Montag, 17. Juni 2013

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Beschäftigungsprojekte zwischen Ausbeutung und Selbstbestimmung – ist das Glas halb voll oder halb leer?


Neue Arbeit, sozial notwendig, ökologisch verträglich, staatlich finanziert – anders als die Bundes-LINKE findet in ihrem NRW-Landesverband öffentliche Beschäftigungsförderung noch keine Mehrheit. – Nun richtet sich das Leben nicht unbedingt nach Parteitagsbeschlüssen. Jetzt brachte eine Untersuchung im Auftrag der Dortmunder LINKEN Ratsfraktion ans Licht, was Insider schon lange wissen, aber die veröffentlichte Meinung gern unterschlägt: die erstaunliche Breite und Vielfalt des öffentlich geförderten „zweiten Arbeitsmarktes“ (ÖBS) und seine unentbehrlichen Beiträge zum sozialen und kulturellen Leben der Menschen in der Stadt.

Bei der öffentlichen Präsentation des Untersuchungsberichts an einem „Roten Freitag“ des Dortmunder Kreisverbands prallten Für und Wider öffentlicher Beschäftigungsförderung energiereich aufeinander. Einigkeit herrschte darüber, dass vom gewinnorientierten „ersten“ Arbeitsmarkt keine Vollbeschäftigung mehr zu erhoffen ist. Einig war man sich auch in der Kritik an der völlig unzulänglichen Finanzausstattung der sozialgewerblichen Einrichtungen, die viele Projekte zwingt, ihre Beschäftigten ebenso schlecht oder noch schlechter zu stellen als gewerbliche Unternehmen auf dem freien Markt.


Doch damit endeten die Gemeinsamkeiten. Die Diskussion, welche Schlüsse linke Politik daraus zu ziehen hätte, lief nach dem bekannten Schema ab, ob das Glas halb leer oder halb voll ist. Die Gegner des ÖBS-Konzepts verharrten in Anklagen, die großen Wohlfahrtsverbände (AWO, Parität usw.), die massenhaft Ehrenämter und 1-€-Jobs einsetzen, häufig unter Tarif zahlen usw., seien zum Teil noch schlimmer als privatkapitalistische Arbeitgeber; solange nicht die staatlichen Steuer- und Finanzsysteme von den Kommunen bis hinauf zur EU grundlegend umgebaut würden, blieben die Wohlfahrtsverbände Vollstrecker des Hartz-IV-Regimes und seien ihre ausbeuterischen Praktiken nicht veränderbar. Andere Hebel wie eine gerechtere Verteilung der Arbeit – Arbeitszeitverkürzung – der Öffentliche Dienst oder die Abkoppelung eines allgemeinen „Existenzgelds“ von der Arbeit – Bedingungsloses Grundeinkommen – seien bessere Alternativen zum ÖBS. 


Die Befürworter betonten, vom kapitalistischen Markt werde die soziale Versorgung der Bevölkerung entweder gar nicht oder schlechter gewährleistet als von gemeinnützigen Einrichtungen; Selbsthilfe, Nachbarschaftshilfe  sei auch nicht in staatlich-städtischer Bürokratie besser aufgehoben als in der Verantwortung der Bürger selbst; in sozialen und kulturellen Initiativen seien „Ansätze für ein neues selbstbestimmtes, demokratisch(er) organisiertes und aufs Gemeinwohl ausgerichtetes Arbeiten heute schon erkennbar.“ Die Bürger darin zu unterstützen, sei als ein Bestandteil linker Politik durch nichts anderes zu ersetzen.


Eine Einigung kam nicht zustande. Mir bestätigte dieser Streit, warum die Linken so zersplittert sind: Manche verstehen nicht, den Zorn auf die Zustände mit sozialer Phantasie in Schritte zur Veränderung des Alltagslebens zu übersetzen. Ihr Fahrrad hat nur einen Gang: Fundamentalopposition. Deshalb erklären sie jeden kleineren Gang für Verrat an der Höchstgeschwindigkeit, und statt am Berg herunterzuschalten, steigen sie lieber ab. Aber auch ein dogmatisches Gegeneinander-ausspielen einzelner Teilreformen – Arbeitszeitverkürzung, Grundeinkommen, Verstaatlichung gegen den ÖBS – zersplittert die Kräfte.

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