Mittwoch, 18. Januar 2017

Alternativen zum Euro – demokratisch, internationalistisch, sozial?

Zur Arbeitstagung „Welche Alternative zum Euro und zur neoliberalen EU brauchen wir?“

Der neue US-Präsident Trump dürfte mit seiner Vorhersage richtig liegen, dass weitere Länder die EU verlassen werden. Die Leistungsbilanzkrise des Euroraums verschärft die Widersprüche weiter. Von den 19 Euro-Staaten haben fünf hohe Leistungsbilanz-Defizite mit Deutschland, unter ihnen Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland. Italien, als drittgrößte Wirtschaftsmacht in der EU ein Schwergewicht, rutscht immer tiefer in die Miesen. In Frankreich droht die Übernahme der Staatsführung durch die erklärten Anti-Europäer des Front National. Die diktatorischen Eingriffe der „Institutionen“ in Wirtschaft und Politik der Schuldnerländer werden dort als Demütigung und Angriffe auf ihre demokratische Verfasstheit erlebt. Das bedrohliche Vordringen der Populisten in den für 2017 anstehenden Wahlen in wichtigen europäischen Ländern ist nicht zuletzt diesem „Durchregieren“ (A. Merkel) der EU-Machthaber geschuldet.

Der Euro-kritische Ökonom Heiner Flassbeck bilanzierte vor kurzem: In Europa stehen große Veränderungen an, weil die wirtschaftliche Lage sieben Jahre nach Beginn der Krise katastrophal ist, die Arbeitslosigkeit auf extrem hohem Niveau nicht sinkt und die Wirtschaftspolitik ihr klägliches Versagen mit Alternativlosigkeit verteidigt… In Deutschland ist Dummheit zur Staatsraison geworden.
Die wahren Europäer unter meinen LINKEN Freund-innen weigern sich trotzköpfig, diesen Sachverhalt auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Doch „Augen zu und durch“ kann da nie und nimmer mehr funktionieren.

Vor ein paar Tagen kritisierten zwei meiner Genoss-innen in der LINKEN Dortmunder Ratsfraktion, dass ich die mehrdimensionalen, zum Teil akuten, in anderen Formen noch im Hintergrund schwelenden Strukturkrisen unter dem Begriff „Systemkrise“ zusammengefasst habe. Ihr Vorwurf: Seit Jahrzehnten würden linke Sektierer mit Beschwörungen einer „Systemkrise“ oder auch der „Allgemeinen Krise des Kapitalismus“ dessen bevorstehenden Zusammenbruch an die Wand malen, doch immer habe er sich vital und anpassungsfähig genug erwiesen, um aus seinen Akkumulationskrisen wie der jetzigen gestärkt aufzuerstehen.

Zu meiner Verteidigung könnte ich namhafte Zeugen aufrufen, die nicht im Verdacht stehen, marxistische Dogmatiker zu sein. Hans Jürgen Urban vom Hauptvorstand der IG Metall: „Es spricht viel für die Annahme, dass es sich um eine ‘Systemkrise der kapitalistischen Produktionsweise‘ handelt...Fasst man die Finanz- und Realwirtschaftskrisen als Momente einer mehrdimensionalen Systemkrise des Kapitalismus und bezieht man in diese die ökologische Dimension in Form von Energiekrise und drohendem Klimakollaps ein, wird die gigantische Aufgabe deutlich, vor der die Gesellschaft steht.“ (Die Mosaik-Linke, in: Blätter 5/2009 S.71)
Oder Elmar Altvater, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin: „In Zeiten der Globalisierung sind mit der Herausbildung eines weitgehend verselbständigten Finanzsystems Finanzkrisen ausgelöst worden, deren Wucht und Reichweite mit den traditionellen Akkumulationskrisen nicht vergleichbar sind.“  (Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. 2005; Der große Krach: oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur, 2010).
Oder Peter Wahl, Mitgründer von attac-Deutschland und im Vorstand von WEED: Bei allen sonstigen Unterschieden handelt es sich im Kern um eine Gegenreaktion auf die Zusammenballung von Krisen und deren Effekte: der Krise neoliberaler Globalisierung, der multiplen Krisen der EU und jeweils nationaler Probleme, die ihrerseits alle miteinander wechselwirken. Die Politik scheint nicht in der Lage, die Krisen in den Griff zu bekommen.“ 

