Montag, 9. März 2015

Am Beispiel Griechenland. Soll und Haben linker Politik in der Krise des Kapitalismus


Linke, die ernsthaft einen Ausstieg aus dem Kapitalismus suchen, müssen sich gründlich überlegen, unter welchen Bedingungen sie sich an die Spitze eines kapitalistischen Staates stellen. Für diese Entscheidung genügt weder die Aussicht auf eine tragfähige Regierungskoalition mit bürgerlichen Parteien (Thüringen) noch gerechte Empörung über die kapitalistischen Schandtaten. Allgemein gesprochen ergibt sich die Möglichkeit einer Kräfteverschiebung nach links immer dann, wenn die herrschenden Klassen ökonomisch und / oder politisch den Karren so tief in den Dreck gefahren haben, dass sie mit ihren alten Methoden nicht mehr herrschen können und zugleich am Ausweg nach rechts gehindert werden. Sind in so verfahrener Lage die breiten Massen zwar entschlossen, den Staat gegen die offene Gewaltherrschaft von rechts zu verteidigen, aber noch nicht bereit, den Kapitalismus hinter sich zu lassen, dann steht jede Regierung vor der undankbaren Aufgabe, den kapitalistischen Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen.

Linke Krisenpolitik
Unter der Bedingung, dass die Volksmassen noch nicht "fertig" sind mit dem Kapitalismus, kann auch eine linke Regierung in der Krise nur "kapitalistische" Politik machen – genauer gesagt: einen links-sozialdemokratischen „new deal“, der die Verwertungsbedingungen des Kapitals und die Lebensbedingungen der Massen wieder soweit „ausgleicht“, dass beide überleben können. Das muss nicht automatisch falsch sein: Reformen, die diesen Namen verdienen, die Kapitalverwertung beschränken, den Klassenkampf um sie zuspitzen und die Grenzen der Reformierbarkeit des Kapitalismus sichtbar machen, das können Schritte des Herankommens an die Machtfrage, Schritte zur Erringung der Hegemonie sein. Mehr schafft diese Taktik dann nicht. Es wäre dumm, dies einer regierenden Linken vorzuwerfen. Wenn sie eine sich bietende Chance ergreift, die Krise des Kapitalismus ausnutzt, um dessen Überwindung vorzubereiten, handelt sie durchaus revolutionär. Die griechische Kommunistische Partei KKE hat das bis heute nicht begriffen, und Teile der deutschen Linken ebenso wenig.

…und SYRIZA ?
SYRIZA's Wahlsieg vom 25.Januar war Ausdruck der gerechten Empörung der griechischen Massen über die Politik der Oberschicht und der EU. Aber noch nicht Ausdruck eines Mehrheitswillens - sei es auch nur der griechischen Arbeiterklasse - mit dem Kapitalismus Schluss zu machen. In diesem Fall ist allerdings noch völlig offen, ob SYRIZA den Staatskarren und die nationale Ökonomie wieder flott kriegen kann. Allein um der tief in der griechischen Gesellschaft wuchernden Korruption, des Steuerbetrugs und der Vetternwirtschaft Herr zu werden, braucht SYRIZA eine solche zielstrebige Geschlossenheit und darauf basierend eine solche Autorität, dass sie die Bevölkerung - zumindest die Arbeiterklasse - zum Kampf gegen millionenfache alte Gewohnheiten mobilisieren und zugleich die korruptionsverseuchte Staatsverwaltung gegen sich selbst aufbieten kann. Das erfordert einige administrative Gewaltanwendung und wird das Land in Millionen Konflikte stürzen. Und zwar nicht in Jahren, sondern binnen weniger Wochen, um den akuten Staatsbankrott abzuwenden und weitere erpresserische "Hilfs"kredite ablehnen zu können.

Offen ist darüber hinaus aber auch, ob SYRIZA willens und zielklar genug ist zu einer solchen Taktik des Herankommens an die sozialistische Umwälzung, wie ich sie oben skizziert habe. SYRIZA konnte gerade deswegen siegen, weil sie eine breite, ziemlich bunte linke Sammlungsbewegung ist, die auch in sich noch sehr unklare Vorstellungen und große Differenzen zum Charakter einer neuen griechischen und europäischen Gesellschaft und zu den Fragen des Übergangs zu dieser neuen Gesellschaft vereinigt. Das ist keine aussichtsreiche Basis für den sofortigen Bruch mit den herrschenden Oligarchien. Sondern es geht zunächst darum, Zeit zu gewinnen für die anstehenden Klärungsprozesse.

