Dienstag, 13. September 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Die Stadt und die deutsche Krise

Nein, keine griechisch-spanisch-italienisch-chilenisch-israelisch-englischen Verhältnisse in Deutschland. Vor einigen Monaten, im März protestierten einmal in NRW fünftausend gegen das Unrecht, für eine Krise bluten zu sollen, die sie am allerwenigsten verschuldet haben. Nur fünftausend, von mindestens 15 Millionen Krisenopfern allein in NRW, keine brennenden Autos, die Mövenpick-Community konnte gefahrlos ihr Mövenpick erreichen.

Was die deutschen Leitmedien anmaßend die „griechische Krankheit“ nennen, erscheint anderen in Europa als „deutsche Krankheit“. Über die ursächlichen Zusammenhänge zwischen beiden ist in der EU ein handfester Krach ausgebrochen, in dem die deutschen Herrschaften ziemlich isoliert als brutale Ausbeuter dastehen. Und bei genauerem Hinsehen zeigen sich alarmierende Parallelen im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den südlichen und westlichen Nachbarländern einerseits – und zu den eigenen deutschen Kommunen andererseits.

Krisenopfer werden schuldig gesprochen

Eine kurze Zeit lang kennzeichneten auch bürgerliche Kommentare die Krise als spekulationsgetriebene Finanzmarktkrise. Zwar reduzierte sich die Kritik schnell auf moralische Entrüstung über die Profitgier einiger böser Banker und Hedgefondszocker. Da interessierte es die Ökonomenzunft nicht die Bohne – von ein paar linken Querköpfen abgesehen – dass es die asymmetrische Einkommensverteilung und Vermögenskonzentration bei den oberen Zehntausend ist, die die Spekulationsblasen füllt. Es interessierte auch kaum, wie die Niedriglohnpolitik bis hinunter in die Kommunen die Anhäufung der Spekulationsmasse befördert. Niemand – außer uns linken Querköpfen wie gesagt – untersuchte, wie auch die kommunale Haushaltspolitik die Krisenursachen verstärkt.

Erst vor ein paar Wochen entdeckte das Handelsblatt, was wir Dortmunder Linken schon vor mehr als einem Jahr in einer Broschüre schrieben: Viele städtische Kämmerer sind selbst zu Zockern geworden. Der ehemalige Dortmunder Kämmerer Pehlke, der bei uns mit den Zinswetten und dem Cross-Border-Leasing anfing, zockt inzwischen als Stadtwerke-Chef mit RWE-Aktien auf Pump. Genau solche Praktiken haben vor drei Jahren die Spekulationsblasen zum Platzen gebracht, und wie wir sehen, denken die Herrschaften gar nicht ans Aufhören. Den Finanzagenten geht es schon wieder blendend, und zwar vor allem dank der staatlichen Rettungsschirme, für die jetzt die kleinen Leute zur Kasse gebeten werden.

Anstelle der Verantwortlichen wirft man nun den Opfern der Umverteilungs- und Niedriglohnpolitik vor, sie hätten jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt, das griechische Volk ebenso wie die deutschen Kommunen, und das müssten sie jetzt wieder gut machen mit rabiaten Kürzungs- und Privatisierungsprogrammen. Das ist nicht nur ungerecht und zynisch, sondern obendrein ruinös.

Die sogenannte Schuldenkrise

Die Behauptung vom „über die Verhältnisse leben“ beweist die mainstream-Ökonomie gern, lang und breit mit der Verschuldung, sowohl des griechischen Staates als auch der deutschen Kommunen. In beiden Fällen steht die Wahrheit auf dem Kopf. Im griechischen Fall wuchs die Staatsschuld mit dem Außenhandelsdefizit, und dies folgt direkt – zwar nicht ausschließlich, aber vor allem – aus dem aggressiven deutschen Exportdruck, und der steht und fällt mit der deutschen Niedriglohnpolitik.

Im Fall der deutschen Kommunen schwoll die Schuldenlawine besonders ab dem Jahr 2000 mit Beginn der Währungsunion dadurch an, dass Bund und Länder den Kommunen immer mehr Pflichtaufgaben aufdrückten, aber die Mittel dafür nicht mitlieferten, sondern noch kürzten.

