In acht europäischen Staaten sind populistische Parteien heute an Regierungen beteiligt (Norwegen, Finnland, Lettland, Litauen, Griechenland, Schweiz, in Ungarn und Polen stellen sie allein die Regierungen; in Italien war Silvio Berlusconi von 1994 bis 2011 viermal Regierungschef).
Doch Populisten können die politische Landschaft schon stark
prägen, ohne selbst (mit-) zu regieren. Sie wären weitaus weniger erfolgreich,
wenn in ihren Anklagen nicht immer ein Körnchen Wahrheit steckte. Als
Krisensymptom reagiert der Populismus auf die Monopolstellung des regierenden
Parteienkartells sowie die Verengung von Politik auf technokratische
„Governance“, Auslagerung politischer Entscheidungen auf demokratisch nicht
legitimierte Experten und Bürokratie. Sinkende Wahlbeteiligung, Mitgliederschwund
der etablierten Parteien und eine wachsende „Politikverdrossenheit“, vor allem
in den unteren sozialen Schichten, verweisen auf ein demokratisches Defizit,
das durch die supranationale EU-Bürokratie noch erheblich verstärkt wird. Das
Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber intransparenten Prozessen war und ist immer
ein Nährboden des Populismus.
Da die Anrufung der bedrohten Volksgemeinschaft aber niemals
die tatsächlichen sozialen, wirtschaftlichen und politischen
Interessengegensätze innerhalb ihrer Anhängerschaft aufhebt, haben
populistische Demagogen in der Regel nur so lange Aufwind, wie sie ihre
Versprechen nicht einlösen müssen. Viele Vertreter des Populismus verlegen sich
deshalb auf eine Strategie, den politischen Streit zu verschärfen und damit die
Regierenden vor sich her zu treiben.
Die etablierten Parteien reagieren auf Mobilisierungs- und Wahlerfolge
der Populisten, indem sie sich selbst eine teilweise populistische Programmatik
und Rhetorik aneignen, um jene zu verdrängen. Damit tragen sie jedoch nur zu
weiteren Erfolgen der Populisten bei, indem sie sie einerseits in ihren Zielen und
ihrem Auftreten und anderseits in ihrer „Außenseiterrolle“ bestätigen. Die populistischen
Parteien können folglich für sich reklamieren, die „richtigen“ Konzepte zu besitzen,
und gleichzeitig darauf verweisen, dass diese Verdrängungsbemühungen von einer
grundlegenden Feindschaft der etablierten Parteien zum Volk und seinem Anwalt,
dem Populismus, zeugen.
Heute haben die bürgerlichen und sozialdemokratischen
Parteien durchweg bereits zahlreiche populistische Positionen und Methoden übernommen.
Vor allem die großen "Volksparteien" nähern sich in Auftreten und
Programmatik dem Populismus an, indem sie etwa Wahlkämpfe stark auf Führungsfiguren
zuschneiden, ihre Politik über die Medien inszenieren, komplexe Probleme auf
"populäre", aber zu einfache Parolen verkürzen (z.B. eine „Obergrenze“
für die Aufnahme von Flüchtlingen anstatt der Asylrechtsgarantie des
Grundgesetzes – oder Grenzschließung anstatt Bekämpfung von Fluchtursachen)
usw.
Das heißt nicht zwangsläufig, dass diese Parteien auch ein
populistisches Gesellschafts- und Staatsverständnis übernehmen. Aber so
beschleunigt der Populismus genau die Fehlentwicklungen der modernen
Demokratie, denen er seine Entstehung und Ausbreitung verdankt, nämlich das Verflachen
des notwendigen Richtungsstreits um die Zukunft der Gesellschaft zu sinnleerem Spektakel
um bloßen Machterhalt. So wirkt das kapitalistische Krisensymptom Populismus
selbst krisenverschärfend.
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