Dienstag, 30. Januar 2018

Notizen aus der Provinzhauptstadt: "Ecosystem" - Schlüsselwort für eine neue Ära kommunaler Wirtschaftspolitik?


Vor wenigen Monaten beschloss die Stadtpolitik, mithilfe eines "Masterplans Digitalisierung" aus Dortmund eine "Smart City" zu machen. Einer dafür gegründeten öffentlich-privaten "Allianz Smart City Dortmund" schlossen sich bald 120 Unternehmen und Forschungseinrichtungen an. Sie trugen einige Dutzend Projektideen zusammen, die das Leben der Stadtbewohner-innen erleichtern und/oder verschönern sollen, von kleinen App-Spielereien bis zu gigantischen Big-Data-Pools im Verkehrs- und Energiesektor.

Dass es dabei nicht nur um nette Kinkerlitzchen geht, sondern um die grundlegende strategische Neuausrichtung der kommunalen Wirtschaftspolitik, zeigt jetzt der nächste Schritt: Der städtische Eigenbetrieb "Wirtschaftsförderung Dortmund" steht vor einem Totalumbau.

"Heute agieren Unternehmen in Netzwerken und sogenannten Ecosystemen," konstatiert ihr Chef Thomas Westphal in der Ratsvorlage zur Neuorganisation. Dem zu Folge müsse sich die Wirtschaftsförderung "vom klassischen reaktiven Dienstleister zum agilen Netzwerker" wandeln.

Was steckt hinter diesem Wortgeklingel? Wie eine Recherche im Internet ergibt, ist "Ecosystem" nicht nur ein neues Modewort der Betriebswirtschaft, sondern Codewort für eine ganze Unternehmensstrategie und ihr folgend auch der Wirtschaftspolitik.

Das Wort "Ecosystem" hat der US-Ökonom James F.Moore 1993 aus der Biologie entlehnt. Dort bezeichnet es Gemeinschaften von Organismen, die mit anderen in ihrer Umgebung interagieren. Moore wandte es auf ökonomische Zusammenarbeit an. Er bezeichnete als Ecosystem
"eine wirtschaftliche Gemeinschaft aus interagierenden Organisationen und Individuen - den "Organismen" der Wirtschaft. Die wirtschaftliche Gemeinschaft erzeugt Güter und Dienstleistungen mit Wert für Kunden, die selbst zum Ecosystem zählen. Das Ecosystem umfasst auch Zulieferer, vertraglich assoziierte Haupt- und Nebenproduzenten, Wettbewerber und andere Stakeholder. Mit der Zeit entwickeln sie ihre Fähigkeiten und Funktionen im Markt gemeinsam und tendieren dahin, sich den Anforderungen anzupassen, die von einem oder mehreren Zentral-Unternehmen an sie gestellt werden. Diese Unternehmen, die die Führung innehaben, mögen mit der Zeit wechseln, aber die Führungsfunktion im Ecosystem wird von der Gemeinschaft geschätzt, weil sie den Mitgliedern ermöglicht, gemeinsame Visionen zu verwirklichen, ihre Investitionen abzustimmen und sich gegenseitig zu stärken." (soweit J.F.Moore)

Entstanden ist diese Konzeption der Vernetzung um ein führendes Zentralunternehmen herum nicht zufällig im Silicon Valley, wo die  Hochtechnologie der Welt auf dieser Basis entwickelt und vermarktet wird. Die meisten Quellen sind sich einig, dass diese Struktur besonders auf Hitech-Konzerne zugeschnitten ist. Diese nutzen ihre überragende technologische und finanzielle Macht, um nicht mehr nur die ganze Wertschöpfungskette eines Produkts, sondern jetzt auch alle möglichen Nebenprodukte und Dienstleistungen um sich herum ihren Renditeanforderungen zu unterwerfen. So bilden sich riesige Agglomerate um die marktbeherrschenden Zentralkonzerne über Branchen- und Ländergrenzen hinweg.

