Montag, 15. August 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Öffentlich gefördertes Lohndumping

Was wir Linken im Dortmunder Stadtrat seit Jahren als neoliberale Stadtpolitik kritisieren, wächst sich inzwischen zu einem gesellschaftlichen Skandal aus.

Wie die Sozialforschungsstelle an der TU Dortmund mehrfach berichtete, ist die überdurchschnittliche Zunahme der Erwerbstätigkeit, die Dortmunds Wirtschaftsförderer gern als ihren Erfolg reklamieren, „nahezu ausschließlich“ – ich zitiere wörtlich – „nahezu ausschießlich auf atypische Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeitarbeit, Minijobs, Leiharbeit) zurückzuführen.“ (Kooperationsinfo Nr. 53 der sfs)

Ich habe das an den amtlichen Statistiken nachgeprüft: Von den 1.850 sozialversicherten neuen Arbeitsplätzen von Mitte 2009 bis Mitte 2010 sind zwei Drittel sogen. „atypische“ oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Während die Zahl der sozialversicherten Vollzeitstellen seit dem Start des Dortmund-Projects vor zehn Jahren in etwa gleich blieb, legten die atypischen Jobs um 42,5 % zu. In dem einen Jahr von Mitte 2009 auf Mitte 2010 stieg die Zahl der prekären Jobs um 3.700 auf 94.562 an. Heute ist schon fast jeder dritte Erwerbstätige in Dortmund prekär beschäftigt (31,5 %). Fast 95.000 Dortmunder-innen, von denen die allermeisten gewiß gern eine feste, abgesicherte, normal bezahlte Arbeit hätten, dürfen stattdessen nur von der Hand in den Mund leben, von heute auf morgen, ohne Perspektive für eine Lebensplanung. Diese 95.000 muß man zu den 46.000 registrierten Arbeitslosen hinzu zählen, um eine Vorstellung zu bekommen, wie verlogen das Gerede vom „Strukturwandel“ ist.

Und die Hälfte der prekär Beschäftigten muß sich mit Niedriglöhnen durchschlagen (die amtliche Niedriglohnschwelle liegt bei 9,85 €/h). Eine Folge ist: Viermal so schnell wie die Erwerbstätigkeit wächst die Zahl der Aufstocker in Dortmund.

Das ist ein gesellschaftlicher Skandal. Unsere Oberschicht scheint keine Skrupel zu haben, sich an die Spitze dieses Skandals zu stellen.

Sogar der sagenhafte Gründungsboom, auf den die Wirtschaftsförderer besonders stolz sind, erscheint in diesem Zusammenhang als Teil des Skandals. Denn unter den 14.000 Aufstockern der Dortmunder ARGE sind auch 1.560 Selbständige, die nach dem Auslaufen der Gründungszuschüsse und Überbrückungsgelder von ihrem Erwerbseinkommen nicht leben können und ergänzendes Arbeitslosengeld beziehen müssen.

Dieser Skandal hat natürlich gravierende Auswirkungen auf das Einkommensniveau und die Kaufkraft in der Stadt. Während die Produktivität der Dortmunder Wirtschaft überproportional wächst, liegt das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der Dortmunder-innen um 12 % hinter dem Bundesdurchschnitt und um 8 % hinter dem NRW-Durchschnitt zurück. Und die Schere öffnet sich von Jahr zu Jahr weiter (Jahresbericht Wirtschaft 2010, Amt für Statistik und Wahlen der Stadt). Ein Schelm wer im Zurückbleiben der Löhne eine Triebfeder des überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstums sieht.

Eine Wirtschaftsförderung, die sich öffentlich in die Brust wirft für Stellenzuwächse und dabei hartnäckig verschweigt, dass die meisten Neueingestellten anschließend zur ARGE laufen müssen, um ergänzendes ALG zu beantragen, eine solche Wirtschaftsförderung macht sich zum Komplizen von Abzockern in Nadelstreifen und legt die Axt an die Wurzel der „Sozialen Stadt“. Der Rat hat sie in den zehn Langemeyer-Jahren immer wieder mit breiten Mehrheiten abgenickt, immer gegen unsere Proteste. Aber auch der neue OB zeigt bisher nicht den Willen zu einer Kurskorrektur.

Dabei ist ihre skandalöse Marktgläubigkeit keineswegs alternativlos. Seit das Dortmund-Project läuft, rechnen wir Linken im Rat anhand seiner Jahresberichte vor, dass die 6 Mio € jährlich in einem kommunalen Beschäftigungsprogramm mehr Arbeitsplätze schaffen könnten als im Dortmund-Project. Seit Hartz IV läuft und die Stadt die ganze öffentliche Beschäftigungsförderung auf 1-€-Jobs reduzierte, rechnen wir vor, dass man die 1-€-Jobs ohne einen Euro Mehraufwand in sozialversicherte Stellen umwandeln kann, und zwar zu einem existenzsichernden Mindestlohn von 10 €/h und ohne alle Schikanen von Fallmanagern. Wenn man nur will.

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