Sonntag, 2. März 2014

DIE LINKE wirkt, Politik beginnt zu reagieren


Schlussteil meines Vortrags bei attac Dortmund „Die Mitverantwortung der Stadtpolitik an der Armut in Dortmund“

Die LINKE Dortmunder Ratsfraktion untersuchte vor Ort den Umfang, gesellschaftlichen Nutzen und die Beschäftigungsbeiträge von Initiativen und Verbänden der nicht-kommerziellen Selbsthilfe-Ökonomie. Wirtschaftswissenschaftler fassen sie unter dem Begriff  „2. Arbeitsmarkt“ zusammen. Weil die allermeisten Projekte ohne öffentliche Fördermittel nicht überleben könnten, nennen wir ihn treffender den Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS).

Wir stellten fest: Auch heute in unserer durchkapitalisierten, marktkonformen Gesellschaft gibt es einen breiten, lebendigen, unverzichtbaren Sektor der Selbsthilfe, Nachbarschaftshilfe, sozialer, ökologischer und kultureller Initiativen. Wir waren überrascht von der Breite dieses Sektors und seiner Bedeutung für die Lebensqualität der Dortmunder Bevölkerung:

Die von uns untersuchten Projekte bieten ca. 4.500 sozialversicherte Arbeitsplätze, 1.300 "Arbeitsgelegenheiten" nach SGB II sowie fast 20.000 ehrenamtliche Tätigkeiten. Von unserer Stichprobe aus hochgerechnet bietet der gesamte öffentlich geförderte Wirtschaftssektor in Dortmund 13.000 sozialversicherte Stellen und 40- bis 50.000 weitere Beschäftigungsverhältnisse (in Teilzeit, Ehrenamt und Eingliederungsmaßnahmen). Alles in allem können wir das effektive Arbeitsvolumen des ÖBS in Dortmund heute auf 50-60.000 Stellen veranschlagen.

Unsere Untersuchung ergab aber auch einen fast grenzenlosen Bedarf. Arbeit gibt es mehr als genug. Vieles bleibt unerledigt liegen, weil es sich für gewinnorientierte Unternehmen nicht "rechnet" und staatliche Mittel dafür nicht zur Verfügung stehen. Gemessen am ungedeckten Bedarf an Betreuung, Beratung, Kinder- und Jugendpflege, kulturellen und Bildungsprojekten, Selbsthilfegruppen, Sozialkaufhäusern, Stadtteilentwicklung und Umweltschutz, Zuverdienstwerkstätten könnte die Beschäftigtenzahl des ÖBS glatt verdoppelt werden.

Es fehlt vor allem an öffentlicher Förderung und am politischen Willen dazu. Die meisten von uns befragten Verbände und Projekte wissen heute nicht, ob morgen das Geld noch reicht, um weiter zu arbeiten. Fördermittel kommen heute zu >80% von EU-Bund-Land, nur 16% von der Stadt DO. Nur ein verschwindend geringer Anteil der Projekte finanziert sich aus dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen, viele kleinere überleben nur mit privaten Spenden. Die am häufigsten genannten Forderungen der Projekte an die Politik sind daher:

Mehr Geld, mehr öffentliche Wertschätzung ihrer Arbeit, weniger bürokratische Gängelung, Mindestlöhne!

Ergebnis: Arbeit anstatt Arbeitslosigkeit zu fördern, ist sofort möglich. Unter anderem durch Umwandlung sämtlicher 1-Euro-Jobs in tariflich bezahlte Vollzeitstellen. Wir rechneten nach, was die ARGE Jobcenter DO auch schon herausfand: Wenn die Politik will, könnte sie die 1-Euro-Jobs sofort kostenneutral umwandeln, das heißt ohne Mehrkosten, sozialversichert und zum Mindestlohn von 10 €/h. Das wäre sozialer als die menschenverachtenden Hartzgesetze.

Zögerliches Umdenken

Mit dem Wechsel an der Stadtspitze zum neuen OB Sierau und zum neuen Wirtschaftsförderer Thomas Westphal macht sich nun ein vorsichtiges Umdenken bemerkbar. Um die Jahreswende 2011/12 brachte der Verwaltungsvorstand eine „Kommu­nale Arbeitsmarktstrategie 2015“ auf den Weg.

Sie umfasste zunächst neun Beschäfti­gungsprojekte mit nicht mehr als 655 Stellen im Jahresdurchschniit. Auch bei der Finanzierung des Programms brachen Sierau und Kämmerer Stüde­mann mit den Tabus der Langemeyer-Jahre und gingen den Weg, den sowohl die LINKE als auch Sozial­verbände seit langem fordern:
-  Knapp die Hälfte der Kosten (etwa 2,7 Mio € p.a.) sind durch Einsparung der Kosten der Unterkunft (bei ALG 2) für die ins Programm aufgenom­menen Arbeitslosen abzudecken,
-  Für den Rest (3,5 Mio €) wurde die Gewerbesteuer angehoben.

Aber sogleich bremste eine große Koalition aller marktgläubigen Ratsfraktionen den OB aus und kürzte seinen zaghaften Plan noch mal auf die Hälfte zusammen. Nur die LINKE stimmte gegen die Kürzungen. Immerhin trägt unsere jahrelange Propaganda für den ÖBS, an der Seite der Wohlfahrtsverbände und Beschäftigungsinitiativen, erste Früchte, die Politik bewegt sich allmählich.

Unsere Untersuchung zeigte allerdings auch, dass Vollbeschäftigung auf diesem Weg nur zu finanzieren ist auf Grundlage einer wirklich durchgreifenden Gemeindefinanzreform, die der Kommune ermöglicht, über die Kosten der Unterkunft hinaus noch mal doppelt soviel für ihre Beschäftigungspolitik aufzuwenden. Das wären für Dortmund zusammen rund 480 Mio € oder etwa ein Viertel ihres aktuellen Gesamthaushalts – also mehr als „Peanuts“!

Auch das wäre keine Utopie. Es würde nicht mal den Kapitalismus sprengen. Es wäre nur die Rückkehr von der antisozialen, unsere Grundlagen zerstörenden Plünderung des Gemeinwesens zum sozialen Kompromiss der 50er bis 70er Jahre, der unser sogenanntes „Wirtschaftswunder“ ermöglichte. Den marktgläubigen Partei­en geht dieser Kurswechsel heute offenbar schon in Dortmund gegen den Strich, von Berlin und Brüssel gar nicht zu reden.

Doch wie im Leben der Menschen gibt es auch in der Geschichte kein Zurück. Der Klassenkompromiss der Nachkriegsjahrzehnte lässt sich nicht wieder herstellen, so wenig wie die Art Vollbeschäftigung, auf die er sich damals gründete, die sich aus dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Produktionsbasis selbst ergab und mit diesem zu Ende ging.

Die zukünftige neue Art Vollbeschäftigung ist nur auf nicht-marktkonformer Grundlage möglich, nämlich durch gezielte staatlich-kommunale Beschäftigungspolitik am kapitalistischen Arbeitsmarkt vorbei. Sie muss folglich von „außen“, von unten, von den Menschen selbst erzwungen werden, als ein Baustein – neben anderen – einer humaneren Gesellschaft.

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