Freitag, 26. Februar 2016

Die gesellschaftliche Linke muss sich nicht neu erfinden, aber ihre Strategien auf die neue Lage einstellen




Dieser Beitrag fasst mein persönliches Fazit aus Diskussionen in der Bezirksgruppe Dortmund-Hörde der  LINKEN zusammen. Sie begannen mit einer Auseinandersetzung um die Migrationspolitik - Abschottung  versus offene Grenzen, dazu in diesem Blog ab 05.11.2015 - gingen von der Konfrontation zwischen  Nationalismus und Humanismus auf eine umfänglichere Untersuchung des Populismus über und schlossen von  da aus an die Strategiedebatte an, die aktuell bundesweit in der LINKEN läuft. Hier mein Fazit.

Bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre lieferte die Nachkriegswirtschaft die materielle Basis dafür,  dass die breite Mehrheit in Westdeutschland mit den herrschenden Verhältnissen einigermaßen zurecht  kam und zufrieden war. Das Kartell der "Volksparteien" (CDU/CSU und SPD) schätzte das langezeit  realistisch ein und verfolgte ein integratives Politikkonzept des Klassenfriedens und der kleinen  sozialen Korrekturen am Kapitalismus. Es ermöglichte auch, dass das kleine Westdeutschland in nur  achtundzwanzig Jahren bis 1973 20 Millionen Zuwanderer aufnahm und ökonomisch und sozial, nicht immer  problemlos, doch im großen und ganzen erfolgreich integrierte. (Unter ihnen 10 Millionen  Kriegsflüchtlinge aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa, 4 Millionen Aussiedler aus Ostblockstaaten, 4  Millionen Arbeitsmigranten -"Gastarbeiter", über 1 Million DDR-Übersiedler, ab 1991 nochmals über 2  Millionen Spätaussiedler und "Kontingentflüchtlinge" aus der ehemaligen SU.)

Die Krise 1966/67 kündigte das Wegbrechen der ökonomischen Basis dieses "rheinischen Kapitalismus" an,  die herrschende Klasse schaltete vom Klassenkompromiss auf verschärften Klassenkampf um, schuf sich schon mal vorbeugend Notstandsgesetze und ging ab 1973/75 zum Neoliberalismus über. Mit einer Verzögerung von 30 Jahren schwenkte die SPD auf die neuen Bedingungen ein und entwickelte sich zur Hilfstruppe des neoliberalen Kraftzentrums (Schröders "Agenda 2010", Jugoslawienkrieg). Die Grünen entstanden als Partei überhaupt erst in dieser Periode und entwickelten sich von Anfang an zum "ökologischen Gewissensbiss" der Globalisierung, zum "Ja-aber" des deutschen Großmachtdrangs.

Ab 2008 stößt die verschärfte Kapitaloffensive offenkundig an ihre Grenzen. Deutsch-Europa geriet in  eine existenzielle Krise, die bis heute andauert. Und zwar hat die Krise sowohl wirtschaftliche,  finanzielle, staatlich-politische, nationale wie internationale, als auch ideologische Dimensionen. Die  Herrschaft der bürgerlich-(neo)liberalen Ideologie über den Alltagsverstand wird zunehmend in Frage  gestellt.

Als Symptom und Folge der Krise erleben wir ein umfassendes Abrutschen des deutschen (und europäischen)  common sense nach rechts. Politik und Mainstream-Medien heizen den Wohlstandschauvinismus der Mittel-  und Unterschichten seit Jahren mit pausenloser "Wettbewerbs"propaganda auf und liefern damit auch  Argumentationsmuster für fremdenfeindliche Radikalisierung. Die jüngsten Asylrechtsverschärfungen haben  den Schutz Verfolgter vom Menschenrecht zur Waffe im Wirtschaftskrieg entwertet. Die europäische  Einigung fällt zurück in die Abschottung der Mitgliedstaaten gegeneinander und offenbart sich als das,  was sie immer war: ein Zweckbündnis konkurrierender Wirtschaftsmächte, auf Widerruf sobald veränderte  Verhältnisse ihn erzwingen. Vordergründig richtet sich diese Politik gegen Minderheiten  ("Wirtschaftsflüchtlinge, Sozialschmarotzer, Islamisten, Straftäter, Gefährder" usw.), doch tatsächlich  attackiert sie die Bevölkerung insgesamt: Die Eliten zerstören die Solidarität in der Gesellschaft.  Selbst die sich als liberal verstehenden Medien machen sich zu Verstärkern des Rechtskurses.

Wie die Krise sich weiter entwickelt, und wie die dafür Verantwortlichen sie überwinden wollen und  können, ist derzeit nicht absehbar. Einen Rückweg zum Integrationsregime der Nachkriegsjahrzehnte  verbieten die Verwertungszwänge der "Globalisierung". Eine freundliche Übernahme Europas als  Deutschlands Hinterhof (wie einstmals Lateinamerikas durch die USA) erscheint, zumindest von heute aus  gesehen, ebenso unmöglich. Den Herrschenden, da sie nicht dazu neigen, friedlich und bescheiden von der  Bühne abzutreten, bleibt nur die Flucht nach vorn, mit vollem Risiko verschärfter Klassenkämpfe.

