Wenn nach jüngsten Umfragen hierzulande immer noch eine Mehrheit den Merkel'schen "Spar- und Reformkurs" gutheißt und, weil er ja uns Deutschen den Aufschwung aus der Krise beschert habe, ihn auch den Griechen und ganz Europa aufdrücken will, so geht diese Mehrheit bewußt oder gutgläubig der regierungsamtlichen und medialen Propaganda auf den Leim. Diese stellt anhand einseitiger und verzerrender Auswahl statistischer Daten "Deutschland" als ein besonders erfolgreiches, nachahmenswertes Modell dar. Die Schattenseiten des Vorsprungs der deutschen Wirtschaft aber werden systematisch verschwiegen.
Die langen Schatten
des "Modells Deutschland"
Zum Beispiel lässt unsere mit vielen Tricks geschönte
Arbeitslosenstatistik kaum noch erkennen, wie hoch die Arbeitslosigkeit
wirklich ist. Der riesige Niedriglohnsektor, mit dem sie "bekämpft"
wird, übertrifft die meisten anderen Euroländer bei weitem, weshalb Merkel auch
die 1-Euro-Jobs in ganz Europa einführen will. Über 3,1 Millionen Erwerbstätige
im reichen Deutschland gelten als arm trotz Arbeit (2013), weil ihre Löhne plus
staatliche Hilfen (Wohngeld, Kindergeld, ergänzendes Arbeitslosengeld) zusammen
weniger als 979 Euro netto im Monat ergeben. Der Mindestlohn, der am 1.Januar
endlich auch in Deutschland Gesetz wurde, liegt niedriger als in vielen anderen
europäischen Ländern. Er wird an der anwachsenden Armut in Deutschland wenig
ändern, denn sein Nettobetrag reicht in den meisten Fällen kaum an die
Armutsschwelle heran und dient unterhalb dieser Schwelle mehr zur Entlastung
der Staatskasse von Sozialleistungen als zu echten Einkommenssteigerungen. Auch
schießt die Unternehmerlobby in den Regierungsparteien immer mehr Löcher ins
Gesetz, was man durchaus als eine Variante von Klientelpolitik bezeichnen muss,
wie sie "den Griechen" vorgeworfen wird.
Zu den Schattenseiten "unseres" Aufschwungs gehört
auch die skandalöse Kinderarmut, die verlotterte öffentliche Infrastruktur, das
vorzeitige Burnout der Arbeitskraft, der hohe Krankenstand bei stressbedingten
Leiden, das hohe Maß an Frühverrentungen, die Überlastung und Überforderung der
Familien, unser altmodisches Bildungssystem mit viel höheren Klassenfrequenzen
als in den meisten Nachbarländern, die finanziell ausgebluteten Kommunen, die
explodierende Belastung privater Haushalte durch Mieten und Energiepreise (in
anderen Ländern schützt eine höhere Wohneigentumsquote auch vor Altersarmut)
und-und-und. Vor den Lobgesängen auf das "Modell Deutschland" muss
also die Frage stehen:
Wer ist
"Deutschland", wer sind "die Griechen"?
Wem gehören denn die Banken, die in der Finanzkrise ihre
faulen Kredite auf die EZB abwälzen konnten? Sie gehören dir und mir so wenig
wie den griechischen Arbeitern und Kleinbauern - aber diese und wir zusammen
müssen letztlich dafür bluten. Wem gehören denn die Supergewinne, die hier wie
in Griechenland an der Steuer vorbei auf Auslandskonten verschoben werden? Wer
macht denn hier wie in Griechenland solche Steuergesetze, dass Großkonzerne
praktisch keinen Euro Steuern zahlen müssen, während der griechischen
Bevölkerung die Mehrwertsteuer von 19 auf 23 % erhöht wurde? Wer hat den Nutzen
davon, dass in Deutschland schon viel länger als in Griechenland die Löhne weit
hinter der Arbeitsproduktivität der Industrie zurück blieben?
Nüchtern und ohne chauvinistische Scheuklappen betrachtet
müssen wir feststellen, dass es mittel- und längerfristig auch unsere Löhne
sind, die die Mehrheit der Arbeiter und Bauern in Griechenland gegen ihre und
unsere Oligarchenschicht verteidigt. So wie es auch in unserem Interesse als
Steuerzahler liegt, dass Griechenland nicht noch mehr erdrosselt wird mit den
Diktaten der Troika, sondern Luft bekommt, um sich zu erholen.
Das "Modell", das Merkel u.co. Europa aufzwingen
wollen, ist drauf und dran, Europa zu ruinieren. Die meisten Völker Europas sind
dabei, das zu erkennen und Konsequenzen daraus zu ziehen. In Deutschland hat
Merkel noch eine Mehrheit.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen