter Messeauftritte. Im Fokus blieben die Unternehmensgründer. Mit Blick auf sie entfaltete die Wirtschaftsförderung Dortmund das Knüpfen von Netzwerken („Cluster“) in den von McKinsey hochgejubelten „Führungs“- oder „Zukunftsbranchen“.

Von 2000 an nahm die Zahl der Erwerbstätigen am Arbeitsort Dortmund zwar um etwa 30.000 zu (auf 305.000). Neue Arbeitsplätze entstanden so jedoch vor allem in Klein- und Kleinstbetrieben („Ich-AG's“), Minijobs, zu Niedriglöhnen, auf Zeit, in Leiharbeit und Scheinselbständigkeit. Seit 2006 weist der Dortmunder Arbeitsmarkt mehr atypische Beschäftigung auf als Normalarbeitsverhältnisse (2012: 113.000 zu 91.500). Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (SVB) nahm seit 2006 statistisch um 23.091 Stellen zu, aber ausschließlich durch Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitbeschäftigung (2008-2013: +13.400 SVB / +16.600 Teilzeit). Mit der Folge, dass Dortmund zur heimlichen Hauptstadt der "Aufstocker" wurde, die von ihrem Arbeitslohn nicht überleben können und ergänzendes ALG2 beziehen müssen.

Zwei Kennzahlen kennzeichnen das unternehmerfreundliche und elitäre Wesen des „Strukturwandels“ am deutlichsten: Die Quote der Selbständigen an allen Erwerbstätigen wurde hochgetrieben (von 9,8 auf 15 %), der Anteil der Hochqualifizierten ebenso (von 10,5 auf 15 %). Wenn man den Zuwachs an Beschäftigung nach Ausbildungsabschlüssen aufschlüsselt, stellt sich heraus: Die Zahl der sozialversichert Beschäftigten wächst ausschließlich im Segment der Hoch- und Höchstqualifizierten, der Akademiker – neudeutsch: „High Potentials“ (+131 % gegenüber 1987). Hingegen ging die Zahl der Beschäftigten mit abgeschlossener Lehre oder Fachschule zurück (-12 %), die der Ungelernten sank sogar fast um die Hälfte (-47 % gegenüber 1987).

Das ganze Ausmaß der Misere zeigen folgende Zahlen: Ende 2013 gibt es in Dortmund noch 23.273 Arbeitsplätze für Ungelernte, das sind 21.342 Stellen weniger als 1987. Und beinahe ebenso viele Ungelernte sind Ende 2013 arbeitslos gemeldet: 22.190.

Insgesamt steigt also, konjunkturabhängig, das Erwerbspersonenpotential und die Beschäftigungsquote auch in Dortmund. Aber der Abbau der Arbeitslosigkeit in Dortmund ist schwächer als im Landes- und Bundesdurchschnitt. Insgesamt zeichnet sich der Dortmunder Arbeitsmarkt durch einen hohen Anteil an „Miss-Match-Arbeitslosigkeit“ gerade im gering qualifizierten Bereich aus, d. h. die vorhandenen Qualifikationen passen nicht zu den angebotenen Stellen.

Der „Strukturwandel“ nützte also ausschließlich der Oberschicht und schadete der breiten Masse der Dortmunder-innen.

Als Reaktion auf die katastrophale Zwischenbilanz wurde ab 2005/2008 das Dortmund-Project sang- und klanglos ins Organigramm der Wirtschaftsförderung als eine Betriebsabteilung unter anderen eingegliedert. Aber seine neoliberale Denke - Langemeyer: „Wirtschaftsförderung ist die beste Sozialpolitik“ - hat Maßstäbe gesetzt; seine Methoden gelten unter den Wirtschaftsförderern als erfolgreich; diese „Erfolge“ haben die Dortmunder Stadtgesellschaft nachhaltig verändert.


Die sozialen Folgen

Die Folgen der strukturellen Arbeitslosigkeit für den Lebensstandard der Dortmunder-innen sind seit dem ersten Armutsbericht der Sozialforschungsstelle (1995) bekannt und heute noch gravierender als damals:
-          sinkende Realeinkommen für die Mehrheit,
-          stagnierende Massenkaufkraft und Einzelhandelsumsätze,
-          Zunahme der Überschuldung und Insolvenzen,
-          hohe Kinderarmut.

Infolge des forcierten Strukturwandels von der kapitalintensiven Großindustrie zu geringer kapitalisierten Dienstleistungen sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Erwerbstätigen in Dortmund weit unter den Durchschnitt der 20 größten westdeutschen Städte.

Dem BIP folgten die verfügbaren Einkommen und die Kaufkraft. Seit den neunziger Jahren sind die Haushaltseinkommen bundesweit netto (nach Abzügen) um 2 % gesunken - nur bei Selbständigen und Vermögenden stiegen sie um 38 %; die Verbraucherpreise stiegen gleichzeitig um 25 % -  in Dortmund liegen sie noch weit unter dem Bundesdurchschnitt und unter den meisten westdeutschen Großstädten. Die verfügbaren Einkommen pro Kopf liegen in Dortmund unter dem Landesdurchschnitt und auch unter dem Ruhrgebietsdurchschnitt. Ende 2013 bescheinigte das Statistische Bundesamt den Dortmunder-innen das höchste Armutsrisiko unter den größten deutschen Städten. Amtlich leben hier 26,4 % der Menschen an und unter der Armutsschwelle (von weniger als 869 € im Monat), seit 2005 ein Plus von 8 Prozentpunkten.