Weil solche Zeugen meine Kritiker vermutlich kaum beeindrucken, will ich mit eigenen Worten kurz erklären, was ich mit der Kennzeichnung „Systemkrise“ meine – und was nicht. (Leider lässt sich eine gewisse Theorielastigkeit dieses Einschubs nicht vermeiden. Wen das nicht interessiert, kann den kursiv gesetzten Einschub überspringen.)
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Unbestreitbar stecken die „westlichen“ Gesellschaften und mit ihnen die ganze vom Westen reklamierte Zivilisation in einer ihrer tiefsten Krisen. Sie kündigte sich seit den 70‘er Jahren des vorigen Jahrhunderts an und spitzt sich seither immer weiter zu. Und zwar als Strukturkrise in mehreren Dimensionen:
1.    Im Vordergrund leiden die kapitalistischen Kernländer an einem chronischen Schrumpfen ihrer wirtschaftlichen Wachstumsraten gegen null. Eine kapitalistische Wirtschaft ohne ein Mengenwachstum mindestens in Höhe des Produktivitätsfortschritts läuft aber auf längere Sicht aus dem Ruder: Sie erstickt am Widerspruch zwischen Produktivitätszuwachs und „gesättigten Märkten“, produziert also immer mehr Arbeitslosigkeit und Armut, bis zum Zerreißen des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
2.    Die Tendenz zur Stagnation hat im wesentlichen zwei Ursachen: Zum einen schwächt die rasant zunehmende Konzentration der Wirtschaft in globalen Riesenkonzernen die Konkurrenz als Triebkraft des Produktivitätsfortschritts, welche die Wirtschaft aus den Krisen zieht. Zum andern hat die Schere zwischen den enorm anschwellenden Profiten der Oberklasse und den stagnierenden Masseneinkommen riesige Kapitalmengen aufgehäuft, die in Ermangelung profitabler Produktionsmöglichkeiten nur noch als Spekulationskapital auf den Finanzmärkten umher vagabundieren.
3.    Zum kritischen Problem würde aber auch die Fortsetzung der Wachstumsdynamik, weil sie schon lange und zunehmend auf Raubbau an den natürlichen Ressourcen basiert und global unsere Lebensgrundlagen zerstört (Klima, Wasser, Boden…). Da dies Problem mit marktwirtschaftlichen Methoden unlösbar ist, wird es schon in Kürze weltweite Massenmigrationen auslösen.
4.    Seit den 70’er Jahren und verstärkt nach 1989 haben bewaffnete Konflikte weltweit massiv zugenommen. Eine wesentliche Ursache, auch für Bürgerkriege, Warlords und Terrorarmeen, bildet die aggressive Konkurrenz der kapitalistischen Mächte um Märkte und Einflusszonen. Die Folge sind weiterhin anschwellende Flüchtlingsströme aus den zerstörten und verelendeten Weltregionen in die westlichen Wohlstandsinseln, die sich zunehmend einigeln und ent-demokratisieren.
5.    Propagandistisch aufgeladen wird die Krise noch durch politisch und medial geschürte Schreckensszenarien einer angeblich drohenden demografischen Krise durch die „explosive Vermehrung der Weltbevölkerung“ außerhalb des westlichen Kulturkreises. Was die Panikmache verbirgt, ist die dramatisch wachsende, vom Kapitalismus verursachte Kluft zwischen den reichen und armen Weltregionen. Diese wird allerdings noch weit stärkeren Wanderungsdruck auf die reichen Staaten erzeugen, als wir uns heute vorstellen können, und wird hier zu mehr und mehr gewaltsamer Abwehr führen (sowohl als „Selbsthilfe besorgter Bürger“ als auch staatlich organisiert).
6.    Der einzige Ausweg, auf dem die „Marktkräfte“ in der Vergangenheit Strukturkrisen überwinden konnten, die Erzeugung neuer Märkte in großem Stil mithilfe technischer Revolutionen (Dampfmaschine, Verbrennungsmotor, Computer), dieser Ausweg steht kurz- und mittelfristig nicht in Aussicht. („Industrie 4.0“ zielt ja mehr auf die Rationalisierung der Produktion und Dienstleistungen als auf neue Massenmärkte.)
Aus der Überlagerung und gegenseitigen Verstärkung dieser Krisenmomente folgt, dass der übliche Verlauf der zyklischen Konjunkturkrisen, wie die kapitalistische Wirtschaft sie seit 1825 alle paar Jahre durchgemacht hat, hier nicht mehr gilt, sondern die gegenwärtige multiple Krise in einen lang anhaltenden, labilen Dauerzustand übergeht, der das Wirtschafts-, Politik- und Gesellschaftssystem bis auf den Grund zerrüttet und nicht absehbare Konflikte heraufführt.

