Montag, 3. Oktober 2016

Schlüsse aus Wahlergebnissen ziehen: Marktwirtschaft wird zum Albtraum


In meinem Urlaub fand ich Zeit und Ruhe, die einschneidenden Verluste der „Volksparteien“ und die AfD-Gewinne bei den Länderwahlen in Meck-Pomm und Berlin in allgemeineren Zusammenhang zu stellen, um daraus Schlüsse für demokratische Politik zu ziehen. Hier in Kurzfassung meine Überlegungen.

Beides, sowohl der Niedergang der Altparteien als auch das Vordringen populistischer Parteien in Europa muss mit zeitkritischem Abstand vom politischen Tagesbetrieb als Symptom einer gesellschaftlichen Krise erkannt werden. Natürlich gehört es zur kurzschlüssigen Demagogie von Populist*innen, dass sie selbst das Wesen, Tragweite und Tiefe der Krise nicht erfassen (wollen und können) und folglich keine Wege zu deren Überwindung bieten. Daraus folgt aber auch, dass populistische Bewegungen sich nicht einfach von selbst erledigen oder durch aufklärende Gegenpropaganda erledigen lassen (so unverzichtbar diese ist), solange ihre Ursache, die gesellschaftliche Krise fortbesteht und sich gar noch verschärft.

Tatsächlich stecken die „westlichen“ Gesellschaften und mit ihnen die ganze vom Westen reklamierte „Zivilisation“ in einer ihrer tiefsten Krisen. Sie kündigte sich seit den 70‘er Jahren des vorigen Jahrhunderts an und spitzt sich seither immer weiter zu. Und zwar als Strukturkrise in mehreren Dimensionen:

1.    Im Vordergrund leiden die kapitalistischen Kernländer an einem chronischen Schrumpfen ihrer wirtschaftlichen Wachstumsraten (durchschnittliche jährliche BIP-Zunahme 2008 – 2016 OECD: 1,1 % - BRD: 0,95 % - in den 90‘er Jahren lag sie noch bei OECD: 2,6 % - BRD: 2,3 %). Eine kapitalistische Wirtschaft ohne ein Mengenwachstum mindestens in Höhe des Produktivitätsfortschritts läuft auf längere Sicht aus dem Ruder: Sie erstickt am Widerspruch zwischen Produktivitätszuwachs und „gesättigten Märkten“, produziert also immer mehr Arbeitslosigkeit und Armut, bis zum Zerreißen des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

2.    Zum kritischen Problem würde aber auch die Fortsetzung der Wachstumsdynamik, weil sie schon lange und zunehmend auf Raubbau an den natürlichen Ressourcen basiert und global unsere Lebensgrundlagen zerstört (Klima, Wasser, Boden…). Da dies Problem mit marktwirtschaftlichen Methoden unlösbar ist, wird es schon in Kürze weltweite Massenmigrationen auslösen, die in den Wohlstandsgesellschaften als Bedrohung des Erreichten aufgefasst werden.

3.    Seit den 70’er Jahren und verstärkt nach 1989 haben bewaffnete Konflikte weltweit massiv zugenommen. Eine wesentliche Ursache, auch für Bürgerkriege, Warlords und Terrorarmeen, bildet die aggressive Konkurrenz der kapitalistischen Mächte um Märkte und Einflusszonen. Die Folge sind weiterhin anschwellende Flüchtlingsströme aus den zerstörten und verelendeten Weltregionen in die Wohlstandsinseln, die sich zunehmend einigeln und ent-demokratisieren.

4.    Propagandistisch aufgeladen wird die Krise noch durch politisch und medial geschürte Schreckensszenarien einer angeblich drohenden demografischen Krise durch die „explosive Vermehrung der Weltbevölkerung“ außerhalb des westlichen Kulturkreises. Was die Panikmache verbirgt, ist die dramatisch wachsende, vom Kapitalismus verursachte Kluft zwischen den reichen und armen Weltregionen, die allerdings noch weit stärkeren Wanderungsdruck auf die reichen Staaten erzeugen wird, als wir uns heute vorstellen können, und hier zu mehr und mehr gewaltsamer Abwehr führen wird (sowohl als „Selbsthilfe besorgter Bürger“ als auch staatlich organisiert).