Zwei Beispiele aus dem Alltag sollen das verdeutlichen. Wie allgemein bekannt haben die großen Supermarktketten nicht nur schon viele eigene Produktionsbetriebe aufgebaut, sondern unabhängige Großschlächtereien, Molkereien, Viehhändler, Milch- und Weinbauern und zahllose andere Lieferanten durch Lieferverträge an sich gebunden und können denen allein durch ihre Marktmacht Preise, Termine und Konditionen diktieren. Aber damit nicht genug, beteiligen sich einige Discounter inzwischen über weltweit tätige Agrarkonzerne am Landgrabbing in Afrika, am Abholzen der Regenwälder für Rinderfarmen, Palmölplantagen usw.
Das andere Beispiel: Amazon verkauft nicht nur Bücher, sondern bindet über Lieferverträge sowohl Verlage als auch Auslieferdienste an sich. Mit dem Vertrieb von e-Books, DVDs, Filmen und anderen digitalen Medien hat der Konzern die eigene Produktpalette erweitert, aber auch unzählige große und kleine IT-Spezialisten, Medien- und Hardware-Hersteller an sich gebunden. Und neuerdings mischt der Börsenriese sogar mit „Amazon Fresh“ den Lebensmittelhandel auf.

Wenn unsere Stadtspitze diesen Strukturwandel jetzt für Dortmund vorantreibt und den eigenen Betrieb darauf umstellt, ist klar, wohin der Hase laufen soll: Mithilfe der Wirtschaftsförderung wird ein Teil der Dortmunder Unternehmen den Erfordernissen der Weltmarktbeherrschung angepasst, der große Rest kann sehen wo er bleibt.

Damit wird noch offensichtlicher, weshalb ausgerechnet der US-Konzern CISCO die treibende Kraft hinter "Smart City Dortmund" wurde. Es geht aber nicht nur um CISCO. Von den mehr als 11.000 Mitgliedsfirmen der IHK zu Dortmund sind noch nicht mal 80 (weniger als 1 Prozent) der "Allianz Smart City Dortmund" beigetreten (Stand Herbst 2017). Unter den 120 Allianz-Mitgliedern haben 46 ihren Firmensitz nicht in Dortmund, sondern benutzen nur die Dortmunder Strukturen, um ihre Marktmacht auszudehnen. Von diesen 46 „Ortsfremden“ spielen mindestens 20 in der Weltliga der Hitech-Branchen und haben großenteils selbst um sich herum schon ihre "Ecosysteme" aufgebaut.

Natürlich können und wollen wir dem Dortmunder Mittelstand nicht verbieten, sich solchen Ecosystemen anzuschließen. Natürlich spricht auch nichts dagegen, den städtischen Eigenbetrieb WF-DO so zu modernisieren, dass er aktiver auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt einwirken kann und seine Mitarbeiter-innen mehr "Autonomie und Eigenverantwortung" erhalten, wie die Vorlage es ihnen verspricht.

Es dürfte aber den wenigsten von ihnen auf- und einfallen, dass sie sich damit auf Gedeih und Verderb an Kapitalmächte binden, die sich gegenseitig die Beherrschung der Weltmärkte streitig machen – und dazu neuerdings eben auch diese Hilfstruppen in die Schlacht werfen, die sich ihnen freiwillig im Rahmen solcher Ecosysteme unterordnen.
Schon im Zusammenhang mit „Industrie 4.0“ und dem „Masterplan Digitales Dortmund“ wurde uns die Vernetzung von Wirtschaftsabläufen über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg als revolutionärer Fortschritt für Dortmunds Wirtschaft und Stadtgesellschaft gepriesen. – Jetzt erkennen wir: Was so freundlich als harmloses „Netzwerk“ daherkommt, kann zum Baustein einer weltumspannenden Strategie im Wettkampf der Wirtschaftsimperien werden. Eine immer kleinere Zahl von Weltkonzernen wird so noch mächtiger. Damit nehmen alle Gefahren weiter zu, die aus ihrer Macht über die Erde und die Menschen entstanden sind.

Stellt die digitale Vernetzung von Wertschöpfungsketten („Industrie 4.0“) eine Weiterentwicklung der technisch-organisatorischen Produktions- und Verteilungsstrukturen dar – und somit zweifellos einen Fortschritt der gesellschaftlichen Produktivkräfte – so geht es jetzt bei der Herstellung von „Ecosystemen“ um eine neue Formierung der Markt- und Machtbeziehungen zwischen den Kapitalen, um eine neue Qualität der Zusammenballung von Wirtschaftsmacht in globalen Oligopolen.

Kommunale Wirtschaftsförderung, die als abhängige Unterabteilung staatlicher Wirtschaftspolitik ohnehin den Erfordernissen der Kapitalverwertung folgt – jetzt macht sie sich hier sogar zum Treiber („agiler Netzwerker“) der Unterordnung lokaler Klein- und Mittelunternehmen unter die Oligopole. Linke und Piraten werden diese Entwicklung nicht stoppen – aber sie durch Ratsbeschluss zu unterstützen kann nicht unsere Sache sein. Wir sollten uns da raushalten.

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