Auf ökonomischem Gebiet hat kritischer Sachverstand die gegenwärtige Krise in Europa so gut analysiert und in ihren Wechselwirkungen beschrieben, daß man sie gewöhnlich auf diese Dimension einer Wirtschaftskrise reduziert. Oder genauer, aber noch enger: auf die Finanzmarktkrise, die mit der Lehmanpleite 2008 in USA akut wurde, sich schnell auf Europa ausbreitete und hier nun auf eine ökonomische Katastrophe zutreibt. Ihrer besonderen Schwere und Tiefe wegen haben kritische Ökonomen sie vielfach zutreffend als „Systemkrise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus“ bezeichnet (z.B. Jörg Huffschmid).
Auch ihre politischen Folgen werden immer besser durchschaut und verstanden. Daß es sich bei der angeblichen „Staatsschuldenkrise“ in Wahrheit um eine Souveränitätskrise der Nationalstaaten handelt, die ihre fiskalische Gestaltungshoheit teils an demokratisch kaum mehr legitimierte supranationale Institutionen abgetreten, vor allem aber „Bankstern“ und Finanzzockern ausgeliefert haben, kann man heute auch schon in halbwegs aufgeklärten Bürgerblättern lesen. Die „Bankenrettung“ wird so zur Legitimationskrise des politischen Systems insgesamt und seiner Institutionen. Und zwar greift die Krise sowohl auf die parlamentarische Parteiendemokratie über, indem sie die Parlamente durch die Exekutive „entmachtet“ – vielmehr in ihrer Machtlosigkeit gegenüber dem Finanzkapital vorführt! – als auch auf den Sozialstaat als Grundlage und Garant des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
So weit so bekannt. Dagegen ist von der kulturellen Dimension dieser Krise noch selten die Rede. An der Oberfläche erschien sie zunächst als Bankrott zweier um die Vorherrschaft ringender Ideologien. Der Neoliberalismus hatte die Sozialpartnerschaft ad absurdum geführt – in Deutschland hatte letztere mit der SPD-Grünen Agenda 2010, den Hartz-Reformen usw. ihren Bankrott selbst vollendet – dann, mit der Unterwerfung sämtlicher Waren-, Kapital- und Arbeitsmärkte unter die Zwänge der Finanzspekulation und mit der Ruinierung ganzer Volkswirtschaften ging auch der Neoliberalismus als neueste Heilslehre bankrott.
Die ideologische Krise ist aber nur die spiegelnde Oberfläche. Darunter läuft ein umfassender Angriff der „deutschen Leitkultur“ (ob Frankreich wieder den Kollaborateur macht, ist noch umstritten...) auf die kulturelle Identität des übrigen Kontinents. Unter dem Vorwand der Euro-Rettung schreibt deutsche Überheblichkeit anderen Ländern vor, ihr Staatseigentum an Heuschrecken zu verschleudern, mit Hartz-Methoden Löhne unters Existenzminimum zu drücken, Familien in die Armut und Arbeitslose ins Nichts zu stoßen, die Jugend auf die Straße zu werfen, den Alten den Lebensabend zu verelenden, kurz: die Menschenwürde mit der Ökonomie auszutreiben wie in Deutschland.
Die verzweifelten Abwehrkämpfe dagegen an Europas Peripherie verteidigen mit der Lebensqualität auch immer die Reste südlicher Leichtigkeit des Seins gegen ihre Nivellierung auf die DIN-Maße preußischer Untertanen und schwäbischer Hausfrauen.
Auf der anderen Seite verkleidet sich heute als „antiimperialistisch“ so manches Zwielichtige, Korrupte, Reaktionäre bis hin zum terroristischen Verbrechen. Da reckt sich „antieuropäisch“ wieder der wütendste Chauvinismus, der zurück will zur „natürlichen“ Rangordnung der Nationalkulturen unter dem Faustrecht des (ökonomisch) Stärkeren. Da regt sich eine neue pseudolinke Klassenversöhnung mit einer EU-EZB-IWF-Bürokratie, die eigentlich gerade den Inbegriff des modernen Imperialismus liefert. Dieser kann sich keine bessere „Opposition“ als SPD und Grüne wünschen: Sie möchte die Peitsche über Griechenland nur etwas langsamer schwingen als die Einpeitscher Rösler und Schäuble. Und die Bundesmutti kann sich wieder so inszenieren, wie seit dem Alten Fritz alle deutschen Zuchtmeister Europas sich gern sehen: „Streng aber gerecht!“ In Deutschland bekommt sie dafür höchste Beliebtheitswerte. In anderen Ländern hingegen...
...provoziert man damit den Bürgerkrieg. Sozusagen als Kollateralschaden der Finanzspekulation, „leider unvermeidlich.“
- Oder? Eine Lösung kann nur von links kommen. Sie besteht in einer Wiederbelebung der internationalen Solidarität, einer europäischen Integration von unten gegen die Krisenmacher. Alles was zur Völkerverständigung beiträgt, verteidigt Europas Kultur(-en) gegen ihre Zerstörung von oben und von rechts. Da gibt es auch in unseren Kommunen reichlich zu tun.
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