Bei einigermaßen unvoreingenommener Überlegung kommt niemand um die Feststellung herum, dass die „Marktkräfte“ – als gängiges Kürzel für die auf privaten Gewinn gerichteten Beziehungen zwischen privaten Geschäftspartnern – naturgemäß keine dieser vier Krisendimensionen auslöschen können. Im Gegenteil macht ihr Streben nach einzelwirtschaftlichen Renditevorteilen einen wesentlichen Teil der Krisenursachen aus und verschärft sie tagtäglich weiter. Der einzige Ausweg, auf dem sie in der Vergangenheit Strukturkrisen überwinden konnten, die Erzeugung neuer Märkte in großem Stil mithilfe technologischer Revolutionen (Dampfmaschine, Verbrennungsmotor, Computer), dieser Ausweg steht kurz- und mittelfristig nicht in Aussicht.

So kategorisch unfähig die auf Konkurrenz gegründete Marktwirtschaft zur Überwindung von Strukturkrisen, so hilflos zeigt sich dann natürlich auch die „marktkonforme Demokratie“ (Angela Merkel): Sowohl global als auch national durchkreuzen die Egoismen der großen Konzerne alle vernünftigen politischen Regelungen. (Besonders krasse Beispiele des Versagens sind die internationalen Klimakonferenzen mit ihrem aussichtslosen Versuch, die CO2-Produktion mithilfe des Ablasshandels einzudämmen; das Scheitern der Regulierung der Finanzmärkte seit 2008; das Umbiegen der Energiewende in Deutschland; die Ruinierung Griechenlands durch die Achse Berlin-Frankfurt-Brüssel-IWF; der egoistische Schacher der europäischen Staaten um die Abschottung gegen Flüchtlinge usw.)

Daraus kann nichts anderes entstehen als die Anpassung der Politik an die sich zuspitzenden Krisenverläufe. Es ist daher absehbar, dass die Politik in den nächsten Jahren immer unsozialer, undemokratischer, unmenschlicher und gewalttätiger wird. Egal welche der bürgerlichen Parteien die Regierungen bilden, werden sich alle in die Richtung bewegen, die die Populisten heute schon fordern. (Die AfD vertritt ja ebenso ein marktliberales Programm, nur noch um eine Umdrehung radikaler als die anderen – ihre Regierungsbeteiligung ist da nur eine Frage der Zeit.)

Aus solchen Aussichten ergibt sich zwingend eine Schlussfolgerung: Am Krisenkurs werden die westlichen Gesellschaften sich mehr und mehr spalten. Alles was rechts ist, auch wenn es sich „die Mitte der Gesellschaft“ nennt, wird die nationalistische Abschottung, Kriegseinsätze, den Abbau des Sozialstaats und der Demokratie verstärken. – Dagegen könnte sich um die Verteidigung der Demokratie, der Sozialeinrichtungen, der Menschenwürde und Gewaltlosigkeit eine gesellschaftliche „Linke“ mit großer Spannweite sammeln, von „rot-rot-grünen“ Parteikreisen, Sozialverbänden, Teilen der Gewerkschaften, Migrantenvereinen und -hilfswerken über kirchliche Gruppen bis zu überzeugten bürgerlichen Demokraten.

Bis dies „linke Lager“ in den kapitalistischen Kernländern stark genug wird, Mehrheiten zu organisieren, um zu einer humanen, gemeinschaftlichen Verantwortung (zurück) zu finden, können die nächsten Jahrzehnte zum Albtraum werden. Dabei ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass die herrschende Klasse, um die Krisenfolgen nach unten und außen abzuwälzen und das Erstarken der Linken zu verhindern, zu einer neuen Variante eines autoritären Regimes greift, einer Art weiterentwickeltem, modernisiertem Faschismus, der auf lückenlose digitale Überwachung, subtile Repression, Gehirnwäsche, Hitech-Krieg nach innen und außen setzt (ohne auf eine Massenbasis aus radikalisierten Kleinbürgern und Lumpenproletariern zu verzichten). Wer sich und seinen Nachkommen diesen Albtraum ersparen will, muss sich beizeiten, nämlich heute, für die Bildung des „linken Lagers“ einsetzen.

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