Sonntag, 3. Juni 2012

Kompromisse und rote Linien

Notwendige Ergänzung zu Gregor Gysis Rede in Göttingen

Der Streit in der LINKEN um ihr Spitzenpersonal ist – erst mal! – ausgestanden, wir können uns wieder mit mehr Ruhe dem eigentlichen, darunter schwelenden Konflikt zuwenden. Der ist tatsächlich existenziell für die Linke und entzweit sie schon seit Rosa Luxemburgs Zeiten: der strategische Konflikt um das jeweils historisch adäquate Verhältnis von „Reform und Revolution“. Zu ihm hat nun auch Gregor Gysi auf dem Göttinger Parteitag nützliche Denkanstöße beigetragen.

Gysi sieht die LINKE im Osten und im Westen mit unterschiedlichem Charakter aufgrund unterschiedlicher politischer Situationen. Im Osten sei sie mit  über 20 Prozent Wählerzuspruch „Volkspartei“, im Westen mit um die 5 Prozent „Interessenpartei“. Und er stellt fest:
„Eine bestimmte Stärke im Landtag erfordert auch ein anderes Herangehen. Man kann mit Wahlergebnissen von über 20 Prozent nicht permanent erklären, dass man sowie so nur in Opposition bleibt und gar nicht bereit sei, etwas zu verändern, es sei denn, die anderen machten genau das, was man selber will.
Warum kann man das nicht akzeptieren, wenn man selber mit 5 Prozent in einen Landtag gewählt wird? Und umgekehrt, warum fällt es manchen im Osten so schwer zu akzeptieren, dass man sich als 5 Prozent-Partei anders verhalten muss als eine 25 Prozent-Partei. Als 5-Prozent-Partei muss man prononciert bestimmte Interessen vertreten, nicht das gesamte Spektrum. Es sind unterschiedliche Bedingungen.“


Im Osten und Westen aber gelte gleichermaßen:
„Unsere Wählerinnen und Wähler erwarten von uns ein eigenständiges Bild, sie erwarten von uns klare, verständliche und nachvollziehbare politische Vorschläge. Sie wollen nicht, dass wir die Kopie einer anderen Partei sind. Aber viele Wählerinnen und Wähler wollen auch, dass wir für sie etwas erreichen, etwas gestalten, daran mitwirken. Sie wollen mehr soziale Gerechtigkeit bei Löhnen, bei der Rente und im Gesundheitswesen erleben. Sie wollen Chancengleichheit für Kinder in der Bildung. Und vieles andere mehr. Dazu muss man konkret und aktiv kommunalpolitisch, landespolitisch, bundespolitisch und europapolitisch wirken. Dazu muss man auch mit anderen zusammenarbeiten. Selbstverständlich.
Man muss seine Eigenheit wahren, man muss seine Prinzipien schützen, aber auch kompromissfähig sein, um für die Menschen etwas zu erreichen. (...)Natürlich kann man Wählerinnen und Wähler verlieren, wenn man falsche, prinzipienlose Kompromisse schließt. Aber man verliert auch Wählerinnen und Wähler, wenn man erklärt, dass man sich auf die SPD nur dann einlässt, wenn sie unsere Beschlüsse umsetzt, und zwar möglichst vollständig. Die Wählerinnen und Wähler wissen, dass das irreal ist.“


Damit hat Gregor sehr recht. Allerdings, die Feststellung, so richtig sie ist, daß beides, Prinzipien und Kompromisse zusammen linke Politik ausmachen, sie reicht nicht aus, ist nicht genau genug. Denn er selbst sagte:
„Die alte Bundesrepublik war und ist ein militant antikommunistisches Land. Eine Partei links von der Sozialdemokratie hatte dort niemals eine reelle Chance...“
- es sei denn, muss man ergänzen, sie wäre für Kompromisse nicht nur zu Abstrichen von ihren Zielen, sondern zur Anpassung, zum direkten Verrat an ihren Prinzipien bereit. Genau das verlangt die Machtelite von der LINKEN. Daher ihr Haß auf Oskar Lafontaine, und genau das erhofft sie sich von unserem „Reformerflügel“. Ob zu recht oder unrecht, brauchen wir nicht erst zu probieren, die SPD-Spitze und die Leitmedien sprechen es deutlich genug aus.

Lieber Gregor, aus deiner eigenen Darstellung gibt es folglich nur einen Schluß: Nicht nur im Westen, sondern bundesweit können wir nur solche Kompromisse eingehen, die unsere Prinzipien nicht verletzen. Das genau ist der Sinn unserer „roten Haltelinien“, die unsere „Reformer“ gern los wären.

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