Ob Arbeit 4.0 die
schöne neue Welt (Aldous Huxley) wird, die ihre Väter und Mütter in
Konzernvorständen, Bundesregierung und Dortmunds Rathaus uns verheißen, das schreibt
kein Naturgesetz vor, sondern das wird so oder so politisch entschieden. Welche
Gesellschaftsklasse wird dabei über welche Entscheidungsmacht verfügen?
In der bürgerlichen
Gesellschaft hängen die Stellung der Klassen zueinander und ihre Macht vom Eigentum
bzw. Nicht-Eigentum an Produktionsmitteln ab. In dieser Gesellschaft lässt
Macht, die politische wie ökonomische, sich auf das eingesetzte Kapital zurückführen.
Die flächendeckende
Vernetzung der Produktion, nicht nur im einzelnen Betrieb, sondern über Betriebs-
und Branchengrenzen hinweg, stärkt aber zwei Triebkräfte, die nicht in der
Kapitalmacht eingeschlossen sind, sondern alle Beziehungen zwischen den
Produzenten prägen und verändern. Diese zwei Triebkräfte sind
-
zum
einen die Arbeitsteilung und Kooperation,
-
zum
anderen Wissen, Information und Wissenschaft.
Karl Marx fand
heraus: Diese beiden Produktivkräfte erscheinen
heute zwar als Eigenschaft des Kapitals, aber Wissen erwerben und mit anderen Menschen
kooperieren konnte jeder arbeitsfähige Mensch schon Jahrtausende vor den auf
Privateigentum gegründeten Produktionsverhältnissen und wird es weiter können, wenn die kapitalistische
Epoche längst überwunden ist. Der
Kapitalist kann diese Produktivkräfte nur in dem Maß nutzen, wie er sie an sein
Eigentum an Produktionsmitteln fesseln kann.
Eine Gesellschaft,
in der Information, geteiltes Wissen zur wichtigsten Produktivkraft
wird, lässt sich aber nicht mehr ans Privateigentum fesseln. Eine Gesellschaft,
in der die Wertschöpfung in hohem Maß sowohl von der Wissenschaft als auch vom
gesellschaftlich geteilten Wissen, vom Informationsniveau, vom allgemeinen Bildungsstand
abhängt, in einer solchen Gesellschaft wird, so Marx, „die Schöpfung des
Reichtums unabhängig von der auf sie angewandten Arbeitszeit". – Und somit
unabhängig von der Kapitalverwertung.
Es
lohnt, heute erneut darüber nachzudenken, worin Karl Marx die entscheidende Triebkraft
der Geschichte sah: Es ist der Fortschritt der Produktivkräfte, der die alten Produktionsverhältnisse
sprengt. Mit dem Aufkommen einer auf Informationstechnik basierenden Ökonomie
erhält der Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen
eine neue Dynamik. Paul Mason1 nennt das den „Krieg zwischen
Netzwerk und Hierarchie“. Niemand kann heute bestimmt vorhersagen, welche
Resultate dieser Krieg hervorbringt.
Einerseits sind die großen Kapitale bestrebt, sich unsere ganze schöpferische
Kooperation und unser Wissen anzueignen. Sie bedienen sich der
Informationstechnologie zur Intensivierung, Kontrolle und Verbilligung der
Arbeit, zur Monopolisierung ihrer „geistigen Eigentumsrechte" und zur Verwertung
der Konsumentendaten, auch zu neuen
Formen der Ausbeutung, etwa durch Crowd-Working.
Andrerseits
aber stärkt die Informationstechnologie die „Bildungselemente einer neuen
Gesellschaft" (Marx), bewirkt den Aufstieg von Sektoren einer Nicht-Marktwirtschaft,
die Entstehung freier, kooperativer Geschäftsmodelle außerhalb des
Marktmechanismus: einer Share-economy, einer Allmendeproduktion. Zunächst im
Bereich der Information selbst. In Netzwerken, in denen kostenlose Informationsgüter
die kommerziell erzeugten verdrängen. Mehr und mehr auch darüber hinaus in
Dienstleistungssektoren, Energieversorgung, Landwirtschaft, Handwerk usw. werden
die Hitech-Monopole eingekreist und die alten Strukturen aufgebrochen.
