Schlussteil meines Vortrags bei attac Dortmund „Die Mitverantwortung der Stadtpolitik an der Armut in Dortmund“
Die LINKE Dortmunder Ratsfraktion untersuchte vor
Ort den Umfang, gesellschaftlichen Nutzen und die Beschäftigungsbeiträge
von Initiativen und Verbänden der nicht-kommerziellen Selbsthilfe-Ökonomie.
Wirtschaftswissenschaftler fassen sie unter dem Begriff „2. Arbeitsmarkt“ zusammen. Weil die
allermeisten Projekte ohne öffentliche Fördermittel nicht überleben könnten,
nennen wir ihn treffender den Öffentlich
geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS).
Wir stellten fest: Auch heute in unserer
durchkapitalisierten, marktkonformen Gesellschaft gibt es einen breiten,
lebendigen, unverzichtbaren Sektor der Selbsthilfe, Nachbarschaftshilfe,
sozialer, ökologischer und kultureller Initiativen. Wir waren überrascht von
der Breite dieses Sektors und seiner Bedeutung für die Lebensqualität der
Dortmunder Bevölkerung:
Die von uns untersuchten Projekte bieten ca. 4.500 sozialversicherte
Arbeitsplätze, 1.300 "Arbeitsgelegenheiten" nach SGB II sowie fast
20.000 ehrenamtliche Tätigkeiten. Von unserer Stichprobe aus hochgerechnet
bietet der gesamte öffentlich geförderte Wirtschaftssektor in Dortmund 13.000 sozialversicherte Stellen und 40-
bis 50.000 weitere Beschäftigungsverhältnisse (in Teilzeit, Ehrenamt und
Eingliederungsmaßnahmen). Alles in allem können wir das effektive
Arbeitsvolumen des ÖBS in Dortmund heute
auf 50-60.000 Stellen veranschlagen.
Unsere Untersuchung ergab aber auch einen fast grenzenlosen Bedarf. Arbeit gibt
es mehr als genug. Vieles bleibt unerledigt liegen, weil es sich für
gewinnorientierte Unternehmen nicht "rechnet" und staatliche Mittel
dafür nicht zur Verfügung stehen. Gemessen am ungedeckten Bedarf an Betreuung,
Beratung, Kinder- und Jugendpflege, kulturellen und Bildungsprojekten,
Selbsthilfegruppen, Sozialkaufhäusern, Stadtteilentwicklung und Umweltschutz,
Zuverdienstwerkstätten könnte die
Beschäftigtenzahl des ÖBS glatt verdoppelt werden.
Es fehlt vor allem an öffentlicher Förderung und am
politischen Willen dazu. Die meisten von uns befragten Verbände und Projekte
wissen heute nicht, ob morgen das Geld noch reicht, um weiter zu arbeiten.
Fördermittel kommen heute zu >80% von EU-Bund-Land, nur 16% von der Stadt DO. Nur ein verschwindend geringer Anteil der
Projekte finanziert sich aus dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen, viele
kleinere überleben nur mit privaten Spenden. Die am häufigsten genannten
Forderungen der Projekte an die Politik sind daher:
Mehr Geld, mehr öffentliche Wertschätzung ihrer Arbeit, weniger
bürokratische Gängelung, Mindestlöhne!
Ergebnis: Arbeit anstatt Arbeitslosigkeit zu
fördern, ist sofort möglich. Unter
anderem durch Umwandlung sämtlicher
1-Euro-Jobs in tariflich bezahlte Vollzeitstellen. Wir rechneten nach, was
die ARGE Jobcenter DO auch schon herausfand: Wenn die Politik will, könnte sie
die 1-Euro-Jobs sofort kostenneutral
umwandeln, das heißt ohne Mehrkosten, sozialversichert und zum Mindestlohn von 10 €/h. Das wäre sozialer als die
menschenverachtenden Hartzgesetze.
Zögerliches Umdenken
Mit dem Wechsel an der Stadtspitze zum neuen OB
Sierau und zum neuen Wirtschaftsförderer Thomas Westphal macht sich nun ein
vorsichtiges Umdenken bemerkbar. Um
die Jahreswende 2011/12 brachte der Verwaltungsvorstand eine „Kommunale Arbeitsmarktstrategie 2015“ auf
den Weg.
Sie umfasste zunächst neun Beschäftigungsprojekte mit nicht mehr als 655 Stellen im
Jahresdurchschniit. Auch bei der Finanzierung des Programms brachen Sierau und
Kämmerer Stüdemann mit den Tabus der Langemeyer-Jahre und gingen den Weg, den
sowohl die LINKE als auch Sozialverbände seit langem fordern:
- Knapp die
Hälfte der Kosten (etwa 2,7 Mio € p.a.) sind durch Einsparung der Kosten der
Unterkunft (bei ALG 2) für die ins Programm aufgenommenen Arbeitslosen
abzudecken,
- Für den
Rest (3,5 Mio €) wurde die Gewerbesteuer angehoben.
Aber sogleich bremste eine große Koalition aller
marktgläubigen Ratsfraktionen den OB aus und kürzte seinen zaghaften Plan noch
mal auf die Hälfte zusammen. Nur die LINKE stimmte gegen die Kürzungen.
Immerhin trägt unsere jahrelange Propaganda für den ÖBS, an der Seite der
Wohlfahrtsverbände und Beschäftigungsinitiativen, erste Früchte, die Politik
bewegt sich allmählich.
Unsere Untersuchung zeigte allerdings auch, dass Vollbeschäftigung auf diesem Weg nur zu
finanzieren ist auf Grundlage einer wirklich durchgreifenden Gemeindefinanzreform, die der Kommune ermöglicht,
über die Kosten der Unterkunft hinaus noch mal doppelt soviel für ihre
Beschäftigungspolitik aufzuwenden. Das wären für Dortmund zusammen rund 480 Mio € oder etwa ein Viertel ihres
aktuellen Gesamthaushalts – also mehr als „Peanuts“!
Auch das wäre keine Utopie. Es würde nicht mal den
Kapitalismus sprengen. Es wäre nur die Rückkehr von der antisozialen, unsere
Grundlagen zerstörenden Plünderung des Gemeinwesens zum sozialen Kompromiss der
50er bis 70er Jahre, der unser sogenanntes „Wirtschaftswunder“ ermöglichte. Den
marktgläubigen Parteien geht dieser Kurswechsel heute offenbar schon in
Dortmund gegen den Strich, von Berlin und Brüssel gar nicht zu reden.
Doch wie im Leben der Menschen gibt es auch in der
Geschichte kein Zurück. Der Klassenkompromiss der Nachkriegsjahrzehnte lässt
sich nicht wieder herstellen, so wenig wie die Art Vollbeschäftigung, auf die
er sich damals gründete, die sich aus dem Wiederaufbau der kriegszerstörten
Produktionsbasis selbst ergab und mit diesem zu Ende ging.
Die zukünftige neue Art Vollbeschäftigung ist nur
auf nicht-marktkonformer Grundlage möglich, nämlich durch gezielte
staatlich-kommunale Beschäftigungspolitik am kapitalistischen Arbeitsmarkt
vorbei. Sie muss folglich von „außen“, von unten, von den Menschen selbst
erzwungen werden, als ein Baustein – neben anderen – einer humaneren
Gesellschaft.
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