Montag, 8. Januar 2018

„Fluchtursachen bekämpfen“?? Deutsch-Europa macht das Gegenteil. Zur Zukunft der EU-Afrika-Partnerschaft. Von Nico Beckert

Ab Mitte 2018 verhandelt die EU ein neues Partnership Agreementmit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks. Vieles wird sich um „Migrationsmanagement“, Sicherheit und Investitionen drehen.
Das sogenannte Partnership Agreement wird in unregelmäßigen Abständen neu verhandelt. Mit diesen Abkommen werden die Leitlinien der Zusammenarbeit zwischen der EU und der AKP-Region festgelegt. Das derzeit noch gültige sogenannte Cotonou-Abkommen hatte eine Laufzeit von 20 Jahren. Es beruhte auf den Säulen Entwicklungshilfe, Handel und politische Kooperation. Bezüglich der Kooperation mit Afrika legt der aktuelle EU-Entwurf im Bereich der Migration neue Schwerpunkte.
Migration und Flüchtlinge – nur was der EU nutzt
Die EU-Kommission spricht davon, dass Migration zu Wachstum und dem Austausch von Wissen und Kompetenzen führe. Das klingt auf den ersten Blick äußerst positiv. Denn um in Afrika einen dynamischen Entwicklungsprozess in Gang zu setzen, braucht es Wachstum, dass auf Wissen, Innovationen und Kompetenzen beruht.
Die EU zielt darauf ab, qualifizierten und gut ausgebildeten Afrikanern die Migration zu erleichtern. So soll Studenten und Wissenschaftlern der Weg nach Europa geebnet und Kurzbesuche für Geschäftsleute und Investoren ermöglicht werden. Außerdem soll die Ausbildung von afrikanischen Arbeitskräften in ihrem Heimatland in Europa unproblematischer als gleichwertig anerkannt werden.
Die EU geht von einem Überschuss an gut qualifizierten Arbeitskräften in den afrikanischen Ländern aus. Allerdings ist das in den meisten Sektoren nicht der Fall. Eine erfolgreiche Abwerbung gut Qualifizierter würde zu einem für die afrikanische Entwicklung negativen Brain Drain führen. Die für ein breitenwirksames Wachstum so wichtigen Fachkräfte drohen dann nach Europa abzuwandern. Im britischen Gesundheitssystem mit einer hohen Anzahl afrikanischer Ärzte ist genau dies bereits Realität.
Für die afrikanischen Staaten blieben nur die Rücküberweisungen der Ausgewanderten als Gewinn der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Migrationspolitik. Diese Rücküberweisungen stellt die EU als Möglichkeit zur Entwicklungsfinanzierung dar. Hier stellt sich allerdings die Frage, wie afrikanische Unternehmer allein mit Geld die strukturellen Defizite überwinden sollen, die teils durch schlechte Regierungsführung teils durch eine entwicklungsfeindliche Handelspolitik verursacht werden.
„Irreguläre Migration“, von Menschen also, die keine ausreichende berufliche Qualifikation aufweisen oder vor Hunger, Armut und Krieg fliehen, soll nach Plänen der EU hingegen eingedämmt werden. Dafür soll das „Grenzmanagement“ in Afrika verbessert und weiter mit der Polizei und der Justiz in afrikanischen Staaten kooperiert werden (hier).
Doch der Begriff „Grenzmanagement“  ist ein Euphemismus. Schon heute arbeitet Europa mit brutalen Diktaturen in Eritrea (welches als „Nordkorea Afrikas“ bezeichnet wird), Südan oder dem Südsudan zusammen. Sie bildet dort Polizisten und Grenzbeamte aus. An die Regime im Niger und Tschad wurden Waffen geliefert. Indem die nationalen Grenzen der Herkunftsländer aufgerüstet werden (mehr dazu hier und hier), sollen Menschen vor der Flucht vor politischer Verfolgung, Kriegen und bewaffneten Konflikten abgehalten werden. De facto wird durch eine solche „Migrationspolitik“ das Menschenrecht auf Asyl eingeschränkt.
Die EU verkennt darüber hinaus, dass ein Großteil der Migration innerafrikanisch stattfindet. Die Überquerung nationaler Grenzen ist für viele Menschen fast alltäglich. Nur ein kleiner Teil der Migranten macht sich wirklich auf den Weg nach Europa. Indem die EU zur Militarisierung nationaler, innerafrikanischer Grenzen beiträgt, nimmt sie Millionen Menschen ein Mittel, um in Nachbarländern bessere menschenrechtliche und wirtschaftliche Perspektiven wahrzunehmen.
Handel – kein fairer Handel absehbar
Beim Thema Handel verfolgt die EU das Ziel der „inklusiven und nachhaltigen Entwicklung“. Die EU möchte den Aufbau von Produktionskapazitäten in Afrika unterstützen, das Unternehmertum voranbringen und die Wertschöpfung vor Ort fördern.
Um diese Ziele zu erreichen verfolgt die EU weiter den Ansatz, das sogenannte Geschäftsumfeld und die Investitionsbedingungen zu verbessern. Damit sollen zum einen bürokratische Hürden beim Aufbau und dem Betrieb eines Unternehmens abgebaut werden – beispielsweise bei der Gründung, der Registrierung von Eigentum oder bei behördlichen Genehmigungen. Zusätzlich zielt der Ansatz auf die Förderung von Infrastrukturinvestitionen im Bereich Transport, Energie und Digitalem. Durch diesen Ansatz können entwicklungshemmende Strukturdefizite überwunden werden.
