BILD und rechtslastige Parteien bis in die Bundesregierung hinein fahren seit Monaten eine massive Kampagne gegen das deutsche Asylrecht und offene Grenzen für Flüchtlinge. Verschreckte, unwissende Bürger plappern ihnen nach, das Boot sei voll, die Obergrenze unserer Belastbarkeit überschritten usw. Da wir mit solchen Äußerungen auch an unseren Infoständen konfrontiert werden, hier ein kleiner Faktencheck am Beispiel Dortmund, erstellt für unsere Bezirksgruppe Hörde:
Wie groß waren die Zuwanderungswellen, die Dortmund in neuerer
Zeit verkraftet hat? Vor welche Probleme stellten sie die Stadt, und wie hat Dortmund
sie verkraftet? Gibt es eine sachlich begründete Obergrenze der Aufnahmefähigkeit?
Schon Dortmunds Aufstieg von einer beschaulichen Kleinstadt
zum montanindustriellen Zentralort des östlichen Ruhrgebiets war nur möglich,
weil die Herren der Zechen und Hütten massenhaft Arbeitskräfte vor allem aus
Schlesien und Polen anwarben. Zwischen 1871 und dem 1. Weltkrieg
versiebenfachte sich Dortmunds Einwohnerzahl nahezu: von 44.000 auf knapp unter
300.000. Das waren über vierzig Jahre lang jedes Jahr 7.500 Menschen mehr. So viele
Menschen mit Wohnraum zu versorgen, war eine Herkulesaufgabe, und obgleich
ganze Stadtviertel mit „Mietskasernen“, Tausende Werks- und Genossenschaftswohnungen
aus dem Boden schossen, herrschte bis in die 1920er Jahre Wohnungsnot wie in „Zille
sein Milieu“. Viele der Neu-Dortmunder sprachen bei ihrer Ankunft kein oder nur
gebrochenes Deutsch, dennoch verlief ihre Integration ohne schwere ethnische
Konflikte.
Der 2. Weltkrieg dezimierte die Dortmunder Bevölkerung um
200.000. Doch ab 1945 wuchs sie dann in zehn Jahren um 290.000 an, um fast
30.000 jährlich. Darunter nicht nur heimgekehrte Dortmunder-innen, sondern ca.
90.000 Kriegsflüchtlinge aus den ehemals deutsch annektierten Gebieten
Osteuropas. Diese Flüchtlinge waren nicht selten Anfeindungen der Einheimischen
ausgesetzt, nicht nur wegen gewisser amtlicher Vergünstigungen
(Flüchtlingsausweis, Vorrang bei Wohnungsvergabe, Lastenausgleich), sondern
weil jeder Flüchtling an die größte Schande des deutschen Volkes und die
Oberklassen an ihre tiefste Niederlage erinnerte. Doch auch diese Fluchtbewegung
verhalf Dortmund zu einem „wunderbaren“ Wirtschaftsaufschwung (vor allem der
Bauindustrie mit dem nächsten wahrhaft gigantischen Wohnungsbauprogramm).
Schon kurz darauf setzte eine neue große Zuwanderung ein.
Besonders nach dem Mauerbau 1961warben die Unternehmen „Gastarbeiter“ aus halb Europa
(Italien, Spanien, Portugal, Griechenland) und besonders der Türkei an.
Dortmunds Bevölkerungssaldo stieg ab 1955 zehn Jahre lang um jährlich 4.500 Köpfe.
Ohne sie hätte das „Wirtschaftswunder“ hier kaum stattgefunden, deswegen wurden
sie hoch willkommen geheißen und bestens integriert.
Noch einen starken Zuwachs erbte Dortmund aus dem Konkurs
des gescheiterten Sozialismus im Ostblock. Zwischen 1987 und 1991 kamen 37.600
Übersiedler aus der ehemaligen DDR, Aussiedler und Asylsuchende aus der SU zu
uns, in jedem dieser vier Jahre 9.400. Sie waren aus politischem Kalkül, aber
auch wegen ihrer Qualifikationen hoch willkommen.
– Und nun setzen wir dagegen, was Dortmund von der
gegenwärtigen Massenflucht aus Nahost und Afrika erwartet: Nach dem sogen. „Königsteiner
Schlüssel“, der die Verteilung der Asylbewerber in Deutschland regelt, bekommt
Dortmund wöchentlich 50 Flüchtlinge zugewiesen, das macht aufs ganze Jahr 2015
hochgerechnet: 2.600. Dies ist tatsächlich die Zahl, mit der die
Stadtverwaltung plant. Also nur ein Bruchteil dessen, was wir von sämtlichen
früheren Zuwanderungswellen immer verkraftet haben. Und sollte eine größere
Dunkelziffer nicht registrierter Flüchtlinge hinzu kommen, wäre auch das verkraftbar:
die Stadt plant bis Jahresende 3.925 Plätze in Unterkünften und Wohnungen bereit
zu stellen.
Fazit: Das ganze Geschwätz vom „vollen Boot“, „Obergrenzen
der Belastbarkeit“ usw. ist rein demagogische fremdenfeindliche Hetze und
Volksverdummung. (Das Dortmunder Beispiel schließt natürlich nicht aus, dass
vorübergehend etwa in Bayern oder in dem einen oder anderen kleineren Ort im
Bundesgebiet tatsächlich höhere Konzentrationen auf engem Raum entstehen, die
dann aber den organisatorischen Mängeln in den staatlichen Behörden geschuldet
sind.)
Übrigens halten unsere Unternehmer sich bei dieser Hetze
ziemlich still. Warum? Weil viele der Flüchtlinge hoch qualifiziert und als
Fachkräfte und Lohndrücker ihnen auch diesmal wieder willkommen sind. Dass dennoch
rechte Populisten diese Panikkampagne betreiben, hat wiederum einen rein
politischen Grund: Die aktuellen Flüchtlingsströme kommen alle aus Ländern zu
uns, die kapitalistische Großkonzerne und westliche Regierungen im globalen
Wettlauf um Rohstoffe ausgeplündert, verarmt, destabilisiert oder gar zerstört
haben. An seine Mitschuld an dieser Barbarei möchte das deutsche Spießbürgertum
nicht erinnert werden. Deshalb hetzt es die inländischen Opfer des Kapitalismus
gegen die ausländischen.
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