Montag, 17. Februar 2020

Das Dilemma der CDU

Die Leitmedien und sonstigen politischen Meinungsmacher bescheinigen der CDU ein Führungsdefizit. Sie sehen es darin, dass die Parteispitze es nicht (mehr) schafft, alle Funktionsträger der Partei auf die Einhaltung der offiziell beschlossenen Programmatik und Strategie zu verpflichten. Dahinter steht das Dilemma, dass die letzte verbliebene Volkspartei (die zwar nur noch ein Viertel des Wahlvolks auf ihrer Seite hat, aber doch noch) eine Bandbreite  gesellschaftspolitischer Einstellungen und Strömungen repräsentieren, d.h. auch in ihrer Mitgliedschaft verkörpern muss, die in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung die Partei selbst vor Zerreißproben stellt. Diese sind mit Machtworten von oben, Unvereinbarkeitsbeschlüssen u.ä. nicht mehr zu beherrschen.
Nur selten und äußerst oberflächlich wird in der öffentlichen Debatte darauf eingegangen, welches denn die gesellschaftlichen Ursachen für die innerparteilichen Fliehkräfte sind. Da geht es angeblich nur darum, die nach rechts Abwandernden wieder einzufangen bzw. auf Linie zu halten. Zu diesem Zweck sei die von Angela Merkel verschuldete "Sozialdemokratisierung" der Partei rückgängig zu machen und die Partei insgesamt mehr nach rechts zu rücken.
Aber geht es nur darum, die "Brandmauer" gegen die AfD zu verstärken? Das eigentliche Dilemma der CDU reicht tiefer und ist kein Problem des Führungspersonals allein, sondern betrifft die gesamte Partei. Es besteht darin, dass die CDU einer Programmatik folgt, die von den gesellschaftlichen Entwicklungen in der BRD und der Welt längst überholt wurde und in den Papierkorb gehört. Es war Dietmar Bartsch, der darauf hinwies, die CDU stecke noch in den Gräben des Kalten Krieges fest.
Tatsächlich war es Merkels Strategie, mit ein paar kleinen sozialen Zugeständnissen den Anschein zu erwecken, als sei eine SPD nun überflüssig und Sozialpolitik bei der CDU besser aufgehoben. Was die Schwächung der SPD anbelangt war diese Strategie durchaus erfolgreich. Aber sie musste unvermeidlich den wachsenden Unwillen und Widerstand des gehobenen Bürgertums bei der CDU provozieren.
Und tatsächlich gab die Merkel-Strategie keine ausreichende Antwort auf die Existenzfrage, auf welche Seite die CDU sich in den sich verschärfenden Klassenwidersprüchen künftig stellen will. Es reicht ja nicht aus, die Globalisierung als epochale Errungenschaft zu feiern und die Abschaffung des Nationalstaats nach Kräften zu forcieren. Es reicht ja nicht aus, die Digitalisierung des gesamten Lebens für unausweichlich zu erklären und staatlich zu verwalten. Es reicht nicht aus, die dramatisch fortschreitende ökonomisch-soziale Spaltung der Gesellschaft stillschweigend zu befördern. Es reicht nicht aus, der Klimakatastrophe mit faulen Kohlekompromissen begegnen zu wollen. Und so weiter.
Wenn die CDU auf solche Zukunftsfragen keine zeitgemäßen Antworten findet, die ihren eigentlichen Markenkern weiter entwickeln in eine ökologisch-sozial modernisierte Fassung des "rheinischen Kapitalismus", dann werden ihre Flügel und Strömungen zwischen Grünen und AfD weiter auseinander driften und einem postdemokratischen Obrigkeitstaat den Weg bereiten.

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