Auf dem Göttinger Parteitag der LINKEN im Frühjahr hatte hinter allen personellen Hahnenkämpfen die Frage gestanden: Auf der einen Seite unser Verhältnis zu anderen Parteien, speziell zur SPD, auf der anderen Seite die Forderungen außerparlamentarischer Bewegungen an uns – welche Seite soll die bestimmende für unsere Politik sein? Gregor Gysi versuchte, den Gordischen Knoten durchzuhauen, indem er unterschied zwischen der „Volkspartei“ im Osten und der „Interessenpartei“ im Westen und forderte, mit 5 % (im Westen) müßten wir gezielte Interessenpolitik für bestimmte Gruppen machen, mit 25 % aber (im Osten) eine breite Bündnispolitik mit anderen Parteien (der SPD). Das verhedderte den Knoten aber noch mehr, so daß viele nicht mehr hörten, was seiner Meinung nach im Osten wie im Westen gleichermaßen gelte: „Viele Wählerinnen und Wähler wollen, daß wir für sie etwas erreichen, etwas gestalten, daran mitwirken.“
Das zielt tatsächlich auf die Kernfrage unseres Selbstverständnisses, die Zweckbestimmung der linken Partei: Was erwarten unsere Wähler-innen von uns, und wieweit werden wir ihren Erwartungen gerecht?
Auf die im ersten Teil meines Beitrags geschilderte negative Grunderfahrung mit Politik kenne ich drei mögliche Reaktionen:
- Entweder die Antwort des letzten sächsischen Königs bei seiner Abdankung 1918: „Macht euern Dreck alleene!“ Also Wahlabstinenz und Rückzug ins Private (das somit bekanntlich politisch wird, indem es die Machthaber noch mächtiger macht),
- oder die Antwort elitärer Gutmenschen aller Art: „Da das Volk zu doof ist, seine Interessen selbst wahrzunehmen, müssen wir, die bewußte Minderheit, für das Volk handeln,“
- oder die einzig demokratische Antwort: Solange die Mehrheit der Bevölkerung Veränderungen nicht erzwingt, wird es keine Veränderungen geben. Da könnten linke Politiker noch so geschickt taktieren und paktieren. Da hilft nur, daß das „Volk“ seine Macht erkennt und wahrnimmt.
Man muß nicht lange raten, welche Antwort ich meiner Partei empfehle. Alle sozialen Veränderungen sind Machtfragen, und die Macht liegt bei den gesellschaftlichen Kräftegruppen (Klassen o.ä.). Politik re-präsentiert sie nur, auch linke Politik. Eine Partei, die von der Masse der „kleinen Leute“ als ihre Interessenvertreterin anerkannt werden will, muß sich von allen bürgerlichen Parteien in einem grundlegend unterscheiden: Nie darf sie dem Irrtum verfallen und ihn gar noch verstärken, als seien Parlamente und Stadträte die Zentren gesellschaftlicher Macht. Alle kleinen Leute wissen es aus Erfahrung besser: Daß das große Geld die Welt regiert, können noch so clevere Deputierte der Besitzlosen nicht aushebeln. Das kann nur die Masse selbst.
Daraus folgt: So sehr ich den Parlamentarismus als den Ausgangspunkt zur Demokratie verteidige, halte ich es für richtig und nötig, alle parlamentarische Tätigkeit der LINKEN zuerst immer danach zu bewerten, ob sie taugt, Menschen zur Selbsttätigkeit für ihre Interessen zu bewegen – oder ob sie die Illusion „erfolgreicher“ Stellvertreterpolitik verfestigt, welche die Menschen noch mehr entmündigt und zum Stimmvieh entwürdigt. In diesem Sinn muß die LINKE „Bewegungspartei“ sein / werden – oder sie hat keine Daseinsberechtigung neben anderen Parteien und wird über kurz oder lang wieder verschwinden.
– Gewiß, auch linke Abgeordnete müssen die moderne Staatsmaschinerie beherrschen lernen – aber nie dürfen sie sich dem organisierten Willen ihrer Wählerschaft und der öffentlichen Kontrolle entziehen. –
Der grundlegende Unterschied zwischen linken und sonstigen „Volksparteien“ liegt folglich darin, daß die LINKE ihre Existenzberechtigung, das Fundament ihrer ganzen Tätigkeit auf außerparlamentarische („Massen“-) Bewegungen gründen muß. Ich sage „muß“, und zwar auf Gedeih und Verderb: Wo solche schwach entwickelt sind – oder sich von der herrschenden Klasse in Dienst nehmen lassen – bleibt keine linke Partei links. Siehe Gewerkschaften und Sozialdemokratie.
Im dritten Teil gehe ich auf die aktuellen Wahlchancen der LINKEN ein.
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