Donnerstag, 22. Dezember 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Was uns arm macht

Doch, es ist wahr, wir leben über unsere Verhältnisse: Wir leisten uns eine Klasse, die uns arm macht.

Wieder einmal haben wir es schwarz auf weiß. Wer sich nicht blind und taub stellt, bekommt sein Erfahrungswissen bestätigt, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband frisch herausgefiltert aus der amtlichen Einkommensstatistik: Die stärkste Wirtschaftsmacht Europas leistet es sich, daß von ihren Bürger-innen fast jede-r sechste mit weniger als 826 € über den Monat kommen muß (Singlehaushalte; Paare mit zwei Kindern: 1735 €). Dies ist die amtliche Armutsgrenze (nach EU-Kriterien).

Seit 2005 SPD und Grüne die Hartzgesetze ausheckten, denen die ganze herrschende Klasse bis heute Beifall klatscht – nur die PDS stimmte dagegen – schnellte die Armut in Deutschland sprunghaft nach oben. Zwar würde die Sozialdemokratie inzwischen gern vergessen machen, daß sie vor allem mit Hartz IV die Schleusen öffnete für den Hungerlohnsektor, die Hauptursache der Verarmung. Aber verantwortlich dafür waren beileibe nicht nur ihr „Genosse der Bosse“ Schröder, sein treuer Knecht Münte und die „Immer-noch-Möchtegern-Kanzlerkandidaten“ Steinbrück und -meier. Sondern die Mentalität der Dumpingkonkurrenz hat sich tief durch die ganze Partei gefressen. Bis hinunter zu sozialdemokratischen Stadträten, die „Strukturwandel“ sagen, wenn sie genau die Branchen mit den niedrigsten Löhnen fördern. Und die keine Skrupel mehr haben, in städtisch beherrschten Betrieben die Tarife auszuhebeln.

Dortmund ist dafür ein krasses und daher besonders lehrreiches Beispiel. Zwölf Jahre lang konzentriert sich nun die Dortmunder Wirtschaftsförderung mit Zig-Millionen-€-Aufwand auf das Ansiedeln von Logistik, Callcenters, Softwareentwicklern, Gastronomie und Hotels. Mit dem Ergebnis, daß Dortmund in dieser Zeit zur „heimlichen Hauptstadt der prekären Beschäftigung“ wurde (Guntram Schneider, ehemaliger DGB-Vorsitzender NRW). Und – darauf kommt es hier an – alles Branchen mit bekannt niedrigen Lohnniveaus und vielen Aufstockern. So daß Dortmund in den sechs Jahren seit Einführung von Hartz IV bis 2010 zur „zweitärmsten Großstadt der Republik“ nach Leipzig herunter kam (RuhrNachrichten). Die amtliche Armutsquote explodierte hier geradezu von 18,6 % auf 23 %, weit schlimmer als in anderen Städten vergleichbarer Größe.

Ein Schelm, wer dies mit der betont neoliberalen Dortmunder Wirtschaftsförderung, dem Ausstieg aus der öffentlichen Beschäftigungsförderung und dem andauernden Personalabbau bei der Stadt in Zusammenhang bringt. Alles dies die ganzen Jahre von Sozialdemokraten verantwortet.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen