Es stimmt schon, was Gregor Gysi auf dem Göttinger Parteitag feststellte: Unsere Wählerinnen und Wähler erwarten von uns, daß wir für sie handeln, in Philipp Röslers Markthändler-Jargon: „liefern“. Ein Wesenszug der repräsentativ-parlamentarischen Staatsform ist, daß sie das „Wahlvolk“ dazu erzieht, das Gestalten gesellschaftlicher Veränderungen von den politischen Parteien zu erwarten, auch die allermeisten Linkswähler-innen haben diese passive Konsumentenhaltung zur Politik verinnerlicht.
Und es wäre sinnlos, zu beschönigen: Die LINKE kann ihnen wenig „anbieten“. Hier und da erreichen unsere parlamentarischen Anstrengungen minimale Erleichterungen einer tonnenschweren sozialen Last, „Peanuts“, Augenblickserfolge, die jeden Tag wieder zerschlagen werden können.
Woran liegt das? An unserer Unfähigkeit? An fehlender Bereitschaft zu Kompromissen und parlamentarischen Zweckbündnissen? An mangelndem Durchblick im Behördendschungel? Nein, nein, nein. Daß wir die Erwartungen so wenig erfüllen, liegt in erster Linie an – den Erwartungen. Die LINKE, als politische Partei von Haus aus eine winzige Minderheit der Gesellschaft wie alle anderen Parteien auch, soll für die Menschen auf parlamentarischem Weg etwas erreichen, wozu sie nur selbst als handelndes gesellschaftliches Subjekt die Macht hätten...
...wenn sie denn erkennen könnten, daß in der Tat „alle Macht vom Volke ausgeht.“ Bekanntlich ist dies keine besonders linke Erkenntnis, sondern geltendes Recht, sie steht im Grundgesetz. Da steht sie gut, denn sie steht eben auch im Widerspruch zur Massenerfahrung mit der Politik. Die Erwartungen an die linke Partei sind Ausdruck dieses Widerspruchs. Mit ihren Erwartungen an „die“ Politik, eben auch an linke Politik stehen die Menschen sich selbst im Weg, verstellen sich die Lösung des Widerspruchs.
- Nur, die LINKE ist ja selbst Teil des Widerspruchs. Mit linksradikaler Verweigerung: „Leute, was ihr von uns erwartet, ist unrealistisch, das müßt ihr euch schon selbst erkämpfen, denn dazu habt nur ihr, das Volk die Macht,“ damit würde DIE LINKE natürlich jede Wahl vergeigen. Aber auch Erwartungen zu enttäuschen kostet Wählerstimmen, selbst wenn die Erwartungen unrealistisch waren. Also müssen wir natürlich alles auf Amtswegen Erreichbare versuchen, um soviel wie möglich „für“ unsere Wähler-innen herauszuholen. Obwohl wir wissen: Was wir dort erreichen können, ändert nichts an den gesellschaftlichen Zuständen und Machtverhältnissen, ist so gesehen noch sehr wenig „links“, allenfalls links-sozialdemokratisch. Obwohl wir das wissen, müssen wir es tun. Darum: Punktuelle Zusammenarbeit ja, mit allen, die gleiche (Teil-) Ziele verfolgen wie wir, ehrlich und verlässlich.
Doch über Inhalte, Bedingungen und Grenzen der Zusammenarbeit mit anderen Parteien entscheidet unsere Arbeit draußen. So praktizieren wir es in Dortmund schon in Ansätzen erfolgreich, und diese Ansätze müssen wir ausbauen.
Denn „links“, nämlich über den Sozialdemokratismus hinausgehend ist alles, was die „kleinen Leute“ der Erkenntnis ihrer Macht näher bringt. Weil Linke immer wieder an diese Erkenntnis erinnern, und weil es den Menschen (aus Bequemlichkeit, Mangel an Selbstvertrauen, Scheu vor Verantwortung, andressierter Autoritätsfrömmigkeit, marktwirtschaftlicher Gewohnheit usw.) so schwer fällt, diese Erkenntnis zu akzeptieren und auf sich zu beziehen, deswegen sind Linke heute bei uns so unbeliebt. Und deswegen, Kehrseite derselben Medaille, das nibelungentreue Festklammern an der abgewirtschafteten SPD-Führung, trotz Hartz IV, Kriegseinsätzen, Abbruch des Sozialstaats, Ruin der Kommunen.
