Freitag, 6. Juli 2018

Seehofer - Bauernschwank oder Chance zum linken Aufbruch

So allgemein die Wut über Seehofers Schmierentheater um die Abschiebung von ein paar hundert Asylsuchenden an den deutschen Grenzen ist – es hätte seinen Zweck schon erfüllt, wenn wir dabei übersehen, dass es doch um weit mehr geht als das gekränkte Ego eines abgehalfterten Altpolitikers und die Furcht der CSU vor dem Wahldebakel im Herbst in Bayern. Es geht auch nicht nur darum, mit welcher Taktik der rechte Rand der Gesellschaft gegen die AfD abgesperrt werden kann. Ja doch, das alles spielt eine Rolle, aber dahinter verbergen sich viel tiefere Auseinandersetzungen. Nämlich darum

- ob der Durchmarsch rechtspopulistischer bis faschistoider Parteien in die Regierungen europäischer Staaten jetzt auch vor Deutschland nicht mehr haltmacht,

- ob und mit welcher Strategie die Herrschenden verhindern können, dass ihr EU-Projekt ihnen am - von ihnen selbst mit erzeugten - Migrationsproblem um die Ohren fliegt,

- wie das deutsche Kapital seine ökonomische Übermacht in Europa mithilfe der EU politisch weiter absichern kann, denn nur sie ermöglicht ihm, in der Weltliga mitzuspielen.

Seehofers plumpe Klamotte wirft also ein Schlaglicht auf zentrale strategische Entscheidungen darüber, wie es mit Deutschland und Europa weitergeht. Im Schnittpunkt der sich überlagernden Konfliktfelder steht die Frage, wie die europäische Zentralmacht Deutschland künftig mit ihren Bündnispartnern (und zugleich Konkurrenten) umspringen will und kann. Genau dies ist der Kern des Streits zwischen Seehofer u.co gegen die Mehrheit der CDU. Und dieser Streit hat inzwischen alle relevanten gesellschaftlichen Akteure aufgescheucht, von der SPD bis zur Linkspartei, von den Unternehmerverbänden bis zu Kirchenkreisen. Hat Deutschland die Macht, den Anderen weiterhin Richtung und Inhalte der europäischen Integration via Brüssel vorzuschreiben – oder muss es nun auch, nolens-volens, auf den Kurs nationalistischer Abschottung und des unverhüllten Kampfs Aller-gegen-Alle umschwenken? Wobei die spärlichen Reste internationaler Kooperation und Kohäsion vollends auf der Strecke blieben.

Für die Linke geht dieser Streit um Kernfragen ihres Selbstverständnisses. Entsprechend heftig wird er in der Linkspartei geführt. Er bietet aber auch eine breitere Basis für die Sammlung aller gesellschaftlichen Kräfte links von Merkel-Nahles/Scholz, die nicht bereit sind, auf den Seehoferkurs einzuschwenken.

Es wäre fatal, wenn die LINKE diese Chance nicht nutzen würde. Für mich ist das ein entscheidendes Motiv, die Bemühungen von Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine u.a. zur Bildung einer „linken Sammlungsbewegung“ zu unterstützen.

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