Bei der Überschuldung privater Haushalte und den Insolvenzen gehört Dortmund zu den Spitzenreitern in NRW. Die Kurve ist ansteigend, von 1996 auf 2006: 18.000 auf 30.000 überschuldete Haushalte.

Schockierend ist die mit Hartz IV weiter verschärfte Armutssituation von Kindern und Jugendlichen: Seit der SPD-grünen Arbeitsmarktreform von 2005 leben mehr als 30 % der Dortmunder-innen unter 16 Jahren in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften.

Die sozialen Gegensätze haben sich also in den letzten fünfzehn Jahren weiter verschärft. Die Beschäftigungsbilanz der Dortmunder Wirtschaftsförderung ist ein Hohn auf alle, die in unserer Stadt auf Dauer vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Tatsächlich konzentrierte sich das Interesse der Stadtspitze bis dato ausschließlich auf den „ersten“ Arbeitsmarkt und dort auf Fachkräfte. Ein großer Teil der Beschäftigten und der erwerbsfähigen Dortmunder-innen bleibt so auch von Amts wegen vom Strukturwandel abgehängt. Für sie hält diese Wirtschaft – sofern überhaupt – nur noch prekäre Jobs zu Niedriglöhnen bereit.


Das Gegenkonzept der LINKEN

Wir meinen, eine soziale und humane Wirtschaftspolitik für Dortmund muss anders aussehen.
Wenn ein Siebtel der Wirtschaftskraft einer Stadt brach liegt und ein Siebtel der erwerbsfähigen Bevölkerung unbeschäftigt mitgezogen werden muss, ruiniert das schon in Schönwetterzeiten die Sozialkassen und den Gemeindehaushalt. Erst recht in der Krise braucht die Stadt eine aktive Investitions- und Beschäftigungsstrategie. Sie darf nicht darauf bauen, dass Andere vielleicht etwas unternehmen, sondern muss selbst als Kommune gemeinwirtschaftlich handeln.

1.    Die Methode, die Starken zu subventionieren, macht die Lebensverhältnisse in unserer Stadt nur immer ungerechter. Unsere Stärke sind die Menschen, und zwar alle. Der Stadt kann es nur gut gehen, wenn sie alle Bürger-innen in die lokalen Wirtschaftskreisläufe einbezieht.
2.    Die Leuchtturmpolitik verschwendet nur die kommunalen Ressourcen und wird übrigens immer absurder, je rascher die öffentlichen Kassen sich leeren. Die Leuchttürme verstellen uns den Blick auf alles, was 50.000 Arbeitsuchende, nochmal soviele "ehrenamtlich" Tätige usw. sofort mit relativ bescheidenem Kapitaleinsatz aus dem Boden stampfen könnten.
3.    Stärkung des Gemeinwesens anstatt Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Ein Gemeinwesen hat wesentlich andere Aufgaben als eine Dienstleistungsagentur für private Unternehmen. Das riesige Leistungspotential unserer Menschen wird vor allem über lokale / regionale Wirtschaftskreisläufe erschlossen, die nicht ausschließlich wie kapitalistische Unternehmen organisiert werden können (Langemeyes Ideal: „Konzern Stadt Dortmund“).
4.    Wirtschaftsförderung muss zu allererst den Gemeinsinn fördern. Alle Konzepte, mit staatlichen Fördermitteln die Marktwirtschaft zu moderieren und zu volkswirtschaftlicher Vernunft zu bringen, sind historisch gescheitert und müssen immer wieder schnell an Grenzen stoßen. Die Unterwerfung des Gemeinwesens unter die Wettbewerbsideologie drängt die Kommunen zu ruinöser Dumpingkonkurrenz um die günstigsten Standortbedingungen für "Investoren".
5.    Kapitalistische Mehrwertproduktion funktioniert auch ohne öffentliche Subventionen, hingegen lokale und regionale Kreisläufe benötigen die Anschubfinanzierung vom Staat, der Kommune und öffentlichen Finanzinstituten wie Sparkassen, Sozialversicherungen, Stiftungen usw.

An erster Stelle kommunaler Wirtschaftspolitik der LINKEN steht daher eine soziale Beschäftigungspolitik, welche die -zigtausend Dortmunder-innen einbezieht, die keine realistische Chance am „ersten“ Arbeitsmarkt haben. Die Fraktion DIE LINKE im Dortmunder Stadtrat, die seit Jahren für eine aktive kommunale Beschäftigungspolitik eintritt, untersuchte kürzlich vor Ort, was öffentlich geförderte Beschäftigung schon heute leistet - und was sie leisten könnte (siehe „Arbeit für Alle“, Dortmund 2013).

