Populisten sehen sich als Sprachrohr einer „schweigenden
Mehrheit“, wobei sie unterstellen, dass es einen authentischen „Volkswillen“
gebe. Dem „Volk“ werden Tugenden und Werte zugeschrieben, mit denen sich die
Bevölkerungsmehrheit identifizieren kann, etwa ein „gesunder Menschenverstand“,
Anständigkeit und Ehrlichkeit. Im Zentrum populistischer Programmatik steht
somit die Identitätsstiftung einer amorphen Bevölkerungsmehrheit durch Abgrenzung
gegenüber Politik und sozialen bzw. ethnischen Minderheiten, die jeweils für
Probleme verantwortlich gemacht und als deren Verursacher denunziert werden.
Eine Identitätspolitik, in der eine bedrohte Gemeinschaft konstruiert wird. Heinz
Strache (FPÖ): "Das Volk hat ein gutes Gespür für Recht und Unrecht. Und
dort, wo Unrecht zu Recht wird, da wird Widerstand zur Pflicht!"
Anti-Intellektualismus: Gefühl statt Verstand. Populisten
sprechen diffuse Ängste der Bevölkerung vor Modernisierung und Umbrüchen wie
der „Globalisierung“ oder der „Demografie“ an und beantworten sie mit
monokausalen, kurzschlüssigen oder pseudowissenschatlichen Deutungen und einfachen,
einseitigen Parolen. Probleme werden nicht als Ergebnis sozialer Strukturen und
wirtschaftlicher Prozesse, sondern als die Schuld bestimmter Gruppen gesehen
und personalisiert. So führen sie etwa Kriminalität unter Migranten nicht auf
deren soziale Benachteiligung zurück, sondern erklären sie zum immanenten
Bestandteil der Kultur der Zuwanderer. Der Parteienforscher Pelinka sieht den
Populismus vor allem bei Modernisierungsverlierern erfolgreich.
"Antipolitik": Sie bekämpfen die etablierten
Parteien und die politische Klasse, die pauschal als korrupt, machtbesessen und
volksfern hingestellt werden. „Wir“ gegen „Die-da-oben“. Indem sie der
politischen Elite und Minderheiten die Schuld an Missständen geben, mobilisieren
sie vor allem unpolitische, bildungsferne Teile der Bevölkerung, die Politik
schlechthin für ein "schmutziges Geschäft" halten. Silvio Berlusconi
(Popolo della Libertà in Italien): "Ich bin kein Politiker, ich kümmere
mich nicht um Kritik. Ich sage das, was die Leute denken." Dadurch kann
der Populismus Anhänger aus allen Gesellschaftsschichten – Bauern, Arbeiter, Selbstständige,
Ärzte, Manager, Arbeitslose, Hausfrauen – gewinnen.
Anti-demokratisch: Populisten übernehmen zwar Positionen der
extremen Rechten, aber ohne deren offen erklärte Gegnerschaft zu Demokratie und
Parlamentarismus. Implizit oder explizit wenden sie sich gegen bestimmte zentrale
Elemente der Demokratie wie den Pluralismus, den Minderheitenschutz oder die
Religionsfreiheit. Einerseits fordern sie einen starken Staat, z.B. in der
Kriminalitätsbekämpfung, stellen aber anderseits das staatliche Gewaltmonopol
in Frage, weil nach ihrer Meinung die etablierte Politik den Staat „wehrlos“
mache, oder weil sie die Legitimität der politischen Klasse generell bestreiten,
da diese den Volkswillen verfälsche. Im Unterschied zu direkt-demokratischen
Verfahren, die auf Kontrolle der Delegierten durch ihre Wähler (dem gebundenen
Mandat) beruhen, befürworten sie einen spontanen Voluntarismus in einer
Akklamationsdemokratie.
Im allgemeinen verzichten sie auf ein „völkisch“ geprägtes
Weltbild; an Stelle des klassischen Rassismus tritt ein kultureller Rassismus,
der die nationale Kultur gegen Einwanderer, ethnische Minderheiten und die
Europäische Union stellt: Kulturelle Vielfalt wird als „Multikulti“ diffamiert und
mit "Überfremdung" gleichgesetzt. Behauptet wird ein Gegensatz
zwischen Demokratie, Wohlstand und Sicherheit als „abendländischer“ bzw.
nationaler Kultur auf der einen und der – minderwertigen – Kultur der
„Fremdartigen“ auf der anderen Seite.
