Donnerstag, 21. Januar 2016

Populismus heute – Teil 4 / Schluss: Ein Krisensymptom verschärft die Krise


In acht europäischen Staaten sind populistische Parteien heute an Regierungen beteiligt (Norwegen, Finnland, Lettland, Litauen, Griechenland, Schweiz, in Ungarn und Polen stellen sie allein die Regierungen; in Italien war Silvio Berlusconi von 1994 bis 2011 viermal Regierungschef).

Doch Populisten können die politische Landschaft schon stark prägen, ohne selbst (mit-) zu regieren. Sie wären weitaus weniger erfolgreich, wenn in ihren Anklagen nicht immer ein Körnchen Wahrheit steckte. Als Krisensymptom reagiert der Populismus auf die Monopolstellung des regierenden Parteienkartells sowie die Verengung von Politik auf technokratische „Governance“, Auslagerung politischer Entscheidungen auf demokratisch nicht legitimierte Experten und Bürokratie. Sinkende Wahlbeteiligung, Mitgliederschwund der etablierten Parteien und eine wachsende „Politikverdrossenheit“, vor allem in den unteren sozialen Schichten, verweisen auf ein demokratisches Defizit, das durch die supranationale EU-Bürokratie noch erheblich verstärkt wird. Das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber intransparenten Prozessen war und ist immer ein Nährboden des Populismus.

Da die Anrufung der bedrohten Volksgemeinschaft aber niemals die tatsächlichen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Interessengegensätze innerhalb ihrer Anhängerschaft aufhebt, haben populistische Demagogen in der Regel nur so lange Aufwind, wie sie ihre Versprechen nicht einlösen müssen. Viele Vertreter des Populismus verlegen sich deshalb auf eine Strategie, den politischen Streit zu verschärfen und damit die Regierenden vor sich her zu treiben.

Die etablierten Parteien reagieren auf Mobilisierungs- und Wahlerfolge der Populisten, indem sie sich selbst eine teilweise populistische Programmatik und Rhetorik aneignen, um jene zu verdrängen. Damit tragen sie jedoch nur zu weiteren Erfolgen der Populisten bei, indem sie sie einerseits in ihren Zielen und ihrem Auftreten und anderseits in ihrer „Außenseiterrolle“ bestätigen. Die populistischen Parteien können folglich für sich reklamieren, die „richtigen“ Konzepte zu besitzen, und gleichzeitig darauf verweisen, dass diese Verdrängungsbemühungen von einer grundlegenden Feindschaft der etablierten Parteien zum Volk und seinem Anwalt, dem Populismus, zeugen.

Heute haben die bürgerlichen und sozialdemokratischen Parteien durchweg bereits zahlreiche populistische Positionen und Methoden übernommen. Vor allem die großen "Volksparteien" nähern sich in Auftreten und Programmatik dem Populismus an, indem sie etwa Wahlkämpfe stark auf Führungsfiguren zuschneiden, ihre Politik über die Medien inszenieren, komplexe Probleme auf "populäre", aber zu einfache Parolen verkürzen (z.B. eine „Obergrenze“ für die Aufnahme von Flüchtlingen anstatt der Asylrechtsgarantie des Grundgesetzes – oder Grenzschließung anstatt Bekämpfung von Fluchtursachen) usw.

Das heißt nicht zwangsläufig, dass diese Parteien auch ein populistisches Gesellschafts- und Staatsverständnis übernehmen. Aber so beschleunigt der Populismus genau die Fehlentwicklungen der modernen Demokratie, denen er seine Entstehung und Ausbreitung verdankt, nämlich das Verflachen des notwendigen Richtungsstreits um die Zukunft der Gesellschaft zu sinnleerem Spektakel um bloßen Machterhalt. So wirkt das kapitalistische Krisensymptom Populismus selbst krisenverschärfend.

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