Freitag, 23. August 2013

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Slums in Deutschland? Einerseits…andrereits…und außerdem…


In Mumbai, Rio, Detroit, Manchester, sogar in Paris – aber doch nicht in Dortmund!!! Unter den Leuchttürmen des Strukturwandels! Unser Wohnungsmarkt ist doch entspannt! Also wenn das wahr sein soll, was die ARD am 19.08.13 verbreitete über „Deutschlands neue Slums“, dann ist das höchstens „die halbe Wahrheit“ (RuhrNachrichten Dortmund 21.08.13).

Die andere Wahrheitshälfte ist nämlich: Wir sind alle unschuldig. Unsere Stadtverwaltung? Hält sich an die Vorschriften, kann also nichts machen gegen Matratzenvermieter und den Arbeiterstrich in der Nordstadt. Unsere Kommunalpolitiker? Tun was sie können, haben ein „Netzwerk Armutszuwanderung“ gebildet, 17 „Ekelhäuser“ aufgekauft (von 93), mehr gibt der Stadthaushalt leider nicht her. Die EU? Kannte zwar schon vor der Aufnahme von Bulgarien und Rumänien die bittere Armut und Unterdrückung der Roma dort, kann aber nichts dagegen tun, weil Berlin die Mittel für Soziales blockiert. Die Bundesregierung? Muss sparen für das nächste Spendenpaket an notleidende Banken, das sie 2014 auflegt. Die Matratzenvermieter und Schlepperbanden? Agieren in einer Grauzone zwischen Wucher und Körperverletzung, aber solange sie ihre Gewinne ordentlich versteuern, dürfen sie liefern, was der Markt verlangt: billigste Arbeitskräfte. Dann also Unternehmen wie die Fleischfabrik Tönies, die solche Sklavenarbeitsplätze anbieten? Der Wettbewerb zwingt sie, jeden Gewinnvorsprung zu nutzen. Und die Roma selbst, kann man ihnen vorwerfen, dass sie aus Not und Diskriminierung in ihrer Heimat fliehen?

Die ganze Wahrheit ist also: Slums gehören zum kapitalistischen System, solange es besteht und umso mehr, je schlechter es funktioniert. Nun funktioniert es auch in Deutschland immer schlechter.

Die Wahrheit könnte natürlich auch ganz anders aussehen: Ohne Elendsquartiere in der Nordstadt, aber mit 10 € Mindestlohn in Fleischfabriken. Ohne Werkverträge usw. aber mit breitem, tarifgebundenem öffentlichem Beschäftigungssektor. Ohne Bankenhilfspakete, aber mit Reichensteuern zur Armutsbekämpfung in Dortmund und in Plovdiv. Am 22.September könnte unser Land dieser anderen Wahrheit ein Stück näher kommen. Zu schön um wahr zu sein.

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