Michael
Schlecht, MdB, wirtschaftspolitischer Sprecher DIE LINKE, Mitglied im
Parteivorstand – 8. April 2014:
Die
Euro-Krise ist vorbei, heißt es. Das ist ein Trugschluss. Jetzt kommt sie in
neuem Gewand: „Deflation“ heißt das Schreckgespenst, das mittlerweile auch die
Europäische Zentralbank (EZB) beunruhigt.
Deflation
bezeichnet eine Spirale aus sinkenden Preisen, sinkenden Unternehmensumsätzen
und –gewinnen, steigender Arbeitslosigkeit und sinkenden Löhnen. Ausgangspunkt
der aktuellen Warnungen ist die Entwicklung der Inflationsrate in der
Euro-Zone. Mit nur noch 0,5 Prozent liegt sie meilenweit unter dem Wert von
knapp unter 2,0 Prozent, den die EZB als „Preisstabilität“ definiert.
In einigen
Euro-Ländern sinkt das Preisniveau sogar, zum Beispiel in Griechenland und
Spanien. Das ist auch kein Wunder. Maßgeblich auf Druck der deutschen Regierung
wurden diese Länder gezwungen, sich strengen Kürzungsdiktaten zu unterwerfen.
Millionen Jobs wurden vernichtet und die Löhne der noch Arbeitenden zur
„Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ zusammengestrichen. Logische Folge: Die
gesamtgesellschaftliche Nachfrage sinkt. Damit wird die Konkurrenz unter den
Unternehmen härter. Sie können keine Preiserhöhungen durchsetzen, sondern
senken ihre Preise.
Macht sich
diese Bewegung selbstständig, herrscht Deflation, also ein sich selbst
verstärkender Zirkel nach unten: Mit den Preisen sinken Umsätze und Gewinne der
Unternehmen. Sie reagieren, indem sie Arbeitsplätze streichen und die Löhne
senken. Damit geht die Nachfrage weiter zurück, und der Druck auf die Preise
erhöht sich.
Darauf
reagieren Unternehmen und private Haushalte: In Erwartung noch weiter sinkender
Preise schieben sie Ausgaben auf. Konsum und Investitionen gehen zurück, die
Nachfrage schrumpft weiter. Und schließlich macht Deflation die Last für
Schuldner schwerer. Denn statt dass eine Inflation die Schulden schrittweise
entwerten würde, werten die Schulden real auf. Um ihre Haushalts-Ziele zu
erreichen, müssen Regierungen daher noch schärfer kürzen als ohnehin. Auch das
drückt die Nachfrage weiter nach unten.
Dass ein
solcher Teufelskreis droht, ist vor allem Schuld des deutschen Lohndumpings.
Seit 2000 ist die preisbereinigte Lohnsumme gerade einmal um 1,7 Prozent
gestiegen. Wäre sie gemäß der Produktivität gesteigert worden, hätte sie um 18
Prozent zulegen müssen. Mit diesem deutschen Lohnkostenvorteil präsentieren
sich viele andere Euroländer als nicht wettbewerbsfähig. Die Diagnose für den
herrschenden Mainstream, vor allem für Merkel lautet: Deutschland habe mit der
Agenda 2010 vorgemacht, wie Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden könne. Deshalb
wurden die anderen europäischen Länder gezwungen, sich nach dem deutschen
Vorbild auszurichten: Lohn- und Sozialkürzungen, faktisch der Export einer
verschärften Agenda 2010. Das Ergebnis: Deflationsgefahr.
Lange hat
die EZB diese unterschätzt. Doch jetzt ist sie alarmiert und überrascht. „Wir
sehen derzeit diese Gefahr zwar nicht, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht
besorgt sein sollten“, so formulierte es Draghi kürzlich. Der IWF wird dagegen
deutlicher: Seine Chefin Christine Lagarde warnte vor einer Phase zu niedriger
Inflation und rief die EZB zu einer „geldpolitischen Lockerung“ auf.
Das heißt,
dass sie die Euro-Banken mit noch mehr und noch billigerem Geld versorgen in
der Hoffnung, dass dadurch die Markt-Zinsen sinken, Unternehmen und Haushalte
mehr Darlehen aufnehmen, dadurch mehr Zahlungsfähigkeit entsteht und die
Nachfrage anzieht. Vieles spricht dafür, dass die EZB den Leitzins – der
allerdings bereits bei nur noch 0,25 Prozent liegt – weiter senken wird.
Außerdem könnte sie neue Mega-Kredite über lange Laufzeiten zu niedrigen Zinsen
an die Banken auflegen oder groß angelegte Käufe von Staatsanleihen
durchführen.
So wird die
EZB als Notmaßnahme dem Trend zur Deflation voraussichtlich begegnen.
Gleichzeitig werden sich vor allem Banken über noch billigeres Geld freuen und
dankbar ihre wackeligen Staatsanleihen bei der EZB – quasi als Bad Bank –
abladen.
Soll der
Euro gerettet werden, soll die Deflation verhindert werden, reichen keine
Notmaßnahmen der EZB. Vielmehr muss die Kürzungspolitik vor allem in den
südeuropäischen Ländern gestoppt und mit Aufbauprogrammen ihre Wirtschaft
wieder ins Laufen gebracht werden. Ein europäischer ’Marshallplan‘ in Höhe von
600 Milliarden Euro – finanziert durch eine Vermögensabgabe bei Millionären –
ist hierzu erforderlich.
Und
Deutschland muss die erdrückende „Wettbewerbsfähigkeit“ durch Stärkung der Binnennachfrage,
durch deutlich höhere Löhne und ein massives Investitionsprogramm des Staates
in den sozial-ökologischen Umbau abbauen.
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