Sechs Thesen im
Anschluss an eine Sendung von M.Greffrath im Deutschlandfunk, zusammengefasst für
die Bezirksgruppe Dortmund-Hörde der LINKEN
Seit
einiger Zeit empören sich nicht nur Linke, sondern auch sozial bewußte
Bürgerliche über die obszön hohen Einkommen von Bänkern und Konzernbossen und
die explosionsartige Reichtumsvermehrung an der Spitze der Gesellschaft.
Besorgt fragte man sich jetzt sogar beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos, ob da
nicht etwas aus dem Ruder läuft. Aber was und warum, und was dagegen zu tun sei,
kann die bürgerliche Wissenschaft nicht erklären. „Theoretisch“ dürfte es eine
so abgrundtiefe Ungleichheit der Einkommen und Vermögen gar nicht geben. Nach
herrschender Lehre der „Marktwirtschaft“ sollten doch das wundersame
Zusammenspiel der „Produktionsfaktoren“ Kapital, Boden und Arbeit und der
harmonische Ausgleich von Angebot und Nachfrage für eine annähernd gerechte
Verteilung der Einkommen sorgen. Und wenn da etwas aus dem Gleichgewicht kommt,
kann das nur durch Störungen der Wirtschaft von
außerhalb verursacht sein: Politiker, Gewerkschaften, Habgier, Bestechung usw.
– aber niemals von den Marktmechanismen selbst. So die herrschende Lehre.
Wer
den Skandal nicht schicksalhaft hinnehmen und hilflos (oder scheinheilig)
bejammern, sondern beenden will, muss ihn verstehen. Wir können uns deshalb nicht
mit so oberflächlichen Theorien abspeisen lassen. Vielleicht hilft uns der
alte, amtlich totgesagte, wütend verschriene Karl Marx weiter, dem zerstörerischen
Wirken des privaten Reichtums auf den Grund zu gehen.
In
seiner Analyse des „Kapitals“ geht Marx zunächst auch von der Oberfläche der
Erscheinungen aus: „Der Reichtum der
Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint
als eine ungeheure Warensammlung… Die Ware ist zunächst…ein Ding, das durch
seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt.“ [MEW 23 S.49]. Sie hat also für den
Käufer einen bestimmten individuellen Gebrauchswert.
Wenn
sie auf dem Markt gehandelt, d.h. gegen Geld oder andere Waren getauscht wird,
muss sie aber auch einen Tauschwert haben. Und dieser muss für alle Waren, die
man gegeneinander tauschen kann, gleich sein. Den jeweiligen Gebrauchswerten nach
unterscheiden sich die Waren – ihrem Tauschwert nach sind sie gleich
(gleichwertig = äquivalent).
Daraus
ziehen wir eine erste Erkenntnis:
These (1) Wenn am Markt
Verkäufer und Käufer gleiche Werte gegeneinander tauschen, besitzt jeder von
beiden am Ende genau soviel Wert wie vorher, dadurch kann keiner von beiden
reicher werden als der andere – Reichtum und Wirtschaftswachstum können also nicht
am Markt entstehen, sondern müssen woanders entstehen.
Nun
kommt es zwar vor, und durchaus nicht selten, dass nicht Äquivalente getauscht
werden, sondern der eine Handelspartner den anderen übervorteilt (Prellerei, Betrug,
Wucher, unfaire Handelsverträge, Spekulation usw.). Damit kann zwar der eine
gewinnen, aber immer nur das was der andere verliert, im Durchschnitt bleibt
der Warenhandel ein Null-Summen-Spiel, die Wirtschaft kann dadurch nicht
wachsen.
Marx
fragte sich nun: Wenn allen Waren die Eigenschaft gemeinsam ist, dass sie
gleichen Tauschwert haben, was ist das Wesen dieses Tauschwerts?
Er
stellte fest: „Sieht man nun vom
Gebrauchswert der Warenkörper ab, so bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft,
die von Arbeitsprodukten… Als Kristalle dieser ihnen gemeinschaftlichen
gesellschaftlichen Substanz sind sie Werte – Warenwerte.“ [MEW 23 S.52]
Daraus
ziehen wir eine zweite Erkenntnis:
These
(2) Wert
entsteht durch Arbeit, allgemein menschliche, lebendige Durchschnittsarbeit, die einen Arbeitsgegenstand
(Naturstoff, Rohmaterial, Vorprodukt) mithilfe von Arbeitsmitteln (Produktionsmitteln:
Werkzeuge, Maschinen) zweckmäßig verändert.
