Zeitgleich mit dem Besuch des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel im Technologiezentrum, dem Flaggschiff des „Strukturwandels“ in Dortmund, berichteten die in Dortmund erscheinenden RuhrNachrichten von vier einschneidenden Deformationen des Sozialstaats, selbstverständlich ohne jeden Bezug auf den hohen Gast und den Anlass seines Besuchs:
1.
Minijobs und prekäre Arbeit können nicht mehr
verdecken, dass die Arbeitslosigkeit weiter zunimmt.
2.
Die Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung
werden sich in den nächsten fünf Jahren durchschnittlich von 22 auf 55 Euro
monatlich mehr als verdoppeln.
3.
In den Großstädten wie Dortmund fehlen immer
dringender Sozialwohnungen.
4.
In NRW sind immer mehr Menschen obdachlos.
Jeder dieser vier Trends folgt aus jeweils eigenen
spezifischen Ursachen, keine Frage. Dass der massenhafte Zuzug von Geflüchteten
auch auf den Arbeitsmarkt drückt, wird niemand bestreiten wollen. Der
Zusammenhang der explodierenden Kassenbeiträge für die Versicherten mit dem
medizinischen Fortschritt und der steigenden Lebenserwartung leuchtet ein. Dass
die Bundesregierung sich total aus der Wohnungsbaufinanzierung zurückgezogen
hat, musste absehbar zu Wohnungsnot im unteren Segment führen und war ein
großer Fehler, der nun hoffentlich schnell korrigiert wird. Steigende
Obdachlosenzahlen mit der Verarmung zunehmender Teile unserer Gesellschaft in
Verbindung zu bringen, erfordert auch nicht viel Denkarbeit.
Alles einleuchtend. Wo „Struktur gewandelt“ wird, gibt es
eben auch unschöne Begleiterscheinungen. Alles nicht so tragisch, denn die
Erklärungen liefern schon die Abhilfe? Gemeinsam ist allen solchen Erklärungen:
Sie ermöglichen bestenfalls ein hilfloses Herumdoktern am einzelnen Symptom.
Während eine Etage höher, auf gesellschaftlicher Ebene, fröhlich mit dem Minister
weiter der „Strukturwandel“ gefeiert werden kann. Von der Industrie- zur „Dienstleistungsgesellschaft“,
von dieser zur „Wissensgesellschaft“, und wie die Nebelwolken alle heißen.
Was sie vernebeln, ist der Zusammenhang zwischen den
zitierten Meldungen und der tatsächlichen Struktur unserer Gesellschaft. Ihre
Spaltung von Grund auf in die wirtschaftlich bestimmende Minderheit und die von
ihr abhängige ( mehr und mehr abgehängte) Mehrheit. Solange wir diese Struktur
nicht „wandeln“ – und das geht logischerweise nur von unten – werden ihre
Folgen weiter eskalieren.
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