Dabei wird gern so getan, als seien Schulden an sich schon ein Verbrechen. Das ist nichts als demagogische Stimmungsmache. Sowohl bei Wirtschaftsunternehmen als auch bei Staaten und Kommunen kann externe Kapitalverstärkung durchaus positive Effekte haben. Dabei kommt es einzig und allein auf das Verhältnis der Fremdfinanzierung zur eigenen Leistungsprognose an, und dies Verhältnis wird vor allem strategisch-politisch bestimmt.

So macht es im Fall der Kommunen Sinn, die Verschuldung an die Investitionstätigkeit zu binden. Ich habe allerdings nie verstanden, wie Kommunalpolitiker es verantworten können – auch in Dortmund – binnen weniger Jahre die Kreditaufnahme auf das zwanzigfache der Investitionen explodieren zu lassen, um Löcher der laufenden Verwaltungsarbeit zu stopfen. Das ist doch geradezu eine Einladung an die Obrigkeit, den Strick noch enger zu ziehen, mit dem sie die kommunale Selbstverwaltung stranguliert. Sehen das unsere Stadtspitzen nicht, oder ist ihnen das Grundgesetz schon so egal? Es wird nur jeden Tag klarer, dass sie aus der Schuldenfalle nicht mehr aus eigener Kraft heraus kommen, ebenso wenig wie Griechenalnd – es sei denn sie verweigern ab sofort radikal ihre Mitwirkung in diesem schmutzigen Spiel.

 Wettbewerb im Kaputtsparen

Die meisten Menschen ahnen, dass diese Krise sich von allen vorangegangenen seit 1945 unterscheidet. Da kommt ja einiges zusammen: der globale Kollaps der Finanzmärkte, in der Folge Rekorddefizite sämtlicher öffentlicher Haushalte, und das alles vor dem Hintergrund knapper und teurer werdender Rohstoffe und explodierender Umweltreparaturkosten und und und.

Seit 80 Jahren hat es das nicht mehr gegeben: eine Krise, in der entwickelte Länder eins nach dem anderen zahlungsunfähig zu werden drohen. In der Bundesrepublik stehen Gebietskörperschaften, die von Rechts wegen gar nicht pleite gehen können, zu Hunderten vor der Verpfändung ihres gesamten Anlagevermögens. Zum erstenmal seit 1945 schrumpften im reichen Deutschland 2009 sogar die Bruttolöhne.

Diese Krise stellt uns vor eine grundlegend neue Aufgabe: Nicht nur die Griechen, sondern auch wir und sämtliche alten Industrieländer stehen vor dem Abschied vom gewohnten Wachstumsmodell. Auch unsere Politiker ahnen das, aber sie dürfen es ums Verrecken nicht zugeben. Daher verhalten sie sich jetzt wie das Orchester auf der Titanic: Bloß nicht aufhören, weiter zu spielen! Wachstum Wachstum über alles, über alles in der Welt.

Zur Katastrophe führt das aber, sobald sie versuchen, Wachstumseinbußen durch verschärften Wettbewerb auszugleichen. Das kann nur im kollektiven Ruin enden, zuerst bei den ärmeren Nachbarn, dann bei uns selbst. Das erleben wir gerade an der Art, wie Deutschland seinen Nachbarn Griechenland in Grund und Boden konkurriert. Und wir erleben es in den deutschen Kommunen, wie die sich gegenseitig kaputt konkurrieren.

Unsere Stadtspitzen scheinen der Parole zu folgen: „Augen zu und durch, irgendwann geht auch die schlimmste Krise zu Ende.“ Sie setzen weiter auf Stellenabbau in der Stadtverwaltung, Einkommenssenkungen, Privatisierungen und Leistungskürzungen, d.h. sie produzieren weitere Kaufkraftverluste. In der vagen Hoffnung, dass in ein paar Jahren die Wirtschaft wieder wächst. Wenn sie sich da mal nicht täuschen. Weil sie selbst aus dem Crash eine Depression gemacht haben. Dass ein prozyklischer Schrumpfkurs die Krise vertieft und verlängert, an diese Binsenweisheit erinnern sich offenbar nur noch linke Ökonomen.

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