Marx:
"Eine Maschine, die nicht im
Arbeitsprozess dient, ist nutzlos. Außerdem verfällt sie der zerstörenden
Gewalt des natürlichen Stoffwechsels. Das Eisen verrostet, das Holz verfault,
Garn, das nicht verwebt oder verstrickt wird, ist verdorbene Baumwolle. Die
lebendige Arbeit muss diese Dinge ergreifen, sie von den Toten erwecken, sie
aus nur möglichen in wirkliche und wirkende Gebrauchswerte verwandeln."
[MEW 23 S.198]
Soweit
waren schon vor Marx einige Ökonomen gekommen (Adam Smith, David Ricardo u.a). Sie
hatten auch schon herausgefunden, dass der Wert der Arbeitsprodukte sich
bemisst nach der jeweils zu ihrer Herstellung gesellschaftlich notwendigen
Arbeitszeit.
Soweit,
so gut. Aber damit ist immer noch nicht erklärt, wie es angeht, dass durch
Anwendung produktiver Arbeit der Unternehmer reicher wird und der Arbeiter so
arm bleibt wie vorher. Nach der Marktlogik des Äquivalententauschs müssten doch
z.B. acht Stunden Arbeit genau soviel wert sein wie der von ihr in dieser Zeit
geschaffene Warenwert – der müsste doch dann dem Arbeiter als Lohn für seine
Arbeit ausbezahlt werden, und der Unternehmer hätte nichts gewonnen.
Marx
sah also noch genauer hin und entdeckte:
These
(3)
Der Unternehmer kauft am Arbeitsmarkt nicht Arbeit und nicht Arbeitszeit,
sondern was er dem Arbeiter abkauft, ist dessen Arbeitskraft. Die menschliche
Arbeitskraft hat die Eigenschaft, dass sie (unter günstigen Bedingungen) mehr
Werte produzieren kann, als zu ihrer Herstellung und Erhaltung notwendig sind. Das
ist ihr spezifischer Gebrauchswert, und genau den hat der Unternehmer im Sinn,
wenn er diese Ware Arbeitskraft kauft.
Es
geht also alles ganz ehrlich und legal zu. Nach dem Marktgesetz, das besagt,
dass auch die Ware Arbeitskraft, die der Unternehmer kauft, genau soviel wert
ist, wie der Arbeiter zu ihrer Herstellung und Erhaltung braucht; der
marktgerechte Lohn entspricht also genau den gewöhnlichen Lebenshaltungskosten
des Arbeiters.
Als
Käufer der Arbeitskraft wird der Unternehmer für die vereinbarte Zeit ihr
rechtmäßiger Eigentümer, und als dieser gehört ihm der ganze Arbeitsertrag, der
ganze in dieser Zeit geschaffene Wert, von dem er nur den vorher vereinbarten
Arbeitslohn abziehen muss. So will es das bürgerliche Gesetzbuch.
Was
nach Abzug des Arbeitslohns vom produzierten Wert übrig bleibt, nennt Marx den
Mehrwert.
Das
ist das ganze Geheimnis. Damit enthüllte Marx, wie die einen immer reicher
werden, während die anderen immer nur höchstens soviel bekommen, wie sie brauchen,
um am nächsten Tag wieder arbeiten zu können – und arbeiten müssen, um zu
leben.
Um
dies Geheimnis unkenntlich zu machen, nennt die bürgerliche Ideologie „Marktwirtschaft“,
was eigentlich Mehrwertproduktion oder Kapitalverwertungswirtschaft heißen
muss.
Daraus
ergibt sich als weitere
These
(4) Die
bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft ist, solange es sie gibt – also auch
heute ! – in zwei Hauptklassen gespalten.
Was sie voneinander grundlegend unterscheidet, sind die Eigentumsverhältnisse:
- Die eine besitzt das
Kapital, um Mehrwert produzieren zu lassen, nämlich die Produktionsmittel und
das Geldkapital, um Arbeitskraft zu kaufen,
- die andere besitzt nur
Arbeitskraft, die sie infolgedessen ständig auf‘s neue an die
Produktionsmittelbesitzer verkaufen muss. Weil es ohne die produktive,
lebendige Arbeit auch keine Mehrwertproduktion geben kann, gibt es ohne Lohnarbeiter
auch keine Kapitalisten. Das Gerede vom Verschwinden der Arbeiterklasse ist
also dummes Zeug.
