Von Oskar Lafontaine
Sicher findet man in dem
Ergebnis der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD auch Gutes, wie leichte
Verbesserungen bei der Rente oder das Verbot von Waffenexporten an Länder, die
im Jemen Krieg führen. Aber die vielen Kommentare, die zusammengefasst „Weiter
so wie bisher“ lauten, sind richtig. Das mag, wenn die Migration begrenzt
bleibt, für CDU und CSU noch gerade so aufgehen, um ihr schwaches Ergebnis bei
der Bundestagswahl zu halten (CDU: 26,8 Prozent, ein Minus von 7,4 Prozent. CSU
in Bayern: 38,8 Prozent, ein Minus von 10,5 Prozent). Aber die SPD wird, wenn
sie die „große Koalition“ fortsetzt, weiter Wähler verlieren.
Die Ungleichheit nimmt zu.
Löhne und Renten werden sich unterdurchschnittlich entwickeln. Keine
Vermögenssteuer und keine Anhebung des Spitzensteuersatzes zeigen, dass sich
die wohlhabenden Spender der Parteien weiter durchsetzen.
Die führenden Sozialdemokraten
wissen nicht mehr, was der politische Auftrag einer Partei ist, die sich
sozialdemokratisch nennt. Selbstverständlich ist die paritätische Bezahlung der
Krankenversicherung zu begrüßen. Aber sie bedeutet ja nur, dass ein Schaden
repariert wird, den Christ- und Sozialdemokraten im neoliberalen Reformwahn
angerichtet haben. Die Denkmuster bleiben. Verräterisch: Der Arbeitslosenversicherungs-Beitrag
soll um 0,3 Prozent gesenkt werden. Das ist, mit der Brille der Arbeitgeber
betrachtet, Lohnsenkung! Aus Sicht der Arbeitnehmer heißt das, sie zahlen etwas
weniger Beitrag, bezahlen dafür aber mit schlechteren Leistungen in der Arbeitslosenversicherung.
Der Sozialabbau der letzten Jahre soll an keiner Stelle entscheidend korrigiert
werden.
Auch der Zerfall der
europäischen Union setzt sich fort, solange man die Ursachen nicht beseitigt.
Wissen die Großkoalitionäre nicht, was sich in Italien zusammenbraut? Die
Italiener werden die weitere De-Industrialisierung ihres Landes aufgrund der
verfehlten Wirtschafts- und Währungspolitik der EU nicht länger hinnehmen.
Solange der deutsche Exportnationalismus triumphiert, sind die europäischen
Nachbarn die Leidtragenden. Noch so fromme Sprüche der angeblichen
Europafreunde ändern daran nichts.
Hat die SPD vergessen, warum
Willy Brandt den Friedensnobelpreis erhalten hat? Soll die Einkreisung
Russlands – Nato-Truppen und US-Raketen an der russischen Grenze – weitergehen?
Ja es ist richtig: „Europa muss sein Schicksal mehr als bisher in die eigenen
Hände nehmen.“ Das kann aber nur heißen, dass die Ost- und Entspannungspolitik
Willy Brandts wieder aufgenommen und die Politik der Einkreisung Russlands
beendet wird. Eine neue Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands
muss das Ziel der deutschen Politik sein. Der Großmeister der US-Diplomatie
George Kennan bezeichnete die Osterweiterung der Nato als „den
verhängnisvollsten Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach
dem Kalten Krieg“. Zumindest hätten die Sozialdemokraten durchsetzen müssen,
dass die auf Betreiben der US-Administration beschlossenen Sanktionen gegen
Russland beendet werden. Wenn die SPD unter diesen Bedingungen die „große
Koalition“ fortsetzt, schaufelt sie sich ihr eigenes Grab.
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