Beitrag zum Workshop „Digitalisierung/ Smart City“ der Ratsfraktion
Die LINKE&Piraten Dortmund
Die effiziente Produktion und Verteilung von Gütern sind
gerade keine besonderen Vorzüge der Marktwirtschaft. Zwar hämmert uns die
herrschende Marktideologie ständig
ein, am Beginn allen Wirtschaftens stehe der Eigennutz des Individuums,
folglich sei Konkurrenz das natürliche Funktionsprinzip menschlicher
Gesellschaften, folglich der Kapitalismus die effizienteste Gesellschaftsstruktur,
weil auf privatem Eigentum an den Produktionsmitteln und Konkurrenz basierend,
und folglich sei der Markt die effizienteste Methode der Bedürfnisbefriedigung
---
--- doch diese Ideologie entspricht weder den historischen
Tatsachen noch unserem alltäglichen Erleben. Gesellschaft entwickelt sich nicht
aus individuellem Eigennutz, sondern aus der Kooperation und mit dieser. Kooperation, die Produktivität des
gemeinsamen Schaffens ist die Quelle, ohne die es die Menschheit gar nicht
gäbe. Tatsächlich beruhen wesentliche Bereiche unserer alltäglichen
Daseinsvorsorge auf dem Prinzip der Kooperation und des Netzwerks.
Und nun stärkt die digitale Vernetzung zwei Triebkräfte der Entwicklung, die sich nicht nur als Kapital in
Geld ausdrücken lassen - es war übrigens Karl Marx, der das herausfand:
- Zum einen
die arbeitsteilige Kooperation,
- zum anderen
Wissen, Information und Wissenschaft,
diese beiden Produktivkräfte erscheinen uns heute zwar als Eigenschaft des Kapitals, dessen Eigentümer
sie sich zunutze macht – aber keine von beiden gehört rechtmäßig zu seinem
Eigentum wie Maschinen, Grundstücke, Waren. Der Kapitalist verfügt über sie nur
in dem Maß, wie er sie an sein Eigentum an Produktionsmitteln binden kann.
Auch „Wissen ist
Macht.“ Wissen erwerben und mit anderen arbeitsteilig kooperieren kann
jeder arbeitsfähige Mensch. Eine der größten Veränderungen durch
Digitalisierung ist die Öffnung des Zugangs zu Kultur und Bildung. Es findet
eine Demokratisierung von Wissen
statt.
Und in einer Gesellschaft, in der die Wertschöpfung in hohem
Maß von der Wissenschaft, vom gesellschaftlichen Informationsniveau, vom
allgemeinen Bildungsstand abhängt, in einer solchen Gesellschaft wird, wie Marx
es kommen sah, „die Schöpfung des
Reichtums unabhängig von der auf sie angewandten Arbeitszeit“. – Und wird
somit unabhängig von der
Kapitalverwertung. Eine Gesellschaft, in der Information (= geteiltes
Wissen) zur wichtigsten Produktivkraft wird, lässt sich nicht mehr an’s
Privateigentum fesseln.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Elinor Ostrom kam schon vor einigen Jahren zu dem Ergebnis, dass
für eine nachhaltige Bewirtschaftung von Gemeingütern – Commons - die Kooperation der Betroffenen effizienter ist als
staatliche Kontrolle und auch effizienter als das privatkapitalistische
Eigentum – für ihre Forschung über eine Ökonomie jenseits von Markt und Staat
erhielt sie 2009 den Nobelpreis.
Während linke Strategien des 20. Jahrhunderts sich vor allem auf die Lohnarbeit stützten, kann
die Linke des 21. Jahrhunderts
verstärkt auf die Produktivität der Gemeingüter setzen, die kürzere Arbeits-
und längere Lebenszeiten, eine ökologischere Produktion und insgesamt ein
besseres Leben für alle möglich machen.
Die Veränderungen finden bereits direkt vor unseren Augen statt. Das Industrieproletariat, der Kern der Arbeiterklasse,
verändert sich. Ausbildung und Arbeitsorganisation haben sich für viele schon
verändert. Wie wir gestern hörten, führt die Vernetzung von Produktionslinien
einerseits sowohl zur Vernichtung
von noch mehr Einfacharbeitsplätzen
als auch zur Ausbreitung des Typus "Freelancer", des
scheinselbständigen „Click“- oder „Crowdworkers", des nicht mehr
lohnabhängigen, aber weiterhin von übermächtigen Auftraggebern abhängigen Arbeitskraft-Unternehmers. Diese
Abhängigkeitsstruktur wird durch die Digitalisierung noch verstärkt. Schlagworte dazu sind Cloudsourcing
(Teilarbeiten werden im Netz ausgeschrieben) und Crowdworking (Arbeitsgruppen
werden im Netz gebildet, möglicherweise ohne sich jemals persönlich zu
treffen).
Die Jobs, die u.a.
in der Computer- und Roboterbranche entstehen, können die Jobvernichtung
keineswegs kompensieren. Das betrifft in Dortmund tendenziell 30.000 Einfacharbeitsplätze,
besonders im Dienstleistungssektor. Die Fahrer von Liefer- und Zustelldiensten
tragen derzeit am radikalsten die Konsequenzen der digitalen Revolution. Wer
behauptet, Erwerbslosigkeit und Prekarisierung würden durch das Konzept „Smart
City“ vermindert, der lügt.
