Die Leitmedien und sonstigen politischen Meinungsmacher
bescheinigen der CDU ein Führungsdefizit. Sie sehen es darin, dass die
Parteispitze es nicht (mehr) schafft, alle Funktionsträger der Partei auf die
Einhaltung der offiziell beschlossenen Programmatik und Strategie zu
verpflichten. Dahinter steht das Dilemma, dass die letzte verbliebene
Volkspartei (die zwar nur noch ein Viertel des Wahlvolks auf ihrer Seite hat,
aber doch noch) eine Bandbreite
gesellschaftspolitischer Einstellungen und Strömungen repräsentieren,
d.h. auch in ihrer Mitgliedschaft verkörpern muss, die in Zeiten zunehmender
gesellschaftlicher Polarisierung die Partei selbst vor Zerreißproben stellt.
Diese sind mit Machtworten von oben, Unvereinbarkeitsbeschlüssen u.ä. nicht
mehr zu beherrschen.
Nur selten und äußerst oberflächlich wird in der
öffentlichen Debatte darauf eingegangen, welches denn die gesellschaftlichen
Ursachen für die innerparteilichen Fliehkräfte sind. Da geht es angeblich nur
darum, die nach rechts Abwandernden wieder einzufangen bzw. auf Linie zu
halten. Zu diesem Zweck sei die von Angela Merkel verschuldete
"Sozialdemokratisierung" der Partei rückgängig zu machen und die
Partei insgesamt mehr nach rechts zu rücken.
Aber geht es nur darum, die "Brandmauer" gegen die
AfD zu verstärken? Das eigentliche Dilemma der CDU reicht tiefer und ist kein
Problem des Führungspersonals allein, sondern betrifft die gesamte Partei. Es
besteht darin, dass die CDU einer Programmatik folgt, die von den
gesellschaftlichen Entwicklungen in der BRD und der Welt längst überholt wurde
und in den Papierkorb gehört. Es war Dietmar Bartsch, der darauf hinwies, die
CDU stecke noch in den Gräben des Kalten Krieges fest.
Tatsächlich war es Merkels Strategie, mit ein paar kleinen
sozialen Zugeständnissen den Anschein zu erwecken, als sei eine SPD nun
überflüssig und Sozialpolitik bei der CDU besser aufgehoben. Was die Schwächung
der SPD anbelangt war diese Strategie durchaus erfolgreich. Aber sie musste
unvermeidlich den wachsenden Unwillen und Widerstand des gehobenen Bürgertums
bei der CDU provozieren.
Und tatsächlich gab die Merkel-Strategie keine ausreichende
Antwort auf die Existenzfrage, auf welche Seite die CDU sich in den sich
verschärfenden Klassenwidersprüchen künftig stellen will. Es reicht ja nicht
aus, die Globalisierung als epochale Errungenschaft zu feiern und die
Abschaffung des Nationalstaats nach Kräften zu forcieren. Es reicht ja nicht
aus, die Digitalisierung des gesamten Lebens für unausweichlich zu erklären und
staatlich zu verwalten. Es reicht nicht aus, die dramatisch fortschreitende
ökonomisch-soziale Spaltung der Gesellschaft stillschweigend zu befördern. Es
reicht nicht aus, der Klimakatastrophe mit faulen Kohlekompromissen begegnen zu
wollen. Und so weiter.
Wenn die CDU auf solche Zukunftsfragen keine
zeitgemäßen Antworten findet, die ihren eigentlichen Markenkern weiter
entwickeln in eine ökologisch-sozial modernisierte Fassung des
"rheinischen Kapitalismus", dann werden ihre Flügel und
Strömungen zwischen Grünen und AfD weiter auseinander driften und einem postdemokratischen Obrigkeitstaat
den Weg bereiten.
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