Einen
Tag nachdem ich hier meine persönliche Einschätzung der linken Verluste in Niedersachsen
mit dem Satz schloss: "Weitermachen und den historischen Optimismus nicht verlieren...",
las ich in einem "Weckruf" an die LINKE in NRW: "Ein Weiter so
darf es nicht geben," vielmehr sei nach den Niederlagen bei den jüngsten
Landtagswahlen-West ein strategischer
und Strukturwandel der LINKEN überfällig. Das nehme ich nun zum Anlass, den Denkanstoß
mit neuem Nachdruck zu wiederholen, den ich schon nach der Landtagswahl in NRW im
Mai 2012 hier veröffentlichte.
Doch
zunächst scheinen mir zum Stellenwert von Landtagswahlen im politischen
Kräftefeld der Bundesrepublik einige Bemerkungen notwendig, um einer
unangemessenen Dramatisierung entgegen zu wirken. So zu tun, als hänge von der
Landespolitik die Zukunft der LINKEN im Westen ab, und als stehe diese jetzt
strategisch und strukturell vor dem Nichts - "ein Weiter so darf es nicht
geben!" - überschätzte doch erheblich die politische Bedeutung der Landesebene.
Fragen wir unsere Mitmenschen (die nicht gerade bei Landesbehörden arbeiten), welche
politischen Vorgänge ihr Leben am stärksten berühren, nennen sie erstens Bundes-
oder gar Europathemen (etwa "die Krise", die Energiewende, den
Arbeitsmarkt, Hartz-IV usw.), zweitens kommunale Vorgänge, aber die
Landespolitik kommt irgendwo weit hinten. Das gleiche gilt für die
Selbstwahrnehmung der Menschen: Wir fühlen uns als Deutsche, vielleicht sogar
als Europäer und als Dortmunder, Düsseldorfer oder Kölner, als Westfalen, Rheinländer,
Eifelbauer oder Siegerländer, aber wer fühlt sich denn als "Nordrhein-Westfale"?!
In den meisten deutschen Landschaften ist der Länderföderalismus eine von Verfassungsjuristen
ausgetüftelte bürokratische Kunstfigur geblieben, die mit der Lebenswirklichkeit
der Menschen nicht allzuviel zu tun hat. Das ist der Hauptgrund für das geringe
Interesse der Wähler-innen an der guten Arbeit unserer ehemaligen Landtagsfraktionen,
und das wird auch so bleiben. Daher ist es strategisch auch in NRW vollkommen
richtig, 2013 die Bundespolitik zum Schwerpunkt zu machen und 2014 die Kommunalpolitik.
Eine
ganz andere Frage ist, ob Wahlkämpfe und die Parlamentsarbeit den richtigen, angemessenen
Stellenwert in unserer gesamten Parteiarbeit einnehmen. Diese Frage muss sich die
Gesamtpartei stellen und ihr Erscheinungsbild daran überprüfen (und nicht nur
eine Landesgliederung).
Unter
der Zwischenüberschrift "Von der Monolog- zur Mitmachpartei" beklagt
der eingangs erwähnte Aufruf, daß "die LINKE NRW eine strukturkonservative
Partei geworden" sei, die jungen Menschen "keine wirkliche
Andockmöglichkeiten" biete. Das ist in Teilen sicher richtig, trifft aber
nicht den Kern des Problems. Die tatsächliche Herausforderung besteht vielmehr
darin, daß (nicht nur junge) Menschen immer weniger Sinn darin sehen, bei irgendeiner
Partei anzudocken. Weil der Parteienstaat insgesamt so unglaubwürdig geworden ist,
haben alle Parteien massive Rekrutierungsprobleme - mit zwei Ausnahmen: Grüne
und Piraten. Und diese Ausnahmen zeigen an, in welche Richtung die LINKE sich
verändern muss: Die Grünen zehren immer noch von ihrer breiten, festen Verankerung
in der Öko-Bewegung; die Piraten sind überhaupt keine Partei, sondern selbst
eine Bewegung (und werden voraussichtlich nur als solche überleben können).
Wenn
wir ernsthaft und nicht nur rhetorisch danach fragen, "worin für unsere
Mitglieder und Wähler-innen der Nutzen unserer Partei besteht," reicht eine
neue, lebendige, spannende Parteikultur nicht aus. Diskussionen offener,
kontroverser, undogmatischer zu führen, die innerparteiliche Demokratie, den
Pluralismus ernst zu nehmen usw. ja, das muss die LINKE unbedingt. Alles schön
und gut, aber das beantwortet nicht die Frage nach dem Nutzen. Der messbare,
spürbare, erlebbare Nutzen der LINKEN für die Menschen besteht heute (!) darin,
dass sie real existierende politische und soziale Bewegungen unterstützt und
voran bringt.
Deshalb
dürfen wir nicht darauf hoffen und warten, daß linke Menschen bei der Partei
andocken, sondern diese muss bei ihnen andocken, wo immer Menschen sich in
Richtung unserer Ziele bewegen. D-a-s
muss ihr strategisches Standbein werden, nach dem sich Parlamentsarbeit
und Wahlkämpfe zu richten haben. Daran muss sie ihre Parteistrukturen
überprüfen und entwickeln.
Das
"predige" ich seit der verlorenen NRW-Wahl (eigentlich schon viel
länger!) und gebe mir Mühe, es in meinem Alltag zu praktizieren. Deshalb sage
ich nicht: Ein Weiter so darf es nicht geben, sondern: Weitermachen damit, uns
mit Bewegungen zu verbinden. Das nenne ich: Die LINKE muss
"Bewegungspartei" werden.
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