Käufer
und Verkäufer von Arbeitskraft haben natürlich genau entgegengesetzte Interessen:
Der Arbeiter will so wenig wie möglich von seiner Arbeitskraft verkaufen und
dafür so viel wie möglich an Lohn erhalten. Der Kapitalist hingegen versucht
mit allen Mitteln, die Löhne so niedrig wie möglich zu halten und die
Arbeitsleistung über das notwendige Maß hinaus zu steigern, denn das ist ja die
Quelle seines Reichtums.
So
kämpfen beide zunächst als Individuen gegeneinander. Mit Aufkommen des
Industriebetriebs ist der Unternehmer auf das Zusammenwirken vieler
Arbeitskräfte angewiesen, und das merken natürlich auch die Arbeiter. Es bilden
sich Koalitionen (Gewerkschaften, Unternehmerverbände, politische Parteien, sie
nehmen Einfluss auf die Gesetzgebung usw.) Es kommt unvermeidlich zum
Klassenkampf. Auch das hatte schon Adam Smith beobachtet.
Nun
meinen nicht nur bürgerliche Gelehrte und der journalistische Mainstream,
sondern die ganze sozialdemokratische Denke ist darauf gegründet und hat da
immer noch die breite Masse der Arbeitenden hinter sich:
„Wenn unsere Gesellschaft nun mal so aufgebaut ist, dass wir nur arbeiten können, weil und damit unsere Arbeit die Kapitalisten immer reicher macht, dann sei’s drum, sollen sie doch an ihrem Reichtum ersticken – wenn sie uns nur das geben, was uns zusteht: Arbeit, Löhne, die zum Leben reichen, und Arbeitsbedingungen, die uns nicht vor der Zeit zu Invaliden machen. Dann müssten doch beide Seiten dasselbe Interesse haben, möglichst viele Arbeiter in Arbeit zu bringen, sprich: Vollbeschäftigung nützt doch beiden Seiten.“
„Wenn unsere Gesellschaft nun mal so aufgebaut ist, dass wir nur arbeiten können, weil und damit unsere Arbeit die Kapitalisten immer reicher macht, dann sei’s drum, sollen sie doch an ihrem Reichtum ersticken – wenn sie uns nur das geben, was uns zusteht: Arbeit, Löhne, die zum Leben reichen, und Arbeitsbedingungen, die uns nicht vor der Zeit zu Invaliden machen. Dann müssten doch beide Seiten dasselbe Interesse haben, möglichst viele Arbeiter in Arbeit zu bringen, sprich: Vollbeschäftigung nützt doch beiden Seiten.“
Doch
leider-leider sind es nicht „Managementfehler“ von „Nieten in Nadelstreifen“,
die die ständigen Konflikte um die Arbeit verschulden, und es ist auch nicht „Profitgier“
oder sonst ein moralischer Defekt. Sondern:
Am
Ende des Produktionsprozesses hat der Kapitalist den produzierten Wert erst
einmal als Haufen von Waren auf Lager, die er am Markt verkaufen muss, um sie
zu verwerten. Dort tritt er in Konkurrenz zu anderen Kapitalisten, die auch
ihre Waren verkaufen wollen.
Daraus
folgt eine fünfte Erkenntnis:
These (5) Die Konkurrenz
zwingt die Kapitalisten, die Waren so preisgünstig wie möglich herzustellen, Produktionskosten
zu senken, aus möglichst wenigen Arbeitern maximale Leistung herauszupressen,
die lebendige Arbeit effektiver zu machen durch immer rationellere Technik usw.
Aus diesem konkurrenzbedingten Zwang zu Innovation und Rationalisierung erklärt
sich, dass die Anhäufung von immer mehr Reichtum zugleich immer mehr
Arbeitslosigkeit erzeugt, wie wir sie heute in allen kapitalistischen Ländern
vorfinden.
Marx
fasste diesen Widerspruch als „absolutes, allgemeines Gesetz der
kapitalistischen Akkumulation“ zusammen: „Je
größer der gesellschaftliche
Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums,
also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner
Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee… Die verhältnismäßige Größe
der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums.“
[MEW 23 S.673].
Das
eskaliert also immer mehr, je mehr Reichtum wir produzieren. Auch wenn dieser
Prozess sich nur über lange Zeiträume und mit vielerlei Gegentendenzen
durchsetzt.
