Beitrag zum Linken Aschermittwoch (überarbeitet)
Am Rosenmontag Jubel-Trubel in Brüssel. Die Euro-Minister schieben den Banken auf dem Umweg über Athen ein neues „Rettungspaket“ rüber, weitere 130 Milliarden. Die Banken stellen dafür einen Altschuldenschnitt von 100 Milliarden in Aussicht. Macht unterm Strich einen satten Gewinn von 30 Milliarden. Sauber!
Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Ernüchtert, wie sich’s für Aschermittwoch gehört, die Kommentare der Medien: Weder ist damit Griechenland vor dem Staatsbankrott gerettet noch die Eurokrise überwunden. Man hat sich wieder nur Zeit gekauft. Die Krise merkelt sich weiter.
Denn, das dämmert nun auch manchen Gurus der Meinungsindustrie: Diesmal geht es nicht nur um eine zyklische Überproduktionskrise, um die normale Bereinigung der Profitraten und Märkte, auch nicht einfach um einen „schwarzen Freitag“ wie 1929. Auch um keine simple Krise der Staatsfinanzen, wie Politik und Mainstream-Medien es stur und dumm behaupten. Sondern um eine Krise der Marktwirtschaft und der Aneignungsweise gesellschaftlicher Arbeit, eine fundamentale Krise des Kapitalismus, wie wir ihn bisher kennen. Und eine Krise der bürgerlichen Ideenwelt darüber: der Konkurrenz, des Wachstumsmodells, basierend auf Eigensucht, Konsumfetischismus und Individualismus – kurz: Die bürgerliche Lebensweise steckt in der Krise, ökonomisch, politisch, kulturell. Und damit auch die Demokratie.
Aus dieser Krise wird der Kapitalismus anders herausgehen, als er hineingeschlittert ist. Die Menschen spüren das, trotz aller Beschwichtigungen von oben, und fragen sich voller Sorgen, ob die Zukunft noch schlimmer wird als das, was sie bisher schon durchgemacht haben.
Der englische Politikwissenschaftler Colin Crouch prägte für diese kritische Phase des Kapitalismus den Begriff „Postdemokratie“. Damit meint er einen Zustand, in dem zwar die formalen Regeln des parlamentarischen Rechtsstaats weiter gelten, in dem aber Lobbyisten und PR-Experten mithilfe der Massenmedien die öffentliche Meinungsbildung derart manipulieren, daß sie zum reinen Theater, zur Talkshow verkommt. Darin diskutiert man nur noch über Ausschnitte der Wirklichkeit und Scheinalternativen, die die Experten zuvor ausgewählt, isoliert und entschärft haben. So werden die Menschen zu passiven Konsumidioten dressiert, die blindlings den Meinungsmachern folgen oder sich resigniert ins Private zurückziehen.
Frau Merkel nennt diesen Zustand eine „marktkonforme Demokratie“. Die hält sie auch noch für positiv. Was das bedeutet, erhellen drei aktuelle Ereignisse.
Zum raffgierigen und korrupten Benehmen ihres zweiten Bundespräsidenten Wulff schweigt die Kanzlerin bis heute. Damit bestätigt sie so ein Benehmen als Normalität in ihrer marktkonformen Demokratie. Auch daß Wulff nach nicht mal 20 Monaten im Amt einen lebenslangen „Ehrensold“ erwarten darf in einer Höhe, für die 20 Rentner ein ganzes Leben lang malochen mußten, ist offenbar marktkonform. Erst als die Immunität auf dem Spiel steht, die die Staatsspitze vor juristischer Prüfung schützt, droht dieser Wulff die ganze Innung zu blamieren und wird mit goldenem Handschlag entsorgt.
Sein Nachfolger Gauck wird die herrschende Klasse gewiss auf andere Art repräsentieren. Erwiesenermaßen ist er ein geschworener Feind jeglicher Veränderung der bestehenden Zustände. Seit er aus dem Schatten der DDR heraustrat, schimpft er wütend auf alles was er für sozialistisch hält. Den „NachDenkSeiten“ zufolge (20.02.2012) ist es daher „ein offenes Geheimnis, wer die rot-grünen Parteispitzen vor zwei Jahren auf die Idee gebracht hat, Joachim Gauck zu ihrem Präsidentschaftskandidaten zu küren. Es war der damalige Chefredakteur und jetzige Herausgeber des rechtskonservativen Springerblattes ‚Die Welt‘, Thomas Schmid (Financial Times v. 20.06.2010). Kein Wunder deshalb auch, dass die Springerzeitungen Gauck als ihren Lieblingskandidaten hochjubelten. Und nach dem Abgang von Wulff widmete ‚Bild am Sonntag‘ (19.02.2012) die ganze Titelseite erneut ihrem Favoriten.“
Der angebliche „Kandidat der Herzen“ also in Wahrheit ein Homunkulus der Meinungsindustrie. Mit seinen reaktionären Positionen zu Sozialabbau, Afghanistankrieg, Vorratsdatenspeicherung, Bankenkritikern, der Bespitzelung der LINKEN durch den Verfassungsschutz, mit seinen lobenden Worten für den Rassisten Sarrazin dürfte er sich schnell zum Liebling der Stammtische entpuppen und dem Land noch manche Überraschung zumuten.
Wieder ist die LINKE die einzige Partei im Bundestag, die nicht mit den Wölfen heult. Die einzige, die so einen Präsidenten nicht wählt.
Ein drittes Beispiel für das, was Crouch „Postdemokratie“ und Merkel „marktkonforme Demokratie“ nennen:
Nicht nur die von Nazi-Deutschland besetzten Länder (Frankreich, Belgien, Italien, Griechenland, Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien usw.) hofften, die Europäische Einigung würde die deutschen Herrschaftsgelüste eindämmen. Doch konnte die EU nicht verhindern, daß deutsches Kapital nun die gemeinsame Währung nutzt, um Europa erst mit seinen Exporten zu überschwemmen, dann zu seiner verlängerten Werkbank zu machen. Daß demokratische Selbstbestimmung dabei stört, erleben wir nun fast im Wochentakt:
Seit zwei Jahren beleidigen die deutschen Leitmedien die Griechen als ein Volk von Kriminellen, Steuerbetrügern und Tagedieben. Vor einem Jahr preschte FDP-Rösler vor mit der Idee deutscher „Experten“ als „Berater“ der griechischen Regierung, um Verwaltung und Unternehmen dort endlich auf Vordermann zu bringen. Genau das hat vorgestern die EU den Griechen diktiert. Weiter forderte die deutsche Kanzlerin die EU auf, Griechenland einen Sparkommissar zu verordnen. Dessen Weisungsbefugnisse hätten sowohl die Souveränität als auch die verfassungsmäßige Demokratie des Landes ausgehebelt. Als das in der EU keine Mehrheit fand, brachte sie ein Sonderkonto ins Gespräch, das dem griechischen Staat einen Teil seiner Einnahmen entzieht zur Tilgung der griechischen Staatsschulden bei den Banken. Auch das eine Verletzung der griechischen Souveränität. Jetzt vollzog die EU auch diese deutsche Forderung. Schließlich eskalierte die Bevormundung in das Ansinnen des deutschen Finanzministers Schäuble, Griechenland solle die für April beschlossene Wahl einer neuen Regierung verschieben, damit die von der EU installierte, nicht vom Volk gewählte Regierung aus Bankern und Technokraten weiter amtieren kann, solange bis – ja wielange eigentlich? Bis entweder der von der deutschen Regierung und der Troika diktierte Sparwahn das Land vollends ruiniert haben wird – oder bis das griechische Volk diese Regierung zum Teufel jagt.
Daß diese Missachtung demokratischer Selbstbestimmung bei den Griechen wieder alte Ängste vor Deutschland weckt, kann uns nicht verwundern. Auch wir Deutschen sollten uns erinnern, wohin der Expansionsdrang deutschen Kapitals uns schon zweimal geführt hat.
Sowohl unser Geschichtsbewusstsein als auch unsere humanistische Ethik verbieten uns Linken, mit den kapitalistischen Wölfen zu heulen. Obgleich wir täglich die Folge zu spüren bekommen: Wer nicht mit ihnen heult, den beißen die Leitwölfe aus dem Rudel weg. In der Postdemokratie bestimmen die Medien, wer wie bei den Massen ankommt. Diese Medienmacht zu neutralisieren, ohne uns zu verbiegen, ist eine Kunst, die wir noch lernen müssen.
Aber ein Wolfsrudel als Organisationstypus eignet sich wohl für Raubtiere, um gemeinsam Beute zu machen – nicht für Menschen, die friedlich, zwangfrei und solidarisch miteinander leben wollen. Wir halten fest an der Überzeugung, daß die meisten Menschen so leben wollen wie wir, nämlich friedlich, ohne Zwang und solidarisch. In allen Klassen und Schichten der Gesellschaft suchen Menschen nach Auswegen aus der Krise. Darin liegt die Chance zur Verständigung über den Kapitalismus und über ihn hinaus.
Die Krise weist uns mit neuer Dringlichkeit auf ein historisch noch zu lösendes Problem hin: Gesellschaftliche Veränderung erfordert Macht, aber mit Macht demokratisch umzugehen, ist ein langer Lernprozeß. (Das sieht man auch an der LINKEN selbst.) Die ganze Geschichte der menschlichen Gesellschaften lässt sich lesen als Entwicklungsprozeß zu mehr Demokratie. Merkels Krise erscheint darin als (vorletzter) Versuch, die Klassenherrschaft der Reichen gegen den weiteren Fortschritt der Demokratie zu retten. (Der vorletzte, weil der letzte immer die offene faschistische Diktatur bleibt.) Daß eine „marktkonforme Demokratie“ ein Widerspruch in sich ist, weil „die Märkte“ nur chaotisch und asozial funktionieren, kann nach der gegenwärtigen Krise nicht mehr bezweifelt werden. Wer jetzt noch behauptet, Marktwirtschaft sei eine demokratische Veranstaltung, hat nicht alle Tassen im Schrank.
Dieser Versuch ist nun offenbar in die Krise geraten. Was Colin Crouch als „Postdemokratie“ bezeichnet, würde ich daher lieber „Prädemokratie“ nennen. Es liegt an uns, den Krisenopfern, Merkels Krise für den nächsten Schritt von der Klassenherrschaft zur Demokratie zu nutzen.
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