Der Bonner Europa-Parteitag der LINKS-Partei Ende Februar
2019 hat natürlich die krassen Gegensätze in der Bewertung der EU nicht
aufgehoben. Nach wie vor streben die meisten Spitzenfunktionär*innen
der Partei einen deutlichen Pro-EU-Kurs an und wollen mit SPD und Grünen „Mehr Europa
wagen.“
– Wobei man so absichtlich wie falsch die EU mit ganz Europa gleich setzt.
– Die Emanzipatorische Linke steht weiterhin
für eine Überwindung des Nationalstaats und eine Politik der „Offenen Grenzen“. Das Forum
Demokratischer Sozialismus (der Flügel der
Parteivorsitzenden Katja Kipping) wollte in das Wahlprogramm die Forderung
nach einer "Republik
Europa" aufnehmen lassen, welche die bestehenden
Nationalstaaten ablösen soll. (Dieser Antrag fiel mit immerhin 44 % der Delegiertenstimmen
nur knapp durch.) Und Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, wird
nicht müde zu bekennen: „Ja, wir sind Europäerinnen und Europäer.“
Andere Parteiströmungen sehen unverändert die EU als eine
Agentur des großen Kapitals zum Generalangriff
auf den Sozialstaat und die Demokratie. Sie sind daher nicht bereit, noch
mehr nationale Souveränität an die EU-Institutionen abzugeben.
Dabei kann niemand leugnen, dass die Ziele, mit denen man dem breiten Publikum erst die EWG
(Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) und schließlich die WWU (Wirtschafts- und
Währungsunion) mitsamt dem Euro schmackhaft machen wollte:
-die EU sei ein dauerhaftes Friedensbündnis,
-mit der Freizügigkeit
und der gemeinsamen Währung würden
Schritt für Schritt auch die Lebensverhältnisse
und Sozialsysteme harmonisiert und verbessert,
-und der Wille der europäischen Völker solle sich in demokratischen Verfahren manifestieren,
diese Versprechungen in all den hunderten Verträgen zwischen
den Regierungen im großen und ganzen Lippenbekenntnisse ohne praktische
Umsetzung blieben. Die Institutionen und Verfahren der Union sind in keiner
Weise demokratisch strukturiert und noch weniger demokratisch legitimiert.
Gerade das
"Europaparlament" ist dafür ein krasses Beispiel. Es ist eigentlich
gar kein Parlament im Sinne westlicher Demokratien. Zwar wird es von den
Völkern der Mitgliedsländer seit 1979 direkt gewählt (wenngleich von Land zu
Land nach unterschiedlichen Wahlverfahren), aber ihm fehlen wesentliche Rechte
einer Volksvertretung: Die Gesetzgebung teilt es sich mit dem Rat der Regierungschefs,
kann Gesetze (Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen) nur nach einer intransparenten
Kungelei annehmen oder ablehnen. Es hat selbst kein Initiativrecht zu Gesetzen
und Verordnungen. Es kann das Spitzenpersonal der Exekutive nur aus Vorschlägen
des Rats auswählen, auch seine Mitsprache über den Haushalt der EU unterliegt einer
hoch komplizierten Abstimmungsprozedur mit dem Rat und der EU-Kommission.
Wir Linken müssen uns also fragen, ob und wie wir in diesem
bürokratischen Monstrum EU ein solches Scheinparlament im Interesse der unteren
Klassen ausnutzen können. In der Öffentlichkeit gilt ja die LINKE immer noch als
Anti-EU-Partei. Nur wenn es reale Ansatzpunkte dafür gibt, mithilfe
der linken Parlamentsfraktion Gegenmacht aufbauen bzw. stärken zu können, nur
dann dürften Linke sich da hinein wählen lassen.
Es bleibt zwar richtig, die Neugründung eines sozialen und demokratischen Europa von unten zu
fordern, wie es jetzt auch im Wahlprogramm heißt, doch die Linke hat noch keine
Antwort auf die Frage gefunden, wie das durchgesetzt werden soll. Solange Linke
und Gewerkschaften, ungeachtet der in eine völlig andere Richtung laufenden
realen Entwicklungen, an ihrer "kritischen Zustimmung" zu dieser EU
festhalten, blockieren sie sich selbst, eine wirksame Gegenmacht zu entwickeln.
Netzwerke der
Solidarität schaffen
Dies wird aber immer dringlicher, da die wirtschaftlichen
Konflikte zwischen dem von Deutschland dominierten Zentrum und der südlichen
Peripherie sich von Jahr zu Jahr zuspitzen, die EU in die Krise treiben und nationalistische Hetze anheizen.
Immer mehr gerät der Kontinent in Aufruhr. Überall protestieren Menschen gegen
eine Politik, die Armut und Ungleichheit verschärft und die Demokratie
missachtet. Sie fordern eine andere Antwort auf die Krise, ein soziales Europa
und wehren sich gegen die Arroganz der Mächtigen.
An den linken Fraktionen ist es, diesem Aufruhr auch eine parlamentarische
Stimme zu geben. Das kann durchaus Gegenmacht von unten stärken - ohne
schädliche linksliberale Illusionen zu erzeugen. Linke Politik muss dazu
beitragen, Netzwerke der Solidarität und
der Opposition gegen die neoliberalen Diktate der EU zu knüpfen, Netzwerke
zwischen europäischen, nationalen, regionalen und kommunalen Bewegungen. Dem
hat unsere Arbeit in Parlamenten sich einzufügen. Auch im Pseudoparlament der
EU können wir dazu beitragen.
Das erfordert vor allem eine Strategie der europaweit koordinierten Mobilisierung
für zivilgesellschaftlichen "Ungehorsam" gegen neoliberale Diktate
der EU und Mobilisierung für zentrale Forderungen der Sozialpolitik und der Infrastruktur.
Auf der Basis gemeinsamer Aktionsprogramme über Ländergrenzen hinweg kann die Zusammenarbeit innerhalb
der Fraktion der Vereinten
Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) und mit anderen Fraktionen im
EU-Parlament verstärkt werden. – Allerdings hat sich am Thema Zuwanderung und
"offene Grenzen" auch drastisch gezeigt, wie weit die linke Opposition
bei uns selbst noch von einem konsistenten, mehrheitsfähigen Alternativprogramm
zum EU-Regime entfernt ist.
Immerhin wäre es sofort möglich und notwendig, sich auf
wenige gemeinsame (!) Forderungen zu einigen. Das in Bonn beschlossene
Wahlprogramm taugt dazu nicht in Gänze. In ihm gehen ganz Europa betreffende
Forderungen und solche, die nur auf einzelstaatlicher Ebene realisierbar sind, durcheinander.
Insbesondere Regelungen zu Arbeitseinkommen, Arbeitszeiten und den Beschäftigungsbedingungen
sind auf absehbare Zeit nur auf nationaler Ebene verhandelbar, da sie stark mit
der jeweiligen Produktivität der verschiedenen Volkswirtschaften korrelieren.
Auch die meisten Systeme der sozialen Sicherung (Renten, Krankenversicherung,
aber auch Wohnungswesen, Mieten usw.) unterscheiden sich von Land zu Land
grundlegend und können nicht von heute auf morgen europäisch vereinheitlich
werden.
Der nächste Schritt hin zu einem europaweiten linken
Aktionsprogramm müsste also sein, aus dem Wahlprogramm diejenigen
Programmpunkte herauszufiltern, die über Ländergrenzen hinweg unmittelbar zu
verwirklichen wären, und sich mit anderen oppositionellen Kräften innerhalb und
außerhalb des Parlaments darüber abzustimmen.