Gerade die erst vor kurzem in der Wolle gefärbte Hilfstruppe des Neoliberalismus, die SPD weiß in  dieser neuen Lage überhaupt nicht mehr "wo's lang geht". Im gleichen Maß, wie der Mainstream sich nach  rechts verschiebt, verschwimmen auch die Grenzen des Zumutbaren für Sozialdemokrat-innen. Sigmar  Gabriels Verzweiflungskurs, die CSU rechts überholen zu wollen, führt bislang nicht zu massenhaften  Absetzbewegungen an der Basis. Doch an der Unvereinbarkeit von reformistischem Klassenfrieden und  Hilfsdiensten für die Kapitalverwertung wird die SPD immer weiter an Zustimmung verlieren. Sie bleibt  attraktiv nur noch für Technokraten zweiter Garnitur, alle anderen sind ihr schon verloren gegangen  oder werden ihr im nächsten Jahrzehnt verloren gehen. Die Grünen werden ihre Rolle als ökologische  Bedenkenträger weiter spielen, aber das ist keine ausreichende Basis für eine erhebliche Verbreiterung  ihres Wählerpotentials.

Die meisten Mitglieder und immer mehr Funktionäre der LINKEN ahnen inzwischen, dass ein rot-rot-grünes  Projekt sich wohl kaum (jedenfalls nur in sporadischen Ausnahmen) durch Wahlarithmetik allein ergibt,  sondern eine deutliche Wechselstimmung in der Bevölkerung bräuchte, die entsprechenden Druck auf SPD  und Grüne aufbaut. Danach sieht es hierzulande gegenwärtig ganz und gar nicht aus.

Unter diesen Bedingungen kann die LINKE sich alle Hoffnungen auf eine rot-rot-grüne Parlaments- und  Regierungsmehrheit auf absehbare Zeit abschminken. Selbst wenn es ihr gelänge, einen relevanten Teil  der von der SPD enttäuschten Sozialdemokrat-innen dafür zu gewinnen, wäre das keine ausreichende  gesellschaftliche Basis für eine rot-rot-grüne Parlamentsmehrheit. Das schätzen Gabriel u.Co. durchaus  realistisch ein und werden sich solchen Avancen auch weiterhin verweigern. Ebenso die Grüne Führung.  Und die Aussichtslosigkeit dieser Strategie erkennen natürlich auch die heimatlos gewordenen  Sozialdemokrat-innen und sehen für sich keinen Grund, das tot geborene Kind der LINKEN aus dem Brunnen  zu holen.

Doch wenngleich der Rechtsrutsch sich jetzt so beschleunigt, dass einem angst und bange werden kann und  wir uns ohnmächtig in der Defensive fühlen: Die herrschende Klasse kann auch in Deutschland nicht  einfach "durchregieren" lassen, wie Merkel das versprach. Dem steht immer noch eine deutliche Mehrheit  der Bevölkerung  auf Seiten der Demokratie, der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit im Weg.  Gerade wegen der (europa- und weltweiten) Verschärfung des Klassenkampfs-von-Oben ist es durchaus  möglich, dass der Widerstand an Breite, Ge- und Entschlossenheit zunimmt.

Eine politische Gegenbewegung nach links kann aber nur außerhalb der Parlamente und Institutionen  wachsen, durch außerparlamentarisch-basisdemokratische Kooperationen. Von den organisierten Linken  erfordert das eine klare, harte strategische Kurskorrektur: Bisher stand im Mittelpunkt linken  Politikverständnisses die parlamentarische Tätigkeit. Besonders der Linkspartei diente ihre  (überschaubare) Unterstützung außerparlamentarischer Kämpfe vor allem zur Begründung ihrer  parlamentarischen Initiativen. Will sie der neuen Lage gerecht werden, muss sie ab sofort ihr Standbein  wechseln und zur "Bewegungspartei" werden.

Wenn die Linken in der Gesellschaft es nicht schaffen, mit der demokratisch gesinnten Mehrheit gemeinsam den Rechtskurs zu stoppen, dann brauchen sie von mehr Demokratie und sozialem Ausgleich nicht  zu träumen, weder im einzelstaatlichen Rahmen noch gar in der europäischen Staatengemeinschaft. Der  Kampf gegen die rechte Politik kann aber nur nachhaltige Erfolge haben, wenn er die alltägliche Abwehr  populistischer Demokratieverächter (AfD-Pegida-DieRechte-NPD, Seehofer u.co.) erweitert auf die  Zerstörung des solidarischen Gemeinwesens durch die herrschende Ideologie des "Kampfs um's Dasein"  (Neusprech: "Wettbewerb"); wenn er in seinen organisierten Formen Solidarität und Internationalität  lebt und stärkt. - Dazu haben linke Bewegungen in ihrer traditionellen Sektenborniertheit bisher wenig  geleistet. Das vor allem müssen sie bei sich selbst und im Umgang mit Bündnispartnern ändern.

An die Stelle aussichtsloser Versuche, der EU den Neoliberalismus auszureden, muss die Losung treten:  Demokrat-innen Europas vereinigt euch gegen das antidemokratische, antisoziale Monster EU -  organisieren wir die Solidarität von unten, im Inland und international.

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