Freitag, 6. Januar 2017

Kommunalpolitik in der Krisenzeit: Aktiv statt passiv! Ein Blick über den Gartenzaun

Denkanstoß zur Klausur 2017 der Dortmunder Ratsfraktion LINKE&Piraten

Das neue Jahr wird spannend. Ein Jahr der Weichenstellungen für unser zukünftiges Leben. Nicht nur die Landtags- und Bundestagswahlen in Deutschland; Wahlen auch in Frankreich und Italien, mit evtl. weitreichenden Folgen; der bevorstehende Brexit Englands; Griechenland steht vor der nächsten Erpressung durch die Berliner Euro-Imperialisten; alles das stellt Weichen, wie es mit Europa und dem Euro weitergeht; darüber hinaus hängen z.B. unsere Flüchtlingszahlen nicht nur von Merkel, Seehofer, Gabriel und populistischen Scharfmachern ab, sondern auch davon wie der neue US-Präsident sich im Machtkampf der Weltmächte im Nahen Osten verhalten wird; usw.
Alles das kann uns Kommunalpolitiker-innen nicht kalt lassen. Linke Kommunalpolitik zeichnet sich ja dadurch aus (-sollte sich zumindest dadurch auszeichnen-), dass sie die Gestaltung des städtischen Zusammenlebens in allgemeinere Ziele einordnet, die sie von der Einsicht in umfassendere historische Erfordernisse ableitet. Unser Horizont ist nicht der Gartenzaun.
Einigermaßen aufgeklärte Menschen wissen doch (ahnen zumindest), dass wir die Ursachen der brennenden Probleme, auf die Stadtpolitik heute reagieren muss, in den weltweiten Krisen der kapitalistischen Gesellschaft zu suchen haben, und dass unsere Antworten sich in die übergreifenden Strategien zur Überwindung der Systemkrise des Kapitalismus einpassen müssen.

Dass wir es mit einer Systemkrise zu tun haben, dass der Kapitalismus nicht mehr funktioniert wie er nach den Lehrbüchern sollte, das pfeifen heute ja schon die hellsichtigeren Vertreter der herrschenden Eliten selbst von den Dächern. Sogar der Deutschlandfunk brachte im Dezember eine ganze Sendereihe in sechs Folgen über die "aktuelle Brisanz der Marx'schen Kategorien" Kapital, Mehrwertproduktion und -aneignung, Entfremdung, Krisen, Niedergang des Kapitalismus und dessen mögliche Überwindung - und sowas im Deutschlandfunk!
Wir wissen z.B. dass die Flüchtlingsströme, die letztlich in den Kommunen ankommen, individuelle Versuche, der Zerstörung ganzer Weltregionen zu entfliehen, ganz wesentlich verursacht werden durch Stellvertreterkriege für die verschärfte Konkurrenz der Großmächte um die Ausbeutung der Weltressourcen. Wir wissen, dass der religiöse Fanatismus, der jetzt unsere Städte mit Terror bedroht, ein ebenso verzweifelter wie reaktionärer Fluchtversuch aus dem globalen Desaster der Profitwirtschaft ist. Wir wissen, dass die Populisten, die sich jetzt auch im Dortmunder Stadtrat breit machen, auf die berechtigte Enttäuschung über die Unfähigkeit und Unwilligkeit der Herrschenden zur Überwindung der Systemkrise in Wahrheit nur Scheinantworten liefern. Wir wissen, wenn "die Märkte" nur noch den Reichtum der oberen Zehntausend ins Unermessliche steigern und spiegelbildlich Millionen Menschen in Armut drücken, dass dann auch Merkels "marktgerechte Demokratie" an Zustimmung verliert.
Die Systemkrise ist unbestreitbar. Und linke Politik hat auf sie angemessen zu antworten und eine Strategie zu ihrer Überwindung anzubieten.

In dieser Krisenlage muss linke Strategie nach meinem Verständnis darauf abheben, die berechtigte Wut der Menschen sowie rückwärtsgewandte Scheinantworten "nach vorne" zu überwinden: nämlich mit einer Politik, die neue Wege der gesellschaftlichen Aneignung ebnet.
"Gesellschaftliche Aneignung" - das wäre in meinen Augen die passende und umfassende Formel für unsere strategische Antwort: die schrittweise Aufhebung des von Marx erkannten Widerspruchs zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der privaten Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums. Eine Formel, der eigentlich auch "Piraten" zustimmen können.
Darunter haben wir nicht nur die Rekommunalisierung privatisierter Produktions- und Dienstleistungsbetriebe zu fassen und natürlich den traditionellen Genossenschaftssektor und sozialgewerbliche Kooperativen, sondern mehr und mehr auch die mit fortschreitender Digitalisierung wachsenden Netzwerke freischaffender Produzenten (Open-source, Wissensallmende, Commons-Bewegung usw.). Ja, es ist an der Zeit, unseren klassischen Begriff des "Proletariats" (nicht abzulegen, sondern) den veränderten Gesellschaftsstrukturen anzupassen.
Gesellschaftliche Aneignung - das ist in der Tat der epochale Umbruch, der aus der Krise des Kapitalismus heraus führt. Dieser Umbruch vollzieht sich nicht in einem einzigen gewaltsamen Akt, sondern Steinchen für Steinchen, bis Quantität in neue Qualität umschlägt.

Die gesellschaftliche Linke - und besonders deren parteilich organisierter Teil - hat in dieser Krisensituation eine doppelte Verantwortung:
- Zum einen muss sie Prozesse der gesellschaftlichen Aneignung politisch absichern und unterstützen.
- Zum andern muss sie einen entsprechenden Mentalitätswandel ("Wertewandel") vorantreiben:
die klassischen Werte der Arbeiterbewegung - Solidarität, Schutz der Benachteiligten, Kampf gegen Ausbeutung, Selbstermächtigung durch demokratische Organisation und Bildung, Verteidigung der Freiheitsrechte - "aufheben" (in Hegels doppeltem Wortsinn) in kooperativer Vernetzung der Produzenten in unterschiedlichsten Organisationsformen. Natürlich ist beim gegenwärtigen Entwicklungsstand noch nicht absehbar, auf welchen Wegen mit welchen Methoden private Großkonzerne "vergesellschaftet" werden können, und darauf kommt es letztlich an – aber diese große Zukunftsaufgabe wird die Gesellschaft auch nur lösen können, indem die Einsicht in die Notwendigkeit gesellschaftlicher Aneignung zum hegemonialen Allgemeingut wird.

Noch sind die Linken in Räten und Parlamenten viel zu schwach, um der bürgerlichen Herrschaft auf Augenhöhe zu begegnen. Solange wir uns selbst dem vermeintlichen Sachzwang beugen, auf jede der tausenderlei Verwaltungsvorlagen adäquat reagieren zu müssen, bleiben wir in der Defensive stecken. Stattdessen mahne ich zur Besinnung auf unsere eigene Politik, unsere eigentliche Verantwortung:
Linke Fraktionen müssen zu Kristallisationskernen und politischen Agenturen gesellschaftlicher Aneignung werden. Politik, auch Kommunalpolitik bringt diesen Prozess nur voran, wo sie sich auf die Unterstützung entsprechender Basisinitiativen, Organisationen und Projekte konzentriert.

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