Freitag, 26. Juli 2013

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Stadt-Streicher gegen Land-Streicher. Dortmund vor der Pleite


Seit mehr als zehn Jahren immer dieselbe Klamotte. Das Jahr ist gerade halb um, da bläst der Stadtkämmerer ins Horn, weil er mit dem Geld nicht auskommt. Infolge „unvorhergesehener“ Ereignisse liefen im Stadthaushalt die Ausgaben den Einnahmen davon. Nicht vorher sehen können das allerdings nur Leute, die im Fernsehen bloß Sport, Krimis und Kochshows gucken und im Stadtrat grundsätzlich weghören, wenn die LINKE genau die Fakten benennt, die den phantastischen Haushaltsplan Monate später in den Papierkorb fegen. So wiesen wir auch in der Haushaltsdebatte für 2013 nach, dass die europäische Krise zum Einbrechen der Gewerbesteuer und zu steigenden Soziallasten der Stadt führen wird. Jetzt haben wir den Salat.

Im zweiten Akt des alljährlichen Dramas, pünktlich zur Sommerpause, zieht dann der Kämmerer eine neue Giftliste aus dem Ärmel, mit der die Stadt leider-leider ihre Leistungen für die Bürger noch mehr zusammenstreichen muss. Um den Rat auf Kürzungen und die Bürger auf Verzicht einzustimmen, droht er jedesmal mit dem dicken Knüppel: Ohne Ausgabenkürzungen würde das Haushaltsloch so groß, dass die Stadt in die Haushaltssicherung rutsche und fortan ihre Finanzhoheit verlöre. Da Laien sich darunter alles mögliche, aber nichts genaues vorstellen können, fallen sie Jahr für Jahr auf diese Panikmasche herein.

Haushaltssicherung? Ein Restchen vom „rheinischen Kapitalismus“

Detroit ist pleite, lesen wir. Na und? Was ändert sich in den Slums? Was am Verkehrschaos? An der Arbeitslosigkeit, der rassistischen Polizei, der Zwei-Klassen-Medizin, den Hypothekenschulden der Hausbesitzer? Den reichen Gläubigern der Stadt droht ein Kapitalschnitt, eine Spekulationsblase platzt, die Spekulation auf öffentliche Güter geht weiter.

Das deutsche Gemeinderecht ist noch nicht ganz so „marktkonform“ (O-Ton Merkel). Hier soll die Kommunalaufsicht des Regierungspräsidenten Kommunen vor der Pleite (das heißt: deren Kreditgeber vor Verlusten) bewahren. Die Gemeindeordnung NRW schreibt vor: Wenn der städtische Jahresabschluß ein höheres Defizit ausweist als ursprünglich geplant, so kann die Aufsichtsbehörde  „Anordnungen treffen, … diese auch selbst durchführen oder … einen  Beauftragten bestellen, um eine geordnete Haushaltswirtschaft wieder herzustellen.“ Die Stadt braucht dann für alle Ausgaben die Genehmigung des Regierungspräsidenten in Arnsberg oder seines Beauftragten.

Darüber hinaus gilt: Defizite zwischen Einnahmen und Ausgaben müssen mit städtischem Eigenkapital verrechnet werden, das Eigenkapital schrumpft entsprechend. Übersteigt das Defizit in zwei aufeinander folgenden Jahren jeweils 5 % des verbliebenen Eigenkapitals, so muss die Stadt ihre Haushaltspläne von der Kommunalaufsicht genehmigen lassen und ein „Haushaltssicherungskonzept“ aufstellen, mit dem sie innerhalb von 10 Jahren zu einem Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben kommen kann.

Während alle anderen Dortmunder Ratsfraktionen sich bisher immer unter diesen Knüppel beugten, stimmt die LINKE regelmäßig gegen die Streichlisten – trotz drohender Haushaltssicherung. Und zwar aus folgenden Gründen:

Erstens schlägt die LINKE seit Jahr und Tag immer wieder Alternativen zum Sozial- und Personalabbau vor:
-       Stärkung der Einnahmeseite durch höhere, zum Teil neue Gemeindesteuern  auf große Vermögen und Unternehmensgewinne,
-       Umschichtung von Unternehmenssubventionen in Nachfrage-steigernde Beschäftigungsprogramme,
-       Verzicht auf protzige Repräsentations- und Prestigeprojekte wie den U-Turm.
Aber solche Vorschläge sind für unsere Oberschicht natürlich völlig unannehmbar. (Immerhin folgte diesmal endlich der Rat unserem Antrag, den Hebesatz der Gewerbesteuer zu erhöhen, sonst sähe es jetzt noch schlimmer aus.)

Zweitens sind die Eingriffsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde nicht so dramatisch wie vom Kämmerer an die Wand gemalt: Zu ca. 90 % der Ausgaben ist die Stadt gesetzlich oder vertraglich verpflichtet, die kann auch ein Regierungspräsident nicht kippen.