Technologisch
sind wir auf dem Weg zu kostenlosen Gütern und zur Automatisierung belastender
und entnervender Arbeit. – Gesellschaftlich sind wir noch Gefangene einer Welt,
die von den Krisen vermachteter Märkte und der Ausbreitung prekärer Armutsjobs beherrscht
ist. Der entscheidende innere Widerspruch des heutigen Kapitalismus ist der
zwischen der Möglichkeit kostenloser, im Überfluss vorhandener Allmendeprodukte
und einem System von Monopolen, Banken und Regierungen, die versuchen, ihre
Kontrolle über die Informationen aufrecht zu erhalten.
Das Aufbrechen der alten Wirtschaftsstrukturen hat übrigens auch eine sozialpsychologische
und kulturelle Seite. Schon
seit einigen Jahrzehnten gilt es als erstrebenswertes Ideal der
Arbeitskraftentwicklung, seine Talente zu entfalten, kreativ zu sein. Die
streng hierarchische „Kommandowirtschaft“ zur bloßen Ausführung von oben
vorgegebener Arbeitsroutinen gilt nicht mehr als selbstverständlich. Flache Hierarchien,
Delegation von Verantwortung nach unten, Spielräume für selbständiges Handeln
erweisen sich als effizienter und flexibler. Das bedeutet nicht automatisch,
dass Kommando und Disziplinierung schon überwunden wären. Aber es entsteht ein
neuer Typus des „Humankapitals“: das Individuum, das die Arbeitsdisziplin, die
früher extern erzwungen war, nun sich selbst auferlegt, „internalisiert“. Der „Arbeitskraftunternehmer“,
der sich selbst in die kooperative Arbeitsteilung einfügt, sich freiwillig den Zwängen
des totalen Wettbewerbs unterwirft, gilt als Idealtypus des Kreativen.
Da fragt man sich: Eine Technik „4.0“, die die arbeitsteilige
Kooperation steigert – Information zur
wichtigsten Produktivkraft macht – so die gesellschaftlich notwendige
Arbeitszeit verringert – und die kapitalistische Verwertungslogik sprengt –
warum lassen die heute Mächtigen sich auf so etwas ein?
Die Antwort: Von der Notwendigkeit der Konkurrenz und einer fallenden
Profitrate getrieben, können sie nicht anders, als eine technische Entwicklung befördern,
die unentrinnbar über den Kapitalismus hinaus führt. Bis jetzt hat sich das
kapitalistische System mit neuen Innovationsschüben immer wieder verjüngt. Ob
dies mit der jetzt anrollenden Technologiewelle noch einmal gelingt, ist nach
allem was wir heute sehen eher unwahrscheinlich. Das Wachstum flacht ab, neue Massengütermärkte
sind nicht in Sicht, die anschwellende Zahl der Überflüssigen untergräbt die Lohnarbeit,
mit ihr das System sozialer Sicherungen und die Legitimität der politisch
herrschenden Klasse. Alles Symptome dafür, dass die alten Verhältnisse sich dem
Ende nähern.
Was
daraus entsteht, bleibt Gegenstand von Klassenkämpfen: zwischen der alten
Eigentümerklasse (und ihrem politischen Apparat) und der um das anwachsende Heer
der „Wissensarbeiter“ verstärkten Klasse der abhängig-Beschäftigten.
Und
es bleibt ein Kampf um die politische Macht: Die ersten Versuche einer kooperativen
Wirtschaftsweise, die Herstellung und Verbreitung allgemeiner, von allen
nutzbarer Güter, sie werden nur Bestand haben und sich weiter ausbreiten können,
wenn der Staat diese neuen Formen des Wirtschaftens unterstützt, sichert und fördert.
Und wenn er die Privatisierung lebenswichtiger Produktionsmittel für die
Daseinsvorsorge, wie Energieversorgung, Verkehr, Gesundheitswesen usw. rückgängig
macht und sie wieder in gemeinschaftlicher Regie betreibt.
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1 Dieser letzte Teil der Serie
lehnt sich in Gedankengang und Wortwahl eng an Paul Masons Vortrag „Der
Niedergang des Kapitalismus“ an, den der Deutschlandfunk im Dezember 2016
ausstrahlte. Paul Mason ist Wirtschaftsjournalist und Berater des Vorsitzenden
der englischen Labourpartei, Jeremy Corbyn.
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