Sonntag, 24. März 2019

Was wir im EU-Parlament erreichen können

Mein Input für die Kreismitgliederversammlung

Der Bonner Europa-Parteitag der LINKS-Partei Ende Februar 2019 hat natürlich die krassen Gegensätze in der Bewertung der EU nicht aufgehoben. Nach wie vor streben die meisten Spitzenfunktionär*innen der Partei einen deutlichen Pro-EU-Kurs an und wollen mit SPD und Grünen „Mehr Europa wagen.“  – Wobei man so absichtlich wie falsch die EU mit ganz Europa gleich setzt. – Die Emanzipatorische Linke steht weiterhin für eine Überwindung des Nationalstaats und eine Politik der „Offenen Grenzen“. Das Forum Demokratischer Sozialismus (der Flügel der Parteivorsitzenden Katja Kipping) wollte in das Wahlprogramm die Forderung nach einer "Republik Europa" aufnehmen lassen, welche die bestehenden Nationalstaaten ablösen soll. (Dieser Antrag fiel mit immerhin 44 % der Delegiertenstimmen nur knapp durch.) Und Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, wird nicht müde zu bekennen: „Ja, wir sind Europäerinnen und Europäer.“ 
Andere Parteiströmungen sehen unverändert die EU als eine Agentur des großen Kapitals zum Generalangriff auf den Sozialstaat und die Demokratie. Sie sind daher nicht bereit, noch mehr nationale Souveränität an die EU-Institutionen abzugeben.

Dabei kann niemand leugnen, dass die Ziele, mit denen man dem breiten Publikum erst die EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) und schließlich die WWU (Wirtschafts- und Währungsunion) mitsamt dem Euro schmackhaft machen wollte:

-die EU sei ein dauerhaftes Friedensbündnis,

-mit der Freizügigkeit und der gemeinsamen Währung würden Schritt für Schritt auch die Lebensverhältnisse und Sozialsysteme harmonisiert und verbessert,

-und der Wille der europäischen Völker solle sich in demokratischen Verfahren manifestieren,

diese Versprechungen in all den hunderten Verträgen zwischen den Regierungen im großen und ganzen Lippenbekenntnisse ohne praktische Umsetzung blieben. Die Institutionen und Verfahren der Union sind in keiner Weise demokratisch strukturiert und noch weniger demokratisch legitimiert.

Gerade das "Europaparlament" ist dafür ein krasses Beispiel. Es ist eigentlich gar kein Parlament im Sinne westlicher Demokratien. Zwar wird es von den Völkern der Mitgliedsländer seit 1979 direkt gewählt (wenngleich von Land zu Land nach unterschiedlichen Wahlverfahren), aber ihm fehlen wesentliche Rechte einer Volksvertretung: Die Gesetzgebung teilt es sich mit dem Rat der Regierungschefs, kann Gesetze (Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen) nur nach einer intransparenten Kungelei annehmen oder ablehnen. Es hat selbst kein Initiativrecht zu Gesetzen und Verordnungen. Es kann das Spitzenpersonal der Exekutive nur aus Vorschlägen des Rats auswählen, auch seine Mitsprache über den Haushalt der EU unterliegt einer hoch komplizierten Abstimmungsprozedur mit dem Rat und der EU-Kommission.

Wir Linken müssen uns also fragen, ob und wie wir in diesem bürokratischen Monstrum EU ein solches Scheinparlament im Interesse der unteren Klassen ausnutzen können. In der Öffentlichkeit gilt ja die LINKE immer noch als Anti-EU-Partei. Nur wenn es reale Ansatzpunkte dafür gibt, mithilfe der linken Parlamentsfraktion Gegenmacht aufbauen bzw. stärken zu können, nur dann dürften Linke sich da hinein wählen lassen.

Es bleibt zwar richtig, die Neugründung eines sozialen und demokratischen Europa von unten zu fordern, wie es jetzt auch im Wahlprogramm heißt, doch die Linke hat noch keine Antwort auf die Frage gefunden, wie das durchgesetzt werden soll. Solange Linke und Gewerkschaften, ungeachtet der in eine völlig andere Richtung laufenden realen Entwicklungen, an ihrer "kritischen Zustimmung" zu dieser EU festhalten, blockieren sie sich selbst, eine wirksame Gegenmacht zu entwickeln.

Netzwerke der Solidarität schaffen

Dies wird aber immer dringlicher, da die wirtschaftlichen Konflikte zwischen dem von Deutschland dominierten Zentrum und der südlichen Peripherie sich von Jahr zu Jahr zuspitzen, die EU in die Krise treiben und nationalistische Hetze anheizen. Immer mehr gerät der Kontinent in Aufruhr. Überall protestieren Menschen gegen eine Politik, die Armut und Ungleichheit verschärft und die Demokratie missachtet. Sie fordern eine andere Antwort auf die Krise, ein soziales Europa und wehren sich gegen die Arroganz der Mächtigen.

An den linken Fraktionen ist es, diesem Aufruhr auch eine parlamentarische Stimme zu geben. Das kann durchaus Gegenmacht von unten stärken - ohne schädliche linksliberale Illusionen zu erzeugen. Linke Politik muss dazu beitragen, Netzwerke der Solidarität und der Opposition gegen die neoliberalen Diktate der EU zu knüpfen, Netzwerke zwischen europäischen, nationalen, regionalen und kommunalen Bewegungen. Dem hat unsere Arbeit in Parlamenten sich einzufügen. Auch im Pseudoparlament der EU können wir dazu beitragen.

Das erfordert vor allem eine Strategie der europaweit koordinierten Mobilisierung für zivilgesellschaftlichen "Ungehorsam" gegen neoliberale Diktate der EU und Mobilisierung für zentrale Forderungen der Sozialpolitik und der Infrastruktur.

Auf der Basis gemeinsamer Aktionsprogramme über Ländergrenzen hinweg kann die Zusammenarbeit innerhalb der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) und mit anderen Fraktionen im EU-Parlament verstärkt werden. – Allerdings hat sich am Thema Zuwanderung und "offene Grenzen" auch drastisch gezeigt, wie weit die linke Opposition bei uns selbst noch von einem konsistenten, mehrheitsfähigen Alternativprogramm zum EU-Regime entfernt ist.

Immerhin wäre es sofort möglich und notwendig, sich auf wenige gemeinsame (!) Forderungen zu einigen. Das in Bonn beschlossene Wahlprogramm taugt dazu nicht in Gänze. In ihm gehen ganz Europa betreffende Forderungen und solche, die nur auf einzelstaatlicher Ebene realisierbar sind, durcheinander. Insbesondere Regelungen zu Arbeitseinkommen, Arbeitszeiten und den Beschäftigungsbedingungen sind auf absehbare Zeit nur auf nationaler Ebene verhandelbar, da sie stark mit der jeweiligen Produktivität der verschiedenen Volkswirtschaften korrelieren. Auch die meisten Systeme der sozialen Sicherung (Renten, Krankenversicherung, aber auch Wohnungswesen, Mieten usw.) unterscheiden sich von Land zu Land grundlegend und können nicht von heute auf morgen europäisch vereinheitlich werden.

Der nächste Schritt hin zu einem europaweiten linken Aktionsprogramm müsste also sein, aus dem Wahlprogramm diejenigen Programmpunkte herauszufiltern, die über Ländergrenzen hinweg unmittelbar zu verwirklichen wären, und sich mit anderen oppositionellen Kräften innerhalb und außerhalb des Parlaments darüber abzustimmen.

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