Wie neben unserer Ratsfraktion auch die Dortmunder ARGE nachgewiesen hat, wäre es als ein erster Schritt sofort möglich, sämtliche 2.350 hier durch Hartz IV erzwungenen „1-€-Jobs“ in reguläre, sozialversicherte, tariflich zum Mindestlohn bezahlte Arbeitsverhältnisse umzuwandeln, wenn die Leistungen des ALG2, also Regelsatz, Kosten der Unterkunft und die Kosten der Arbeitsgelegenheiten gebündelt werden und der Trägeranteil von der Stadt bezuschusst wird.
Das wäre im Verhältnis zu 38.000 amtlich gezählten Arbeitsuchenden zwar noch kaum mehr als der berühmte Tropfen auf heißen Stein. Aber diese zusätzlichen Arbeitskräfte könnten, klug und sinnvoll eingesetzt, ab sofort Jahr für Jahr zusätzliche Werte von rund 100 Mio € schaffen. Damit könnten sie z.B. den Investitionshaushalt der Stadt schon im zweiten Jahr um ein Drittel erhöhen. Schon im zweiten Jahr ginge davon eine belebende Wirkung auf das örtliche Baugewerbe und Handwerk aus.

Als sinnvolle Beschäftigungsprojekte bieten sich in Dortmund sofort an:

-       neuer sozialer Wohnungsbau.
Von den 38.000 Arbeitsuchenden könnten einige Hunderte bereit und fähig sein, durch Selbsthilfe etwa auf genossenschaftlicher Grundlage sich ihre eigenen vier Wände zu schaffen. Nach wenigen Jahren könnten sie den kommunalen / staatlichen Vorschuß auf ihr Wohneigentum durch ihre handwerkliche Eigenleistung getilgt haben und damit das Gemeinwesen von lebenslangen Wohnkostenzuschüssen befreien.

-       dezentrale integrierte Kreisläufe für Energieversorgung und Wertstoffrecycling
Kleine Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung sind geeignet, das Preisdiktat der marktbeherrschenden Strom-, Gas- und Müllkartelle auszuhebeln und nicht nur der Masse der Kleinverbraucher, sondern auch der Kommune erhebliche Kosten zu sparen. Solche Anlagen können von jeweils einem Dutzend bis zu einigen hundert Haushalten in Eigenregie errichtet und betrieben werden. Binnen 10 bis 12 Jahren erwirtschaften sie ihre Investitionskosten.

-       Gesundheitswirtschaft und Seniorenbetreuung
Der „erste“, profitgebundene Arbeitsmarkt erweist sich als unfähig, der stetig wachsenden Zahl von Senioren eine menschenwürdige Versorgung und Betreuung zu bieten. Das wird eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Zukunftsaufgabe des gemeinnützigen, öffentlich geförderten „zweiten“ Arbeitsmarktes.

-       Bildung und Erziehung
Wenn wir den Anschluß an die Bildungsniveaus fortgeschrittener Länder wieder gewinnen wollen, müssen unser Land und unsere Stadt erheblich mehr sowohl in die Bildung und (Ganztags-) Betreuung unserer Kinder und Jugendlichen als auch in die Familienarbeit investieren. Das überfordert die Möglichkeiten sowohl des öffentlichen Dienstes als auch des gewinnorientierten „ersten“ Arbeitsmarktes bei weitem. Ein heute noch gar nicht abzuschätzendes Beschäftigungsfeld für den ÖBS.

Mit dem Wechsel an der Stadtspitze (von Langemeyer zu Sierau) macht sich nun ein vorsichtiges Umdenken bemerkbar. Um die Jahreswende 2011/2012 brachte der Verwaltungsvorstand eine „Kommu­nale Arbeitsmarktstrategie 2015“ auf den Weg. Sie umfasste zunächst neun Beschäfti­gungsprojekte. Obzwar das Programm auf vier Jahre befristet war und nur 655 Stellen im Jahresdurchschnitt bot, zeigte es doch, dass ein Kurswechsel zu einer verantwortlicheren kommunalen Arbeitspolitik und Armutsbekämpfung auch in Dortmund keine Utopie bleiben muss.

Auch bei der Finanzierung des Programms brachen OB Sierau und Kämmerer Stüde­mann mit den Tabus der Langemeyer-Ära und gingen den Weg, den sowohl die LINKE als auch Sozial­verbände seit langem forderten:
-  Knapp die Hälfte der Kosten (etwa 2,7 Mio € p.a.) sind durch Einsparung der KdU für die ins Programm aufgenom­menen Arbeitslosen abzudecken,
-  Für den Rest (3,5 Mio €) wurde die Gewerbesteuer angehoben.

Allerdings bremste eine große Koalition aller marktgläubigen Ratsfraktionen den OB sogleich aus und kürzte seinen zaghaften Plan auf die Hälfte zusammen. Nur die LINKE unterstützte den Plan ohne die Kürzungen. Aber wie man sieht, trägt unsere jahrelange Agitation für den ÖBS, an der Seite der Wohlfahrtsverbände und Beschäftigungsinitiativen, erste Früchte.