Allerdings zeigt die Entwicklungsforschung, dass diese Reformen nicht ausreichen. Erfolgreiche Länder setzten auf eine vom Staat gesteuerte Industriepolitik, die eine Diversifizierung der Wirtschaft zum Ziel hat. Eine solche Industriepolitik wäre auch für die von Rohstoffexporten abhängigen afrikanischen Staaten relevant.
Der Ansatz der EU-Kommission zieht nicht in Betracht, dass afrikanische Unternehmen und Landwirte häufig mit starken Unternehmen auf dem Weltmarkt konkurrieren müssen. In Bereichen wie Technologie, Innovation und Produktivität liegen sie weit hinter Konkurrenten aus den USA, Europa oder China zurück. Afrikanische Unternehmen sind laut Studien nur bei 15 – 35% aller Produkte ähnlich wettbewerbsfähig wie ihre europäischen Konkurrenten (hier). Durch einen verstärkten Freihandel drohen diese Unternehmen bankrott und die Arbeitsplätze verloren zu gehen.
Der von der EU anvisierte Freihandel wird also kaum dazu beitragen, das selbstgesteckte Ziel des Aufbaus von Produktionskapazitäten in Afrika zu erreichen. Ganz im Gegenteil. Er droht selbst den letzten Rest industrieller Kapazitäten zu zerstören.
Ungeachtet dessen werden die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs), also die Freihandelsabkommen zwischen der EU und afrikanischen Staaten, in dem EU-Vorschlag als erfolgreiches Projekt der bisherigen Zusammenarbeit gepriesen. Verschwiegen wird, dass viele afrikanische Staaten EPAs ablehnen und diese nur unter großem Druck der EU ratifiziert haben.
Doch auch der angestrebten Regionalkooperation innerhalb Afrikas fügen die EPAs großen Schaden zu. Die Mitgliedsstaaten der afrikanischen Regionalbündnisse wurden in den Verhandlungen gegeneinander ausgespielt und Interim-EPAs mit einzelnen Staaten abgeschlossen. Damit werden regionale Zollbündnisse gesprengt. Wenn etwa Ghana durch das Interim-EPA europäische Güter zollfrei ins Land lässt, dann können diese Waren innerhalb der westafrikanischen Zollunion auch zollfrei nach Nigeria weitergeleitet werden, obwohl sich Nigeria gegen das EPA und den zollfreien Zugang europäischer Produkte wehrt. Nigerias Bemühungen eine eigene Industrie aufzubauen, werden dadurch zunichte gemacht.
Bemühungen, eine eigene Industrie aufzubauen, werden dadurch zunichte gemacht.
Um Investitionen des Privatsektors und generell seine Entwicklung voranzubringen, drängt die EU die afrikanischen Staaten dazu, eine „gerechte“ Wettbewerbspolitik zu verfolgen und für Transparenz beim geistigen Eigentum und Investitionen zu sorgen. Diese Punkte werden von afrikanischer Seite jedoch vehement abgelehnt. Schon bei den EPAs hat die EU versucht, einen (besseren) Investitionsschutz und einen Schutz des geistigen Eigentums für europäische Investoren durchzusetzen sowie den internationalen Wettbewerb zu stärken. Den afrikanischen Staaten gelang es bisher, diese drei Themenfelder aus den EPAs heraushalten. Das Argument, dass ausländische Investoren noch besser geschützt und afrikanische Staaten bei Gesetzesänderungen verklagt werden könnten, dürfte nicht unbegründet sein.
Rohstoffe – freier Zugang für die EU
Bemerkenswert am EU-Vorschlag ist, wie unverblümt die EU ihr Interesse an einem freien Zugang zu und der Förderung von Rohstoffvorkommen kundtut. So ist die Rede von „fairen, nachhaltigen und unverzerrten („undistorted“) Zugang zu den Rohstoffen, der die Souveränität der rohstoffreichen Länder vollständig anerkennt“ (eigene Übersetzung, hier: S. 18).
Die Forderung ist ein Widerspruch in sich: Ein souveräner Staat könnte selbst entscheiden, wie er seine Rohstoffvorkommen nutzen möchte und ob bzw. wem er Zugang gewährt.
Dass die rohstoffpolitische Souveränität afrikanischer Staaten durch die anvisierten Freihandelsabkommen einschränkt wird, macht die Sache nicht besser. Die Abkommen erschweren es, Exportsteuern auf Rohstoffe zu erheben. Exportsteuern können Exporte relativ zu der heimischen Nutzung der Rohstoffe zu verteuern. Das kann in Kombination mit anderen Maßnahmen als Anreiz für Investoren dienen, in den rohstoffreichen Ländern eine Rohstoffe weiterverarbeitende Industrie aufzubauen. Doch die EU schränkt diese Option durch ihre Handelspolitik aktiv ein.
Umso vager bleibt der Kommissionsentwurf bei der Menschenrechtsproblematik im Bergbausektor Afrikas. Zwar wird der sozialen Verantwortung der Unternehmen (Corporate Social Responsibility) eine wichtige Rolle zugestanden. Und anhand internationaler Standards sollen Gesetze entwickelt oder erlassen werden, um die Verantwortung der Unternehmen durchzusetzen. Ob aber mit diesen Versprechen auch die Unterstützung eines verbindlichen UN-Vertrags gemeint ist, der Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichten würde, wird nicht gesagt. Aufgrund der Blockadehaltung der EU in laufenden Verhandlungen zu so einem Vertrag ist eine Unterstützung in den nächsten Jahren äußerst unwahrscheinlich.
Quelle: https://makroskop.eu/2018/01/europas-interessen-zur-zukunft-der-eu-afrika-partnerschaft/?success=1

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