Verstärkt wird dieser Mechanismus noch durch die Krise, in die unsere Gesellschaft hineinschlittert. Alle ahnen inzwischen das katastrophale Ausmaß des sozialen Abbruchs in Europa. Aber die wenigsten trauen die Kompetenz, ihn zu vermeiden, sich selbst zu. Auch dies mangelnde Selbstvertrauen projiziert die Mehrheit auf die Linken, die sie als „Spinner“ abtut, ohne deren Vorschläge ernsthaft auf die Probe zu stellen. Lieber folgt man Gabriel-Steinbrück-meyer auf Merkels Kurs, den europäischen Nachbarn ihre Lebensgrundlagen zu zerstören, um sie in Kolonien deutscher Investoren umzumodeln. Daß dies so bleibt, ist eine der Hauptsorgen der bürgerlichen Medien.
Vor der heraufziehenden Krise erscheinen unsere parlamentarischen Möglichkeiten wie ein Spielzeugfeuerwehrauto vor einem Großbrand. Angesichts solcher Verhältnisse wäre es schon ein Erfolg, wenn bei den anstehenden Wahlen DIE LINKE ihre Mandate alle halten könnte.
Hinzu kommen die Nachwirkungen der Imageschäden, die die Partei sich selbst zugefügt (bzw. geduldet) hat. Zum Teil sind das Symptome von Kinderkrankheiten dieses so jungen Sammelbeckens, die eigentlich noch gar nicht überwunden sein können (etwa das ideologische Flügelschlagen zwischen „Reformern“ und „Dogmatikern“). Zum andern haarsträubende Mißachtung der allgemeinen Normen jeder linken Partei (wie die medial inszenierten Eifersüchteleien bestimmter Provinzgrößen). Ob inzwischen überwunden oder nicht, das alles werden unsere potentiellen Wähler-innen uns so bald nicht vergessen.
Solche negativen Einflüsse auf ihre Wahlergebnisse kann DIE LINKE nicht wettmachen, indem sie sich wohlfeil anbietet, durch Zusammenarbeit mit SPD und Grünen mehr „gestalten“ zu wollen. Damit würde sie unrealistische Erwartungen erst verstärken und spätere Enttäuschungen geradezu vorprogrammieren. Erst den Eindruck zu erwecken, wir könnten durch geschicktes Paktieren „etwas erreichen,“ und dann an den realen Machtverhältnissen zu scheitern, solche Enttäuschungen hätten wir selbst verschuldet.
Wenn „links“ ist, was Menschen befähigt, ihr Schicksal gemeinsam in die eigenen Hände zu nehmen, dann hat linke Politik ihren Schwerpunkt auf dem In-Bewegung-Bringen von Menschen in Verbänden, Vereinen, Initiativen, in Versammlungen, auf Straßen und Plätzen. Unsere Arbeit in Parlamenten, Räten und Verwaltungen kann nur etwas unterstützen, was draußen zu gesellschaftlicher Macht heranwächst. Was wir dazu beitragen, wie das Selbstbewußtsein der Menschen sich entwickelt, ob es wächst, stagniert oder abnimmt, spiegelt sich in unseren Wahlergebnissen.
Allerdings hat die Sache eine Kehrseite, ganz dialektische Einheit des oben dargestellten Widerspruchs. Als Ausdruck des Massenbewußtseins wirken Wahlergebnisse auf das Massenbewußtsein zurück. Je stärker DIE LINKE in ihren Wahlergebnissen erscheint, umso mächtiger fühlen sich ihre Wähler-innen. – Vorausgesetzt, die Partei bestärkt sie in ihrer Machtentfaltung! So lohnt es sich dann doch für jede-n, der-die Gesellschaft nach links verändern will, DIE LINKE auch zu wählen.
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