Samstag, 4. Juni 2016

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Armenhaus als Spekulationsmasse



Die Zockerei der Dortmunder „Amigo-Connection“ (DER SPIEGEL) kennt keine Grenzen der Vernunft mehr
Dass der einst blühende Industriestandort Dortmund im reichen Deutschland sich in ein Armenhaus verwandelte, verdankt er nicht zuletzt dem Eigennutz seiner Stadtspitze. Seit Jahrzehnten steckt die hiesige SPD mit dem privaten Energiemulti RWE unter einer Decke und hat an ihn Hunderte Millionen Euros zu Lasten der Dortmunder Strom- und Gaskunden und des Stadthaushalts verschoben. Erst vor wenigen Wochen hat sie über 100 Millionen € für das RWE-Kohlekraftwerk GEKKO in den Sand gesetzt, Totalverlust.

Was gelernt? Nicht die Bohne, jetzt wollen der OB Sierau und sein Stadtwerke-Chef Pehlke bis zu 200 Millionen € neue Schulden machen, um mit Aktien der neuen RWE-Tochter „RWE International SE“ zu spekulieren. – Sierau sitzt im Aufsichtsrat des Mutterkonzerns RWE AG, Pehlke bei der STEAG, einem weiteren Energieriesen.

Das ist der reine Wahnsinn, und zwar aus mehreren Gründen:

So wie RWE mit drei, vier anderen Großkonzernen sich den deutschen Markt für konventionelle Energieerzeugung aus Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken aufgeteilt hat, so will RWE jetzt mit der neuen Tochter eine marktbeherrschende Stellung bei den Erneuerbaren Energien aufbauen. Die meisten konzern-unabhängigen Fachleute sind sich einig, dass die Energiewende nur über dezentrale Erzeugung vor Ort gelingen kann.  Doch im frontalen Gegensatz dazu setzt RWE unbelehrbar weiter auf Marktbeherrschung durch Großtechnologien: So sollen die riesigen Offshore-Windparks, an denen RWE in der Nordsee und vor Wales beteiligt ist, nach 2017 über 1,5 Millionen Haushalte mit Strom beliefern.
Diese Megatechnik hat aber zwei entscheidende Nachteile:
-       Zum einen braucht sie neue Starkstromtrassen von der Nordsee bis nach Bayern, die für die Stromkunden erheblich teurer kommen als dezentrale Anlagen in Verbrauchsnähe,
-       Zum anderen bleiben die Menschen weiter im Status passiver Verbraucher an die Gewinnerwartungen von Aktionären gefesselt, statt ihre Energieversorgung selbst planen und kalkulieren zu können.

In einem Komplott zwischen Bundesregierung (Wirtschaftsminister Gabriel, SPD), Landesregierung NRW (Hannelore Kraft, Garrelt Duin, beide SPD) und der IG-BCE-Führung haben RWE und die anderen Multis die Energiewende ausgebremst und beinahe schon abgewürgt. Von der jetzt beschlossenen „Reform“ des EEG profitieren RWE und E.ON am meisten, zu Lasten der preisgünstigeren kleinen Regenerativ-Erzeuger – und damit auch zu Lasten der Stromkunden. Die Dortmunder Stadtspitze macht sich zur Komplizin dieses Komplotts, wenn sie RWE dafür Aktien abkauft.

Damit RWE-alt überhaupt bis 2040 oder gar 2050 weiter Kohlestrom produzieren kann, wie von der Bundesregierung jetzt geplant,  muss der Mutterkonzern unabdingbar aus der Verlustzone kommen und seine immense, immer weiter ansteigende Schuldenlast reduzieren. Das wird im konventionellen Sektor aber immer schwieriger: Die Großhandelspreise am Strommarkt sind im Keller und sinken weiter infolge der europaweiten Überkapazitäten. Das verrückte ist, dass dafür vor allem die Großanlagen der Oligopole selbst sorgen und nicht etwa die Erneuerbaren Energien, wie die Konzernlobbyisten immer schreien.
Folglich sollen die von der neuen RWE-Tochter erwarteten Gewinne zum Verlustausgleich bei der Mutter dienen und zu 90 % an diese abfließen. Die Dortmunder-innen würden also RWE-alt indirekt dabei helfen, noch auf Jahrzehnte hinaus unrentable und äußerst umweltschädliche Braunkohlekraftwerke und -Tagebaue in Betrieb zu halten.

Nicht nur das – über den Aktiendeal würden die Dortmunder-innen dem RWE-Konzern auch noch den Ausstieg aus dem Atomgeschäft finanzieren, denn für Abbau und Verschrottung seiner Reaktoren muss RWE-alt noch Milliarden locker machen.

Dass die alte RWE noch einmal Dividende ausschüttet, ist eher unwahrscheinlich. Soeben hat Moody’s das Rating der RWE AG auf eine Stufe über Ramschniveau gesenkt (Baa3), so dass sich die Refinanzierung weiter verteuert.
Ob die angekündigte Ausschüttung der Tochter RWE International SE ausreichen wird, um einen Kredit für den Aktienkauf zu bedienen, steht heute in den Sternen. Selbst bei den derzeit äußerst günstigen Kreditkonditionen könnte sich für die Dortmunder Stadtwerke und die Stadtkasse ein negativer Saldo ergeben, sobald die EZB ihre Nullzins-Politik aufgibt.

Mal ganz abgesehen von all dem kann es doch nicht Aufgabe eines städtischen Versorgungsunternehmens sein, mit Aktien privater Großspekulanten zu zocken – und sich dafür auch noch am Finanzmarkt zu verschulden. Über so eine Perversion der öffentlichen Daseinsvorsorge denken verantwortliche sozialdemokratische Politiker und Stadträte anscheinend gar nicht mehr nach, so haben sie die Zockermentalität des Neoliberalismus selbst schon verinnerlicht.

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