Donnerstag, 27. Dezember 2012

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Sinnvolle, existenzsichernde Arbeit für Alle ist keine Utopie

Während der Kapitalismus immer mehr Menschen vom Arbeitsmarkt ausschließt, ist sinnvolle, existenzsichernde Arbeit für Alle durchaus machbar – allerdings unter veränderten Rahmenbedingungen der Gemeindefinanzen und nicht-kapitalistischen Organisationsformen. Dies ist, auf einen Satz geschrumpft, das Ergebnis einer Felduntersuchung der LINKEN Ratsfraktion über den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in Dortmund, von 2008 bis 2012. Der Untersuchungsbericht erscheint im Frühjahr 2013. Hier aus aktuellem Anlass der letzten Ratssitzung 2012 eine Vorschau auf sein Schlußkapitel.

Zehn Jahre lang, die ganze Amtszeit des Dr. Langemeyer als Dortmunder OB glaubte die Stadtspitze, Arbeitslosigkeit allein mit Wirtschaftsförderung für den „Strukturwandel“ am ersten Arbeitsmarkt bekämpfen zu können. Außer den Maßnahmen der Arbeitslosenverwaltung, ab 2005 auch der ARGE Jobcenter, fand kommunale Beschäftigungsförderung praktisch nicht mehr statt. Daß diese neoliberale Arbeitsmarktstrategie ein Irrweg war, mit fatalen Folgen nicht nur für die anhaltend große Masse der Arbeitslosen, sondern auch für die lokale Wirtschaft, lässt sich heute nicht mehr hinter Leuchtturmprojekten verbergen.

Nach Dr. Langemeyers unrühmlichem Abgang (2009) rückt die Einsicht in die unauflöslichen Zusammenhänge zwischen eben diesen Leuchtturmprojekten und den bedrohlichen Haushaltslöchern einerseits, der Zunahme der Armut und der verfehlten Arbeitsmarktpolitik anderseits stärker in den Fokus der öffentlichen Diskussion. Die Auseinandersetzung darum wirkt nun auch in die SPD hinein.

Um die Jahreswende 2011/2012 versuchte der Verwaltungsvorstand mit dem neuen OB Sierau an der Spitze eine vorsichtige Kurskorrektur mit einer „Kommunalen Arbeitsmarktstrategie 2015“. Sie umfasste ein Bündel von neun Beschäftigungsprojekten, von der Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeit, der Förderung von Arbeitsverhältnissen nach § 16e SGB II, davon 100 bei der Stadt, 125 bei Gewerbebetrieben und freien Trägern, „AsTra“ (Arbeitsförderung statt Transferleistungen, 30 Stellen bei der Stadt in Teilzeit, plus 15 Stellen zur Vorbereitung von Migrantinnen auf die Externenprüfung für Erzieherinnen), Finanzierung des Anerkennungsjahres für 20 Erzieherinnen, einem Projekt „Stadtteilmütter“ (Migrantinnen für Bildungs- und Integrationsberatung), einem Vorbereitungskurs für den Brandmeisterlehrgang bei der städtischen Feuerwehr, bis zu 200 zusätzlichen 1-€-Jobs in der Stadtverwaltung.

Zwar würde das Programm in der Summe von 655 Beschäftigungsverhältnissen im Durchschnitt der Laufzeit die amtliche Arbeitslosenzahl von 37.600 nicht mehr reduzieren, als ein Regentropfen einen heißen Stein kühlt. Zudem ist es auf vier Jahre befristet. Nur in einem Baustein würden Einkommen erreicht, die etwa dem armutsfesten Mindestlohn von 10 €/h entsprechen. Und von den neun Maßnahmen sind nur vier (mit 200 Stellen) dem sozialgewerblichen Beschäftigungssektor zugewandt, alle übrigen erweitern nur den öffentlichen Dienst bei der Stadtverwaltung. Doch immerhin anerkennt OB Sierau damit endlich wieder explizit die Verantwortung der Stadt für öffentliche Beschäftigungspolitik neben dem ersten Arbeitsmarkt und der staatlichen Arbeitsverwaltung. Darauf lässt sich aufbauen.

Auch zur Finanzierung des Programms wollten Sierau und Kämmerer Stüdemann mit den Tabus der Langemeyer-Ära brechen und den Weg einschlagen, den sowohl die LINKE als auch Sozialverbände seit Jahren forderten:
- Etwa 2,7 Mio € p.a. (44 % des Gesamtaufwands) waren durch Einsparung der KdU für die ins Programm aufgenommenen Arbeitslosen abzudecken,
- Für die restlichen 3,5 Mio € (56 %) sollte die Gewerbesteuer angehoben werden.

Das letztere stieß sofort auf heftiges Sperrfeuer der IHK, der städtischen Wirtschaftsförderer, der wirtschaftsliberalen Ratsfraktionen CDU und FDP/BL sowie – der Fraktionsspitze der SPD! Ein Jahr lang „tobte“ der Kampf. Da inzwischen die Aussichten für einen genehmigungsfähigen Haushalt 2013 immer wackeliger wurden, kamen SPD- und grüne Ratsfraktion kurz vor Ultimo überein, das zarte Pflänzchen kommunaler Beschäftigungspolitik noch vor der ersten Blüte zu zerrupfen. Von Sieraus ohnehin nur zaghafter „Strategie“ blieb nur übrig, was die inzwischen sogar amtlich als Fehlschlag attestierte Schröder-Agenda 2010 fortsetzt. Die städtischen Fördermittel wurden auf ca. 1,5 Mio. € aus dem städtischen Haushalt gekürzt. Damit nehmen SPD und Grüne eine weitere Vertiefung der sozialen Spaltung in der Stadt auf ihr Schuldkonto.

Wie diese Episode zeigt, ist es in Dortmund, nicht zuletzt dank seiner SPD, noch ein besonders weiter Weg bis zu einer sozialverträglichen Lösung der Arbeitsmarktprobleme. Er wird auch nicht leichter durch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die absehbar vor uns liegt. Sowohl die Schuldenbremse als auch die Kosten der Eurorettung drohen nach der Bundestagswahl die Finanznot der Kommunen weiter zu verschärfen.

Unsere Untersuchung lässt keinen Zweifel zu, dass ein – durchaus nicht utopischer – Kurswechsel zu einer neuen, sozialen und zwangfreien Beschäftigungspolitik Arbeit für Alle nur schaffen kann, wenn die Gemeindefinanzierung aus der ruinösen Dumpingspirale erlöst wird, in der neoliberale Reichtumspflege sie gefangen hält. Dem wirtschaftshörigen Parteienfilz geht dieser Kurswechsel offenbar gegen den Strich. Er müsste von außen erzwungen werden, durch ein Bündnis der an „Arbeit für Alle“ interessierten gesellschaftlichen Akteure. Ein Bündnis, das sich von traditionellen Parteibindungen frei macht und öffnet für neue Kooperationen.

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