Dienstag, 12. Juni 2018

Wie „68“ mein Leben veränderte. Erfahrungsbericht in 2 Teilen

Teil 1
Die 68’er-Revolte wird in den Medien gern als „Studentenbewegung“ bezeichnet. Meine Beweggründe zur aktiven Teilnahme an den 68’er Kämpfen hatten so gut wie nichts mit Hochschul- oder Bildungspolitik zu tun. Auch ich empfand die Gängelung an der Uni durch autoritäre Prof‘s als hinderlich für die freie Entfaltung meiner Fähigkeiten. Doch im Sommer 1967 stand ich schon am Abschluß meines Studiums an der TU Berlin, unmittelbar vor der Diplomprüfung.
Politik hatte mich bis dahin wenig interessiert, kaum daß ich Zeitung las. So ließ es mich auch kalt, wie der Berliner Senat mit großem Brimborium einen orientalischen Gewaltherrscher empfing, den Schah von Persien. Doch am 2.Juni 1967 lag plötzlich einer, der dagegen protestierte, auf der Straße, hinterrücks erschossen von einem Westberliner Polizisten. Das ging auch mir zu weit. Am 3.Juni stand ich auf der Straße, zum erstenmal in meinem Leben, versuchte Knüppelhieben auszuweichen, Wasserwerfern zu widerstehen, Polizeiketten zu durchbrechen und Verhaftungen zu verhindern.
Widerstand gegen die Staatsgewalt – das passte nun überhaupt nicht in das Weltbild eines gutwilligen, idealistischen Bürgersöhnchens. Warum schlug der Staat, dem ich bis dahin rückhaltlos vertraut hatte, friedlich demonstrierende Schahgegner, die keinerlei Machtmittel besaßen außer Worten, dermaßen brutal nieder?
Während die ganze demokratische Öffentlichkeit noch darüber diskutierte, steigerten sich die Westberliner Frontstadt-Profis, an der Spitze die Springerzeitungen, rasch in eine wüste Hetzkampagne gegen “die Studenten“, und steigerte sich die Staatsmacht in wahre Knüppelorgien hinein. Und ich auf einmal mitten drin.
Über die Straßenaktionen kam ich in Kontakt zu studentischen Gruppen, besuchte “Teach-ins“ und beteiligte mich am Aufbau einer “Kritischen Universität“. Lernte dort die Wortführer der internationalen Protestbewegungen verstehen. So erinnere ich mich an eine riesige Versammlung in der Freien Universität mit dem 1933 in die USA emigrierten Philosophen Herbert Marcuse.
Der hatte vier Jahre vorher als einer der ersten mit seinem Buch „Der eindimensionale Mensch“ eine systematische Kritik der „modernen Industriegesellschaft“ der Gegenwart vorgelegt; diese Gesellschaft beschrieb er als manipuliert durch entfremdete Arbeit für eine ausbeuterische Technokratie, eine totalitäre Konsumwerbung sei für die Industrie unverzichtbar, ebenso die bürokratische Verwaltung im „Wohlfahrts- und Kriegführungsstaat“, eine alle Widersprüche verkleisternde Massenkultur und positivistische Herrschaftswissenschaft.
Als ersten Schritt einer Gegenstrategie empfahl er uns die „große Weigerung“, einen Ausstieg aus dem kapitalistischen System. Seine Konsumkritik bildete eine Wurzel zunächst der Hippie- und Landkommunenbewegung, etwas später bei uns auch der grün-alternativen Ideologie. Allerdings stellten sowohl Marcuse als auch der damals einflußreichste Studentenverband SDS sogleich klar, dass eine Ablehnung des herrschenden Systems ohnmächtig bleibe, solange die gesellschaftliche Opposition sich nicht auf eine bessere Alternative verständigt habe. Diese könne nur sozialistisch sein, aber auch nicht so wie der repressive Sowjetkommunismus.
Das alles ging mir damals zu schnell und zu weit. Die aktuellen Ereignisse drängten mir viel näher liegende Fragen auf: Warum brauchte unsere Demokratie auf einmal Notstandsgesetze? Welcher Notstand drohte denn, dass dagegen eigens eine große Koalition gebildet werden musste? Lief das nicht auf eine Kriegserklärung an eine aufmüpfige, aber doch radikal demokratische Minderheit der Gesellschaft hinaus?
Bestand da tatsächlich ein Zusammenhang mit den vielen ehemaligen Nazigrößen an den Schaltstellen der Republik, sogar in den höchsten Staatsämtern (Lübke, Carstens, Strauß, Kiesinger)? Waren die für die mangelnde Aufarbeitung der deutschen Schuld an den NS-Verbrechen verantwortlich? Und somit auch für das Wiedererstarken rechtsextremer Parteien?
Die Gründe, die mich in die Revolte hineinrissen, waren also zunächst rein demokratischer Art. Nach dem 2.Weltkrieg hatten sich unter der Führung der Schutzmacht USA die westlichen Staaten allesamt in bürokratische und militärische Herrschaftsapparate verwandelt, die mit den freiheitlichen Ideen der Aufklärung und des Humanismus nicht mehr in Einklang standen.
Dass der Schah von Persien eine Kreatur der US-Weltmacht war und deren Statthalter am erdölreichen Golf, wusste ich ja. Aber gegen diese Weltmacht hatte ich doch nichts – im Gegenteil hatte die amerikanische Kultur auch mich sehr geprägt.
Gewiss, seit einigen Jahren führten die USA einen schmutzigen Krieg gegen kommunistische Untergrundkämpfer im fernen Vietnam – aber war der Vietcong nicht der verlängerte Arm einer anderen, uns viel unheimlicheren Weltmacht? Dass ich mit Kommunismus oder Sozialismus nicht das geringste anfangen konnte und wollte, fand ich noch bestätigt, als sowjetische Panzer den “Prager Frühling“, die Emanzipationsbestrebungen in der Tschechoslowakei niederwalzten. Auch das geschah 1968, aber das konnte und durfte uns doch nicht hindern, gegen die Unterstützung des schmutzigen US-Feldzugs in Vietnam durch unsere Regierung zu protestieren.

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