Repressiv: Sie propagieren eine Law-and-Order-Politik, die
auf Repression und Abschreckung zielt („Nulltoleranz“-Strategie), bis hin zur
Selbstjustiz der „Bürger“ in Bürgerwehren. Die Ursachen von Kriminalität werden
nicht angesprochen oder allein bei Individuen und Gruppen gesucht. Migranten
und soziale wie politische Randgruppen werden verdächtigt, grundsätzlich zu
Kriminalität zu neigen und sich der gesetzlichen Ordnung zu verweigern.
Besonders harte Strafen werden bei Sexual- und Tötungsdelikten gefordert, weil
diese in der Öffentlichkeit starke negative Emotionen auslösen.
Leistungsorientierte Gesellschaftsordnung, Neoliberalismus
bei gleichzeitiger Globalisierungskritik: Populismus fordert niedrigere Steuern,
vorrangig für den „Mittelstand“, letztlich aber für „die Wirtschaft“, tritt für
Privatisierung von Staatsbetrieben ein und setzt sich für die Belohnung von
Leistung vor allem ökonomisch starker Schichten ein. „Leistungsverweigerern“
sollen die staatlichen Zuwendungen entzogen werden. Andererseits befürwortet der
Populismus eine Förderung der nationalen Wirtschaft und protektionistische
Maßnahmen, um die heimischen Märkte gegen Importe aus Billiglohnländern zu
schützen und umgekehrt die eigenen Exporte zu stärken. Damit spricht er den
Wohlstandschauvinismus in der Bevölkerung an. Marktradikal treten Populisten dann
auf, wenn sie sich damit positiv von der etablierten Politik abgrenzen können.
Wo Sozialabbau große Teile der Bevölkerung betreffen würde, können sie sich auch
dagegen stellen.
Der politische Apparat der EU gilt als bürokratisch und
bürgerfern, seine Vertreter als raffgierige Selbstbediener. Nur als „Festung
Europa“, dem Zusammenschluss „verwandter“ Kulturen gegen „fremdartige“ Einwanderer
sehen Populisten in der Europäischen Union einen Sinn. Grundsätzlich fordern
sie die Rückkehr zum Nationalstaat, zur nationalen Währung, Austritt aus der EU
usw.
Islamfeindlichkeit: Während in den Anfangsjahren neben Europa-
und Euro-Skepsis allgemeine Ausländerfeindlichkeit den Kern populistischer Programme
bildete, entdeckten die westeuropäischen Populisten nach den Anschlägen vom
11.09.2001 den Islam als Feind. Damit konnte der Populismus eine gemeinsame
Identifikation sehr verschiedener Menschen herstellen, die durch Krisenprozesse
in ihren jeweiligen Milieus bedroht sind. Symbole wie Kopftuch, Minarette oder
Gebetsräume in Schulen stehen als öffentlich sichtbare Zeichen der islamischen
Kultur im Mittelpunkt der Stimmungsmache.
Der islamfeindliche Kurs herrscht vor allem in den Staaten
vor, in denen es nennenswerte muslimische Minderheiten gibt. Wo diese fehlen
wie in den Staaten des ehemaligen Ostblocks, treten andere Bevölkerungsgruppen
wie Roma, Juden, Homosexuelle oder ausländische Investoren an ihre Stelle.
Wie schon dieser knappe Überblick verdeutlicht, eignen sich
populistische Programme allerlei Versatzstücke bürgerlicher Ideologien an, durchbrechen
aber nicht deren hegemoniale Herrschaft über die öffentliche (veröffentlichte)
Meinung, sondern spitzen sie jeweils auf einzelne Krisensymptome zu. Humanistisch-demokratischen
und damit auch „linken“ Wertsystemen steht der Populismus heute in Europa entgegen
und demonstriert ihnen implizit seine Feindschaft: Ignoranz gegen Bildung und
Wissen; Vorurteil gegen das Verstehen von Zusammenhängen; Ausgrenzung von
Minderheiten gegen deren Integration; Dünkel einer angeblich „höheren“ Kultur
gegen die Gleichwertigkeit aller Nationen und Rassen; Wohlstandschauvinismus gegen
gerechten Ausgleich; Hass und Wut gegen eigenverantwortliche Solidarität.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen