Seit mehr als zehn Jahren immer dieselbe Klamotte. Das Jahr ist gerade halb um, da bläst der Stadtkämmerer ins Horn, weil er mit dem Geld nicht auskommt. Infolge „unvorhergesehener“ Ereignisse liefen im Stadthaushalt die Ausgaben den Einnahmen davon. Nicht vorher sehen können das allerdings nur Leute, die im Fernsehen bloß Sport, Krimis und Kochshows gucken und im Stadtrat grundsätzlich weghören, wenn die LINKE genau die Fakten benennt, die den phantastischen Haushaltsplan Monate später in den Papierkorb fegen. So wiesen wir auch in der Haushaltsdebatte für 2013 nach, dass die europäische Krise zum Einbrechen der Gewerbesteuer und zu steigenden Soziallasten der Stadt führen wird. Jetzt haben wir den Salat.
Im zweiten Akt des alljährlichen
Dramas, pünktlich zur Sommerpause, zieht dann der Kämmerer eine neue Giftliste
aus dem Ärmel, mit der die Stadt leider-leider ihre Leistungen für die Bürger
noch mehr zusammenstreichen muss. Um den Rat auf Kürzungen und die Bürger auf
Verzicht einzustimmen, droht er jedesmal mit dem dicken Knüppel: Ohne
Ausgabenkürzungen würde das Haushaltsloch so groß, dass die Stadt in die
Haushaltssicherung rutsche und fortan ihre Finanzhoheit verlöre. Da Laien sich
darunter alles mögliche, aber nichts genaues vorstellen können, fallen sie Jahr
für Jahr auf diese Panikmasche herein.
Haushaltssicherung? Ein Restchen vom „rheinischen
Kapitalismus“
Detroit ist pleite, lesen
wir. Na und? Was ändert sich in den Slums? Was am Verkehrschaos? An der Arbeitslosigkeit,
der rassistischen Polizei, der Zwei-Klassen-Medizin, den Hypothekenschulden der
Hausbesitzer? Den reichen Gläubigern der Stadt droht ein Kapitalschnitt, eine
Spekulationsblase platzt, die Spekulation auf öffentliche Güter geht weiter.
Das deutsche Gemeinderecht
ist noch nicht ganz so „marktkonform“ (O-Ton Merkel). Hier soll die
Kommunalaufsicht des Regierungspräsidenten Kommunen vor der Pleite (das heißt:
deren Kreditgeber vor Verlusten) bewahren. Die Gemeindeordnung NRW schreibt vor:
Wenn der städtische Jahresabschluß ein höheres Defizit ausweist als
ursprünglich geplant, so kann die Aufsichtsbehörde „Anordnungen
treffen, … diese auch selbst durchführen oder … einen Beauftragten bestellen, um eine geordnete
Haushaltswirtschaft wieder herzustellen.“ Die Stadt braucht dann für alle
Ausgaben die Genehmigung des Regierungspräsidenten in Arnsberg oder seines
Beauftragten.
Darüber hinaus gilt: Defizite
zwischen Einnahmen und Ausgaben müssen mit städtischem Eigenkapital verrechnet
werden, das Eigenkapital schrumpft entsprechend. Übersteigt das Defizit in zwei
aufeinander folgenden Jahren jeweils 5 % des verbliebenen Eigenkapitals, so muss
die Stadt ihre Haushaltspläne von der Kommunalaufsicht genehmigen lassen und
ein „Haushaltssicherungskonzept“
aufstellen, mit dem sie innerhalb von 10 Jahren zu einem Ausgleich zwischen
Einnahmen und Ausgaben kommen kann.
Während alle anderen Dortmunder
Ratsfraktionen sich bisher immer unter diesen Knüppel beugten, stimmt die LINKE
regelmäßig gegen die Streichlisten – trotz drohender Haushaltssicherung. Und
zwar aus folgenden Gründen:
Erstens schlägt die LINKE seit Jahr und Tag immer wieder
Alternativen zum Sozial- und Personalabbau vor:
- Stärkung der Einnahmeseite durch höhere, zum Teil
neue Gemeindesteuern auf große Vermögen
und Unternehmensgewinne,
- Umschichtung von Unternehmenssubventionen in Nachfrage-steigernde
Beschäftigungsprogramme,
- Verzicht auf protzige Repräsentations- und
Prestigeprojekte wie den U-Turm.
Aber solche Vorschläge sind
für unsere Oberschicht natürlich völlig unannehmbar. (Immerhin folgte diesmal
endlich der Rat unserem Antrag, den Hebesatz der Gewerbesteuer zu erhöhen,
sonst sähe es jetzt noch schlimmer aus.)
Zweitens sind die Eingriffsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde
nicht so dramatisch wie vom Kämmerer an die Wand gemalt: Zu ca. 90 % der
Ausgaben ist die Stadt gesetzlich oder vertraglich verpflichtet, die kann auch
ein Regierungspräsident nicht kippen.
Drittens: Bei den restlichen 10 %, den „freiwilligen
Leistungen“ wie Jugendheime, Schwimmbäder, Parks, Theater, Museen, Dortmundpass
usw. macht es finanziell keinerlei Unterschied, ob unsere Stadtspitze sie freiwillig
kaputt spart und an Private verramscht, um der Kommunalaufsicht zuvor zu kommen,
oder ob ein Beamter in Arnsberg sie kaputt spart. Die grundgesetzlich
geforderte Selbstverwaltung der Kommunen verkürzt sich heute darauf, die
Reihenfolge der Streichungen zu bestimmen, aber nicht deren Umfang und Tempo.
Die ergeben sich aus den Zwängen der staatlichen Gemeindefinanzierung. Wirtschafts-
und sozialpolitisch läuft beides gleichermaßen auf weitere Umverteilung
öffentlicher Mittel hinaus: Unten kürzen, damit die Oberschicht noch reicher
wird.
In der Tat laufen die meisten
Streitereien um Geld im Stadtrat nach dem Prinzip „Beggar my neighbour“ (Mach
meinen Nachbarn zum Bettler): Jede Fraktion versucht, ihre speziellen Freunde möglichst
weit hinten auf der Streichliste zu platzieren, und alle zusammen versuchen
sie, ihrer Stadt Vorteile auf Kosten anderer zu sichern. (Das nennen sie
Wettbewerb.)
Viertens aber steckt darin ein vielleicht entscheidender politischer
Unterschied: Das wollen wir doch erst einmal sehen, ob Sozialdemokrat
Bollermann im fernen Arnsberg mit den Dortmunder-innen noch rabiater umspringen
kann als seine Parteifreunde hier, die mit all ihren weit verzweigten
Netzwerken vor Ort jeden Widerstand gegen ihre Giftlisten unter der
sozialdemokratischen Filzdecke ersticken.
Schuldenbremsen: Klassenkampf von oben
Warum ist das Ideal der
„schwäbischen Hausfrau“ für öffentliche Haushalte grundverkehrt? Weil die
Hausfrau nur darauf achten muss, mit dem vorgegebenen Haushaltseinkommen gut auszukommen,
also das Konto am Monatsende nicht zu überziehen. „Schuldenbremsen“
funktionieren genau nach demselben Prinzip: Die Einnahmen des öffentlichen
Haushalts werden von oben vorgegeben, ihr Rahmen wird ausgehandelt in
Kungelrunden der obersten Parteispitzen mit Kapitalvertretern. Die Finanzhoheit
der Kommunen besteht nur darin, mit diesen vorgegebenen Mitteln „auszukommen“, das
heißt, dass im „Wettbewerb“ mit ihresgleichen die Katastrophen der anderen
größer erscheinen als die eigenen („Uns geht es ja noch rosig…“).
LINKE-Politik macht dies
„Beggar-my-neighbour“-Spiel nicht mit. Wir verteidigen sowohl die
Caritas-Energieberatung als auch die Breitenkultur im Museum am Ostwall – am
Ostwall ! – sowohl den Dortmundpass als auch die städtischen Bäder und
naturnahe Freiräume für die Naherholung usw. Wir verweigern uns einer Wettbewerbsideologie,
die Dezernate gegeneinander, die Städte gegeneinander und alle zusammen gegen
„den Staat“ ausspielt, um die Umverteilung von unten nach oben munter
fortzusetzen. Immer mehr Städte sind ja deswegen faktisch pleite, weil heute
auf allen
Ebenen Finanzpolitik dem Prinzip huldigt: Privat vor Staat ! Privater Reichtum
durch öffentliche Armut ! Das nennen wir Klassenkampf von oben.
Klar ist aber, ob mit oder ohne
Haushaltssicherung: Eine sozialere Einnahmenpolitik – sprich: Steuerpolitik
in Stadt und Land können nur die von den Kürzungen Betroffenen selbst
durchsetzen. Das Veto der LINKEN im Rat kann ihnen das nicht abnehmen, sondern
nur den Druck der Straße unterstützen. Wenn der fehlt, ist die LINKE machtlos.
Denn ihr parlamentarischer Einfluß, Resultat von Wahlergebnissen, steigt oder
fällt mit dem Geschehen auf der Straße. Ihre Präsenz in den kapitalistischen
Medien ebenso.
Nicht dass es uns an guten
Ideen für bessere Alternativen mangelt – es mangelt vielen Menschen „nur“ an
Selbstvertrauen, sich auf sie einzulassen. Das Misstrauen gerade junger
Menschen gegen alles „Politische“ trudelt in eine gefährliche Abwärtsspirale:
Je schwächer der politische Widerstand gegen Kürzungen, umso weniger Rücksicht
muss die herrschende Klasse nehmen – und je rücksichtsloser diese
„durchregieren“ kann (O-Ton Merkel), umso mehr zersetzt Resignation den
Widerstand.
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