Aber nicht nur die
Struktur der Arbeiterklasse wird die Digitalisierung einschneidend verändern,
sondern auch die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse. Schon jetzt verliert
Dortmund jährlich an die 600 Kleinunternehmen, während die Zahl der Unternehmen
insgesamt stagniert. Da kleinere Betriebe Modernisierungsinvestitionen viel
schwerer bewältigen als größere, wird die Digitalisierung den Verdrängungsprozess
deutlich verstärken.
Politisch ist deshalb zu fordern, dass die
Wirtschaftsförderung der Stadt zusammen mit der ARGE und der Arbeitsagentur ein
Monitoring aufbaut, das die
Digitalisierungsfolgen beobachtet, um in der "Allianz Smart City Dortmund"
mit der lokalen Wirtschaft Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit, Prekarisierung und
zur Sicherung von Selbständigen und Kleinbetrieben zu ergreifen.
Nicht zuletzt müssen wir radikale Arbeitszeitverkürzungen fordern. Konkret:
- das Recht auf befristete Teilzeit und eine kurze Vollzeit,
die auf die 30-Stunden-Woche zuläuft,
- das Recht auf Sabbaticals
im Lauf des Erwerbslebens – solche Auszeiten sind gut gegen stressbedingte
Krankheiten und für Weiterbildung/Qualifizierung bzw. berufliche
Neuorientierung.
- das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit und einen echten Feierabend.
- das Recht auf Weiterbildung,
besonders in neuen Technologien.
Auf längere Sicht ist zu erwarten, dass das anwachsende,
hochqualifizierte Prekariat der "Clickworker" eigene gewerkschaftliche und politische Interessenvetretungen
entweder in Besitz nimmt oder neu schafft, und zwar weitgehend international
vernetzt. Das verdient unsere volle Unterstützung, in engem Kontakt mit der
Dienstleistungsgewerkschaft VERDI.
Die digitale Technologie führt aber auch zur Entstehung
freier, kooperativer Geschäftsmodelle
außerhalb des Marktmechanismus.
Heute sind gut 50 Prozent der Weltbevölkerung (3,5 Milliarden Menschen)
elektronisch vernetzt. Daraus folgen schon weltweit Ansätze einer "Allmende-Produktion". Zuerst
im Bereich der Information selbst. In Netzwerken, in denen kostenlose Informationsgüter die kommerziell erzeugten verdrängen.
Mehr und mehr auch darüber hinaus in
Dienstleistungssektoren, Energieversorgung, Handwerk, Landwirtschaft usw. Das
bedeutet zum Beispiel, gezielt Genossenschaften
zu stärken und insgesamt das Ausprobieren anderer Formen von Eigentum und Wirtschaften zu fördern.
Ein Beispiel in
unserer Nähe: Allein die stark von Digitalisierung geprägte Kreativwirtschaft
ist ein riesiger Sektor geworden. 2014 hat in Deutschland knapp eine
Viertelmillion Unternehmen (249.000) mit über einer Million Erwerbstätigen 146
Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet.
Technologisch sind
wir auf dem Weg zu enormen Produktivitätsfortschritten, zur Automatisierung
belastender und entnervender Arbeit und zu fast kostenlosen Gütern.
– Gesellschaftlich
sind wir noch Gefangene einer Welt, die von Krisen, vermachteten Märkten und
der Ausbreitung prekärer Armutsjobs beherrscht ist.
Der entscheidende
innere Widerspruch des heutigen Kapitalismus ist der zwischen der Möglichkeit
kostenloser, allen verfügbarer Allmendeprodukte einerseits – und einem System
von Großkonzernen, Banken und Regierungen, die versuchen, ihre Kontrolle über
die Informationen aufrecht zu erhalten.
Das historische
Ziel, auf das die Digitalisierung zutreibt, ist also nicht die Abschaffung der
Arbeit, sondern die Befreiung des
schöpferischen Menschen vom Zwang zur Lohnarbeit. Die Digitalisierung
eröffnet die Möglichkeit einer solidarischen
Ökonomie, die die kapitalistische Verwertungslogik aufbricht.
Politisch geht es heute um eine öffentlich organisierte Infrastruktur, die es ermöglicht, dass sich
die Keimzellen einer neuen Ökonomie der Kooperation entwickeln und alle Menschen daran teilhaben können.
Eine intelligente Stadtpolitik von links kann und muss die
Digitalisierung städtischer Infrastrukturen verbinden mit ihrer Vergesellschaftung und Demokratisierung.
Statt in Expertenteams über rein technikzentrierte
Innovationen zu fachsimpeln, müssen wir die Auseinandersetzung suchen, wem
eigentlich die Stadt und ihre Infrastrukturen gehören, und wer unter welchen
Bedingungen an stadtpolitischen Entscheidungen teilnehmen kann.
Also: Stadt für alle,
die in ihr leben.
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