Denkanstoß zur Klausur 2017 der Dortmunder Ratsfraktion
LINKE&Piraten
Das neue Jahr wird spannend. Ein Jahr der Weichenstellungen
für unser zukünftiges Leben. Nicht nur die Landtags- und Bundestagswahlen in
Deutschland; Wahlen auch in Frankreich und Italien, mit evtl. weitreichenden
Folgen; der bevorstehende Brexit Englands; Griechenland steht vor der nächsten
Erpressung durch die Berliner Euro-Imperialisten; alles das stellt Weichen, wie
es mit Europa und dem Euro weitergeht; darüber hinaus hängen z.B. unsere
Flüchtlingszahlen nicht nur von Merkel, Seehofer, Gabriel und populistischen Scharfmachern
ab, sondern auch davon wie der neue US-Präsident sich im Machtkampf der Weltmächte
im Nahen Osten verhalten wird; usw.
Alles das kann uns Kommunalpolitiker-innen nicht kalt
lassen. Linke Kommunalpolitik zeichnet sich ja dadurch aus (-sollte sich
zumindest dadurch auszeichnen-), dass sie die Gestaltung des städtischen
Zusammenlebens in allgemeinere Ziele einordnet, die sie von der Einsicht in
umfassendere historische Erfordernisse ableitet. Unser Horizont ist nicht der
Gartenzaun.
Einigermaßen aufgeklärte Menschen wissen doch (ahnen
zumindest), dass wir die Ursachen der brennenden Probleme, auf die Stadtpolitik
heute reagieren muss, in den weltweiten Krisen der kapitalistischen
Gesellschaft zu suchen haben, und dass unsere Antworten sich in die
übergreifenden Strategien zur Überwindung der Systemkrise des Kapitalismus
einpassen müssen.
Dass wir es mit einer Systemkrise zu tun haben, dass der
Kapitalismus nicht mehr funktioniert wie er nach den Lehrbüchern sollte, das
pfeifen heute ja schon die hellsichtigeren Vertreter der herrschenden Eliten
selbst von den Dächern. Sogar der Deutschlandfunk brachte im Dezember eine
ganze Sendereihe in sechs Folgen über die "aktuelle Brisanz der Marx'schen
Kategorien" Kapital, Mehrwertproduktion und -aneignung, Entfremdung,
Krisen, Niedergang des Kapitalismus und dessen mögliche Überwindung - und sowas
im Deutschlandfunk!
Wir wissen z.B. dass die Flüchtlingsströme, die letztlich in
den Kommunen ankommen, individuelle Versuche, der Zerstörung ganzer
Weltregionen zu entfliehen, ganz wesentlich verursacht werden durch
Stellvertreterkriege für die verschärfte Konkurrenz der Großmächte um die
Ausbeutung der Weltressourcen. Wir wissen, dass der religiöse Fanatismus, der
jetzt unsere Städte mit Terror bedroht, ein ebenso verzweifelter wie reaktionärer
Fluchtversuch aus dem globalen Desaster der Profitwirtschaft ist. Wir wissen,
dass die Populisten, die sich jetzt auch im Dortmunder Stadtrat breit machen,
auf die berechtigte Enttäuschung über die Unfähigkeit und Unwilligkeit der
Herrschenden zur Überwindung der Systemkrise in Wahrheit nur Scheinantworten
liefern. Wir wissen, wenn "die Märkte" nur noch den Reichtum der
oberen Zehntausend ins Unermessliche steigern und spiegelbildlich Millionen
Menschen in Armut drücken, dass dann auch Merkels "marktgerechte
Demokratie" an Zustimmung verliert.
Die Systemkrise ist unbestreitbar. Und linke Politik hat auf
sie angemessen zu antworten und eine Strategie zu ihrer Überwindung anzubieten.
In dieser Krisenlage muss linke Strategie nach meinem
Verständnis darauf abheben, die berechtigte Wut der Menschen sowie rückwärtsgewandte
Scheinantworten "nach vorne" zu überwinden: nämlich mit einer
Politik, die neue Wege der gesellschaftlichen Aneignung ebnet.
"Gesellschaftliche
Aneignung" - das wäre in meinen Augen die passende und umfassende
Formel für unsere strategische Antwort: die schrittweise Aufhebung des von Marx
erkannten Widerspruchs zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der
privaten Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums. Eine Formel, der
eigentlich auch "Piraten" zustimmen können.
Darunter haben wir nicht nur die Rekommunalisierung
privatisierter Produktions- und Dienstleistungsbetriebe zu fassen und natürlich
den traditionellen Genossenschaftssektor und sozialgewerbliche Kooperativen,
sondern mehr und mehr auch die mit fortschreitender Digitalisierung wachsenden
Netzwerke freischaffender Produzenten (Open-source, Wissensallmende,
Commons-Bewegung usw.). Ja, es ist an der Zeit, unseren klassischen Begriff des
"Proletariats" (nicht abzulegen, sondern) den veränderten
Gesellschaftsstrukturen anzupassen.
Gesellschaftliche Aneignung - das ist in der Tat der
epochale Umbruch, der aus der Krise des Kapitalismus heraus führt. Dieser
Umbruch vollzieht sich nicht in einem einzigen gewaltsamen Akt, sondern
Steinchen für Steinchen, bis Quantität in neue Qualität umschlägt.
Die gesellschaftliche Linke - und besonders deren parteilich
organisierter Teil - hat in dieser Krisensituation eine doppelte Verantwortung:
- Zum einen muss sie Prozesse der gesellschaftlichen
Aneignung politisch absichern und unterstützen.
- Zum andern muss sie einen entsprechenden Mentalitätswandel
("Wertewandel") vorantreiben:
die klassischen Werte der Arbeiterbewegung - Solidarität,
Schutz der Benachteiligten, Kampf gegen Ausbeutung, Selbstermächtigung durch
demokratische Organisation und Bildung, Verteidigung der Freiheitsrechte -
"aufheben" (in Hegels doppeltem Wortsinn) in kooperativer Vernetzung der
Produzenten in unterschiedlichsten Organisationsformen. Natürlich ist beim
gegenwärtigen Entwicklungsstand noch nicht absehbar, auf welchen Wegen mit
welchen Methoden private Großkonzerne "vergesellschaftet" werden
können, und darauf kommt es letztlich an – aber diese große Zukunftsaufgabe wird
die Gesellschaft auch nur lösen können, indem die Einsicht in die Notwendigkeit
gesellschaftlicher Aneignung zum hegemonialen Allgemeingut wird.
Noch sind die Linken in Räten und Parlamenten viel zu
schwach, um der bürgerlichen Herrschaft auf Augenhöhe zu begegnen. Solange wir
uns selbst dem vermeintlichen Sachzwang beugen, auf jede der tausenderlei
Verwaltungsvorlagen adäquat reagieren zu müssen, bleiben wir in der Defensive
stecken. Stattdessen mahne ich zur Besinnung auf unsere eigene Politik, unsere
eigentliche Verantwortung:
Linke
Fraktionen müssen zu Kristallisationskernen und politischen Agenturen gesellschaftlicher
Aneignung werden. Politik, auch Kommunalpolitik bringt diesen Prozess nur
voran, wo sie sich auf die Unterstützung entsprechender Basisinitiativen, Organisationen
und Projekte konzentriert.
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