"Rettet den Kapitalismus"
Der heutige griechische Finanzminister Iannis Varoufakis hat sich dazu schon ein Jahr vor seiner Amtsübernahme, also weit vor den jetzt laufenden Verhandlungen mit den Eurokraten, in einem Grundsatzreferat geäußert. Unter der Überschrift "Rettet den Kapitalismus" erklärte er, warum man zunächst das System vor sich selber schützen müsse: "Europas aktuelle Lage stellt eine Bedrohung für die ganze Zivilisation dar...Die Krise in Europa wird wohl kaum eine bessere Alternative zum Kapitalismus hervorbringen, sondern viel eher gefährliche rückwärtsgewandte Kräfte entfesseln, die ein Blutbad verursachen und gleichzeitig jede Hoffnung auf Fortschritt auf Generationen hinaus vernichten könnten..." V. sieht "einen krisengeschüttelten, zutiefst unvernünftigen und abstoßenden europäischen Kapitalismus, dessen Zusammenbruch, trotz all seiner Fehler, unter allen Umständen vermieden werden sollte." Dies Bekenntnis solle dazu dienen, "Radikale von einem widersprüchlichen Auftrag zu überzeugen: den freien Fall des europäischen Kapitalismus zu stoppen, eben gerade damit wir Zeit bekommen, um eine Alternative zu formulieren."

Für mich klang das zunächst sehr nach Gorbatschows Begründung, warum er den ersten sozialistischen Staat der Welt endgültig wieder an den Kapitalismus auslieferte und im Vorbeigehen auch die DDR zum Anschluss an die BRD freigab: Weil es angeblich jenseits der Klassen und ihrer Machtkämpfe allgemeine Menschheitsfragen gäbe, die nicht mit Sozialismus-Kommunismus zu lösen seien, sondern nur mit einer kapitalistisch-sozialdemokratischen Reformpolitik. Und dieser Gorbatschow'sche Mist hatte mich damals schon an die klassisch gewordene Ansage des sozialdemokratischen Politikers Fritz Tarnow erinnert (1931, mitten in der ersten Weltwirtschaftskrise): Mit der Behauptung, die Sozialdemokratie müsse "Arzt am Krankenbett des Kapitalismus" sein, rechtfertigte er die Tolerierung der Brüning'schen Notverordnungen, die den Faschismus vorbereiteten.

Bei Varoufakis hingegen basiert die Strategie, zunächst den Kapitalismus vor dem Zusammenbruch zu retten, auf einer auch für Marxisten annehmbaren Analyse der gegenwärtigen Krise. Verkürzt gesagt läuft seine Argumentation darauf hinaus, dass die Marx'sche Analyse der zyklischen Konjunkturkrisen für die heutige Systemkrise nicht mehr ausreicht und das Kapital die schon von Rosa Luxemburg aufgezeigte Alternative "Sozialismus oder Barbarei" immer mehr in Richtung Barbarei beantwortet. Eine barbarisierte, brutalisierte, durch anhaltendes Krisenelend demoralisierte Menschheit aber hätte einen viel weiteren Weg zum Sozialismus als unser noch halbwegs demokratisch zivilisiertes Gegenwarts-Europa. Diese Überlegung steht in diametralem Gegensatz zu den Illusionen von Sozialdemokraten, die den Kapitalismus gern verewigen möchten, so er denn human und friedlich würde.

Und danndn ?
Wie dem auch sei, muss die sozialistische Linke nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa noch zu der Reife finden, ihre Antwort auf die Systemkrise des Kapitalismus weiter zu klären, in ein einigendes Programm zu schreiben und in Europas Klassenkämpfen zu erhärten. Dafür braucht sie noch einige Zeit. Wenn SYRIZA uns diese Zeit gegen die schiefe Ebene der Krise erkämpft, hat die europäische Linke schon viel gewonnen.

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