Drittens: Bei den restlichen 10 %, den „freiwilligen Leistungen“ wie Jugendheime, Schwimmbäder, Parks, Theater, Museen, Dortmundpass usw. macht es finanziell keinerlei Unterschied, ob unsere Stadtspitze sie freiwillig kaputt spart und an Private verramscht, um der Kommunalaufsicht zuvor zu kommen, oder ob ein Beamter in Arnsberg sie kaputt spart. Die grundgesetzlich geforderte Selbstverwaltung der Kommunen verkürzt sich heute darauf, die Reihenfolge der Streichungen zu bestimmen, aber nicht deren Umfang und Tempo. Die ergeben sich aus den Zwängen der staatlichen Gemeindefinanzierung. Wirtschafts- und sozialpolitisch läuft beides gleichermaßen auf weitere Umverteilung öffentlicher Mittel hinaus: Unten kürzen, damit die Oberschicht noch reicher wird.

In der Tat laufen die meisten Streitereien um Geld im Stadtrat nach dem Prinzip „Beggar my neighbour“ (Mach meinen Nachbarn zum Bettler): Jede Fraktion versucht, ihre speziellen Freunde möglichst weit hinten auf der Streichliste zu platzieren, und alle zusammen versuchen sie, ihrer Stadt Vorteile auf Kosten anderer zu sichern. (Das nennen sie Wettbewerb.)

Viertens aber steckt darin ein vielleicht entscheidender politischer Unterschied: Das wollen wir doch erst einmal sehen, ob Sozialdemokrat Bollermann im fernen Arnsberg mit den Dortmunder-innen noch rabiater umspringen kann als seine Parteifreunde hier, die mit all ihren weit verzweigten Netzwerken vor Ort jeden Widerstand gegen ihre Giftlisten unter der sozialdemokratischen Filzdecke ersticken.

Schuldenbremsen: Klassenkampf von oben

Warum ist das Ideal der „schwäbischen Hausfrau“ für öffentliche Haushalte grundverkehrt? Weil die Hausfrau nur darauf achten muss, mit dem vorgegebenen Haushaltseinkommen gut auszukommen, also das Konto am Monatsende nicht zu überziehen. „Schuldenbremsen“ funktionieren genau nach demselben Prinzip: Die Einnahmen des öffentlichen Haushalts werden von oben vorgegeben, ihr Rahmen wird ausgehandelt in Kungelrunden der obersten Parteispitzen mit Kapitalvertretern. Die Finanzhoheit der Kommunen besteht nur darin, mit diesen vorgegebenen Mitteln „auszukommen“, das heißt, dass im „Wettbewerb“ mit ihresgleichen die Katastrophen der anderen größer erscheinen als die eigenen („Uns geht es ja noch rosig…“).

LINKE-Politik macht dies „Beggar-my-neighbour“-Spiel nicht mit. Wir verteidigen sowohl die Caritas-Energieberatung als auch die Breitenkultur im Museum am Ostwall – am Ostwall ! – sowohl den Dortmundpass als auch die städtischen Bäder und naturnahe Freiräume für die Naherholung usw. Wir verweigern uns einer Wettbewerbsideologie, die Dezernate gegeneinander, die Städte gegeneinander und alle zusammen gegen „den Staat“ ausspielt, um die Umverteilung von unten nach oben munter fortzusetzen. Immer mehr Städte sind ja deswegen faktisch pleite, weil heute auf allen Ebenen Finanzpolitik dem Prinzip huldigt: Privat vor Staat ! Privater Reichtum durch öffentliche Armut ! Das nennen wir Klassenkampf von oben.

Klar ist aber, ob mit oder ohne Haushaltssicherung: Eine sozialere Einnahmenpolitik – sprich: Steuerpolitik in Stadt und Land können nur die von den Kürzungen Betroffenen selbst durchsetzen. Das Veto der LINKEN im Rat kann ihnen das nicht abnehmen, sondern nur den Druck der Straße unterstützen. Wenn der fehlt, ist die LINKE machtlos. Denn ihr parlamentarischer Einfluß, Resultat von Wahlergebnissen, steigt oder fällt mit dem Geschehen auf der Straße. Ihre Präsenz in den kapitalistischen Medien ebenso.

Nicht dass es uns an guten Ideen für bessere Alternativen mangelt – es mangelt vielen Menschen „nur“ an Selbstvertrauen, sich auf sie einzulassen. Das Misstrauen gerade junger Menschen gegen alles „Politische“ trudelt in eine gefährliche Abwärtsspirale: Je schwächer der politische Widerstand gegen Kürzungen, umso weniger Rücksicht muss die herrschende Klasse nehmen – und je rücksichtsloser diese „durchregieren“ kann (O-Ton Merkel), umso mehr zersetzt Resignation den Widerstand.

Wer die Umverteilung von unten nach oben stoppen will, muss diesen Abwärtssog stoppen. Der entscheidende erste Schritt, ob gegen Stadt- oder Land-Streicherei (Giftliste des Kämmerers oder Haushaltssicherung): Zu beiden werden die Bürger nicht gefragt, aber die eine wie die andere können sie unüberhörbar ablehnen. – Und abwählen. Die Alternative ist eine Frage des Selbstvertrauens.

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