Das meint der Begriff „Systemkrise“. – Nicht gemeint ist, der Kapitalismus sei mit dieser Krise definitiv an seinem Ende angekommen. Aus Krisen gibt es immer Auswege. Und wenn seine Gegner ihn nicht überwinden, entstünde aus der Systemkrise eine neue Variante dieses kapitalistischen Wirtschaftssystems. Das dann allerdings noch brutaler, barbarischer und instabiler würde. Denn anders kann das Kapital seine Krisen nicht überwinden, als es Marx und Engels schon 1848 beschrieben: „Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung der alten Märkte. Wodurch also? Dadurch dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“ (Kommunistisches Manifest)
Dass der Kapitalismus aus der Krise jeweils „gestärkt“ heraus käme, wie es seine Apologeten gern behaupten, trifft also nur in einem sehr beschränkten Sinn zu.

Ganz gewiss nicht meine ich, dass in dieser „Systemkrise“ oder durch sie der Kapitalismus „von allein zusammenbricht“. Dazu bedarf es der handlungswilligen und -fähigen gesellschaftlichen Gegenmacht der unteren Klassen. Mit einer klaren Zielvorstellung der Alternative. Die aber ist heute allenfalls in ersten Ansätzen erkennbar.
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Aus der seit Jahren sich zuspitzenden Krise der EU und des Euro müsste eigentlich der gesunde Menschenverstand schließen, dass es „so“ nicht weitergehen kann. Und zwar selbst dann nicht, wenn es gelingen könnte, dies „so“ mit einiger Reformkosmetik abzuschwächen, wie unsere LINKEN EU-Reformer es gern hätten. Ein gesellschaftlicher Systemwechsel ist eigentlich überfällig.
Frage also an meine Freund-innen in der LINKEN: Was wollt ihr? Das Weiter-so mit ein bisschen Krisenkosmetik? Oder gar den reaktionären Ausweg der herrschenden Klasse zu „mehr Europa“ (Augen zu und durch)? Oder doch lieber die Systemalternative? Entscheidet euch.

Um einer Lösung näher zu kommen, bittet die „Antikapitalistische Linke“-Arbeitsgemeinschaft in der LINKS-Partei zusammen mit dem „euroexit“-Komitee zu einer hochkarätigen Tagung:

Welche Alternative zum Euro und zur neoliberalen EU brauchen wir?
28.01.2017, 11 - 20 Uhr
Bürgerhaus-Bilk, Bachstr. 145, 40217 Düsseldorf
mit
* Janine Wissler (stellv. Parteivorsitzende der LINKEN)
* Panagiotis Sotiris (Volkseinheit, Griechenland)
* Sergio Cesaratto (Prof. für Ökonomie an der Universität in Siena/Italien)
* Martin Höpner (Prof. für Politikwissenschaften am Max-Planck-Institut, Köln)
* Paul Steinhardt (Herausgeber von Makroskop.eu gemeinsam mit Heiner Flassbeck)
* Franziska Lindner (SDS)
* Frank Futselaar (Sozialistische Partei der Niederlande)
* Inge Höger (MdB DIE LINKE, Bundessprecher*innenrat der AKL)
* Thies Gleiss (Parteivorstand DIE LINKE, Bundessprecher*innenrat der AKL)
* Peter Wahl (weed u. attac)
* Christian Leye (Landessprecher DIE LINKE und einer der Spitzenkandidat*innen zur Landtagswahl)


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