Stolz spreizt er sich unter dem Beifallsgemurmel der Bürger. Einzelne spitze Begeisterungsschreie spornen ihn zu neckischen Bocksprüngen an. Schon wieder hat er sich einen neuen Anzug maßschneidern lassen.
Ihr ratet, von wem die Rede ist? Vom
Kaiser, von dem uns Hans Christian Andersen in einem seiner schönsten Märchen
erzählt hat. Dieser Kaiser stolziert nun schon an die fünfzehn Jahre lang vor
dem Dortmunder Rathaus auf und ab. Jahr für Jahr in einem wieder ganz neuen
„Strukturwandel“-Anzug, mal aus dem Modehaus McKinsey, dann wieder von einem
international erstklassigen Projektentwickler oder aus der kaiserlichen Hofschneiderei
Assmann und Gerber. Und ehe das Jahr um ist, ruft wieder so eine Nordstadtgöre:
„Der hat ja gar nichts an!“ – und die Suche muss von neuem losgehen.
Nach dem „Dortmund-Project“,
der „Sozialen Stadt“, der „Westfalenmetropole“, „Kulturhauptstadt“, „Parkstadt
Dortmund“, einem halben Dutzend „Masterplänen“ heißt die neue Kreation seiner
Schneider jetzt: „Dortmund wird Wissenschaftsstadt.“ Natürlich wieder im
„Wettbewerb der Wissenschaftsstandorte“ mit allen bekannten Stätten des
Geisteslebens in Deutschland. Und weil unter den Leuchttürmen der Wissenschaft
bisher Dortmund kein großes Licht war, sucht man wieder nach
„Alleinstellungsmerkmalen“. Und sucht erst einmal fünf Jahre lang den eigenen
Dachboden ab. Richtig, da finden sich alle die Laternen wieder, die man in 15
Jahren „Strukturwandel“ immer so liebevoll geputzt hat: Logistik, Informationstechnik
(im Gesundheitswesen), Produktionstechnik, Biomedizin, Schulforschung, Energie (da
wäre zu erforschen, wie RWE die Energiewende verhindert), Versicherungswirtschaft
und Risikomanagement (!) sowie als Feigenblatt: „soziale Nachhaltigkeit“ (welche
Anmaßung!)
Daß es auf allen diesen Gebieten noch einiges zu forschen und zu entwickeln gibt, steht außer Zweifel. Dabei übersehen die Dortmunder Laternenputzer allerdings das Wesentliche: Was den weltberühmten deutschen Wissenschaftsstädten ihre Strahlkraft verleiht, sind wahre Leuchtfeuer der Geisteswissenschaften und der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung. Und die anwendungsnahe Technologieforschung findet heute in monopolistischen Riesenunternehmen als europaweite oder schon weltweite Großforschung statt, im Auftrag des Großkapitals organisiert von Ministerien und bundesweiten Netzwerken (Max-Planck-, Leibniz-, Helmholtz-Gesellschaft, Stifterverband der deutschen Wirtschaft usw.). Zwar erklärt der Dortmunder Masterplan ausdrücklich die Auftragsforschung im Interesse der heimischen Wirtschaft zu seinem Ziel – und degradiert damit Wissenschaft zu einer Unterabteilung der Wirtschaftsförderung! – Aber wo nach dem Zechensterben und Ausblasen der Hochöfen nur Mittelstand übrig blieb, kann Auftragsforschung nicht mehr als mit der Taschenlampe unters Sofa leuchten. Das ändern weder Profilneurosen noch Wettbewerbsphantasien von Provinzfürsten.
Es ist ja zu begrüßen, wenn die Stadt die
45.000 Studierenden und 7.000 Uni-Beschäftigten mit mehr bezahlbarem Wohnraum,
mehr Kitaplätzen und besseren Verkehrsverbindungen versorgen will. Doch das nun
gleich zu einem „Masterplan Wissenschaft“ aufzublasen, lässt sich nur aus dem
Dilemma erklären, dass die Stadtspitzen vor der Kommunalwahl 2014 von der
tatsächlichen, sich verschärfenden Not in vielen Stadtteilen ablenken wollen. Nachdem
sie die Mittel zu aktiver Sozialpolitik sich haben entziehen lassen, zaubern
sie bloß noch Marketing-Gags aus dem Hut.
Zugleich enthüllt dies Beispiel erneut, was
hinter den Sprüchen vom „Strukturwandel“ eigentlich steckt: wie die „oberen
Zehntausend“ soziale Stadtentwicklung durch Klientelpolitik für Ihresgleichen ersetzen.
Darin haben sie Dortmund zum Vorreiter gemacht, und dieser „Masterplan“ soll das
fortsetzen. Wenngleich heute schon zu erkennen ist, dass nach der Wahl der
Kaiser von Dortmund wieder nackt dasteht.
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