Viele
meinen nun, diesen Widerspruch, den der einzelne Kapitalist nicht lösen kann –
und die Arbeiter auch nicht, solange sie nur darauf aus sind, ihre Arbeitskraft
marktgerecht zu verkaufen – diesen Widerspruch zu lösen sei Sache des Staates.
In bestimmter Weise trifft das auch zu. Tatsächlich erkennt auch die
Kapitalistenklasse, dass ihre Konkurrenz die ganze Gesellschaft zu sprengen
droht, wenn nicht bestimmte Höchstgrenzen der Ausbeutung der Arbeitskräfte gesetzt
und eingehalten werden. Dies ist tatsächlich eine Aufgabe des bürgerlichen
Staates (Arbeitszeitgesetze, Mindestlohn, Gesundheitsschutz usw.)
Aber
innerhalb dieser Grenzen hat der bürgerliche Staat vor allem die Grundbedingung
des Wirtschaftswachstums zu garantieren und zu schützen, das Recht des
Kapitaleigentums auf seine Verwertung, also die Mehrwertproduktion, die alle
Klassenwidersprüche immer wieder aufs neue erzeugt. Das heißt, die Wurzel des
Übels, die Ursache des Skandals darf und kann der bürgerliche Staat nicht antasten.
Folglich
taumelt die kapitalistische Wirtschaft von einer Krise in die nächste. Was wir
heute überall beobachten, bestätigt praktisch, was Marx zu seiner Zeit nur
theoretisch schließen konnte:
Je
größer die auf den Märkten zirkulierende Kapitalmenge, umso explosiver wird der
Gegensatz zwischen Reich und Arm, Oben und Unten, umso tiefer und heftiger
werden die Krisen, und umso höher wird jedesmal der Preis ihrer Überwindung.
Damit
bestätigt sich aber Marxens Schlussfolgerung aus dem ganzen Prozess:
These
(6) „Die Mehrwertproduktion entwickelt den
Reichtum der Gesellschaft nur, indem sie zugleich die Springquellen allen
Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter". Das muss über kurz
oder lang an einen Punkt führen, an dem die Sache kippt. Wie in jeder früheren
Epoche der Menschheitsentwicklung sind es auch in unserer die Produktivkräfte, die
gegen die zu eng gewordenen Produktionsverhältnisse – das sind vor allem immer die
Eigentumsverhältnisse – rebellieren, sie umstürzen und eine neue,
gemeinschaftlichere Produktionsweise erzwingen.
Dies
wäre der „zivilisatorische Evolutionssprung“, den auch Mathias Greffrath am
Schluss seines Vortrags im DLF für notwendig hält. Marx nennt es „Revolution“
(=Umwälzung).
Im
„Zeitalter der Globalisierung“, das Greffrath am Schluss nur kurz streift, haben
die Nationalstaaten immer weniger Einfluss auf die Bedingungen der
Kapitalverwertung. Alle aus der Mehrwertproduktion entstehenden Probleme eskalieren
weltweit und können nur noch weltweit gelöst werden.
Wobei
wir über die Zukunft der Nationalstaaten heute nur sagen können: Sie ist endlich,
wie alles auf dieser Welt. Sie werden nicht ewig fortbestehen. Aber welche
Rolle sie in der weiteren Entwicklung noch spielen können, lässt sich nicht
absehen. Eine Zeitlang bleiben sie noch als Kampfboden der Klassenkämpfe unverzichtbar.
(Übrigens auch in Europa, liebe Linkspartei-Häuptlinge !)
Was
auch noch offen bleibt, ist die Frage nach dem Subjekt des evolutionären oder/und
revolutionären Umbruchs, denn der geschieht nicht automatisch und blindlings,
sondern Geschichte wird immer von Menschen gemacht. Wer wird die neuen
Verhältnisse erkämpfen?
Welche
Gesellschaftsklasse das nur sein kann, liegt klar auf der Hand: Die Klasse, in
der die ganze Produktivkraft der Gesellschaft, des zukünftigen Reichtums verkörpert
ist und bleibt – die vielgeschmähte, von vielen leichtfertig für tot erklärte Arbeiterklasse.
Aber wie sie sich dazu neu aufstellen wird, ihr Bewusstsein und Wissen um diese
Aufgabe zurück gewinnt, neue politische Kräfte sammeln kann usw. – ist noch
kaum zu ahnen.
Eins
aber lässt sich schon sagen: Sie wird gut daran tun, wieder Karl Marx für sich zu
entdecken.