Seminar der Ratsfraktion DieLINKE&Piraten Dortmund, Februar 2017 - 2.Folge
Ohne uns hier in die Details des Haushaltsplans vertiefen zu
können, wollen wir am Beispiel Dortmund einige typische Trends der
Haushaltsentwicklung aufzeigen. Dazu fasse ich die wichtigsten Ergebnisse der
ersten zehn Jahre im NKF zusammen.
Ungeachtet aller Buchführungsfinessen bleibt die Nagelprobe
auf jeden öffentlichen Haushalt der schlichte Vergleich von Einnahmen und
Ausgaben.
- Erstes Ergebnis: Die „ordentlichen Erträge“ bleiben Jahr
für Jahr um –zig Millionen Euro hinter den „ordentlichen Aufwendungen“ zurück,
kumuliertes Defizit in 10 Jahren: 858 Mio € (durchschnittlich 78 Mio € jährlich,
bei einem Haushaltsvolumen von aktuell ca. 2.300 Mio €).
- Dies Defizit schmolz das Eigenkapital ab: von knapp 2,5
Mrd € auf 1,6 Mrd € (-914 Mio €). Wenngleich das kommunale „Eigenkapital“ nur eine fiktive Rechengröße ist, verdeutlicht sein Schrumpfen eine
dramatische Schieflage der Kommunalfinanzen. Diese Entwicklung verweist auf die
permanente – und politisch gewollte – Unterfinanzierung der Kommunen durch den
Staat. Seit vielen Jahren werden die Kommunen von Bund und Ländern systematisch
ausgeblutet. Alle Steuersenkungen der letzten Jahrzehnte gingen und gehen vor
allem zu Lasten der Kommunen. Auf der anderen Seite bekamen die Gemeinden immer
mehr Pflichtaufgaben übertragen, aber nicht die nötigen Geldmittel dafür
(Verletzung des Konnexitätsprinzips).
- Nun stellt das Eigenkapital wie gesehen nur eine fiktive
Rechengröße dar – der Fehlbetrag zwischen Erträgen und Aufwendungen aber ist real
und muss real ausgeglichen werden. Dies geschieht mit zwei Methoden: zum einen
über die Verringerung („Wertberichtigung“) des Anlagevermögens (siehe den 4.
Block dieses Seminars). Zum andern durch Aufnahme von Krediten zum
Haushaltsausgleich. Das permanente Defizit ließ parallel die Verschuldung der
Stadt – vor allem bei Privatbanken – anschwellen: um 758 Mio € auf über 2,3 Mrd
€. Seit 2010 übersteigt der Schuldenstand das Eigenkapital. (Auf die Struktur
der Schulden gehen wir ebenfalls später ein.) Jeder Dortmunder Einwohner steht
heute über die Stadtkasse mit knapp 4.000 € bei Banken in der Kreide und zahlt
dafür mit seinen Steuern jährlich rund 100 € an Zinsen.
Beide Methoden des Haushaltsausgleichs, die Vernichtung von
Anlagevermögen und die Kreditaufnahme am Kapitalmarkt zusammen bilden gleichsam
eine gigantische Maschine zur schrittweisen Enteignung der Stadtbewohner, zur Umverteilung
von Ressourcen des Gemeinwesens Stadt nach „oben“, auf private Vermögenskonten.
Obschon den Stadtbewohnern individuell kein Cent am Vermögen ihrer Stadt eigen ist,
wird ihnen auf diesem Weg Jahr für Jahr mehr von ihrem Kollektiveigentum enteignet.
Die Kommunalverbände sprechen von einer „Vergeblichkeitsfalle“, der die
Kommunen aus eigener Kraft nicht entkommen können. Vergeblich fordern sie auch
seit Jahrzehnten eine grundlegende Gemeindefinanzreform.
Auswirkungen der chronischen Unterfinanzierung sind in den
Haushaltsberatungen vor allem an zwei regelmäßig wiederkehrenden Vorgängen
belegbar:
- Seit 2009 erfolgt jedes Jahr eine Spar- und Kürzungsrunde
(früher „Konsolidierungsrunden“, neuerdings „Memorandum“ genannt). Kumuliert wurden
bis 2016 mehr als 200 Mio € an Leistungen der Stadt für ihre Bürger gestrichen
– und das trotz der gleichzeitigen Explosion des privaten Reichtums.
- Die Zahl der Beschäftigten der Stadtverwaltung wuchs zwar
in 10 Jahren von 5.114 auf 6.360 Stellen (vzv.), aber bei weitem nicht
proportional zum Aufgabenvolumen. Infolgedessen kommt es an allen Ecken und
Enden zu teilweise dramatischen Engpässen bei der Aufgabenerledigung, zu
weiteren indirekten Leistungskürzungen
für die Bürger, zu Überlastungen der Beschäftigten und (aufgrund wiederholter
Einstellungsstopps) zur „Überalterung“ des Personals.
Ein Überblick über die Struktur der Aufwendungen markiert einige
Knackpunkte der Dortmunder Haushaltsplanung, zu denen linke Politik sich
verhalten muss:
- Den größten Aufwandsposten bilden – wie in allen Ruhrgebietsstädten – die
Sozialleistungen, mit etwa einem Viertel des ganzen Haushaltsvolumens, ihr
Anteil steigt deutlich überproportional (2009: 18,8 % - 2016: 23,3 %). Darin
der dickste Brocken sind die Sozialtransferleistungen (KdU, GruSi, Kinder- und
Jugendhilfe u.a., 2016: 453 Mio €), ebenfalls mit überproportionalem Wachstum (2010:
+1,8% – 2016: +7,2%).
- Die größte Steigerung erfuhr der Bereich Kinder-, Jugend- und
Familienhilfe, mit einem Zuwachs von durchschnittlich +10,6 % pro Jahr lagen
die Ausgaben hierfür weit über dem Anstieg des Haushalts insgesamt (durchschnittliches
Wachstum +3,9 % p.a.).
- In „Leuchtturm“projekte - U-Turm, Konzerthaus, Flughafen, Phoenixsee,
„Boulevard Kampstraße“ u.a - hat die Stadt fast soviel investiert, wie sie an
Schulden aufnahm: ca. 570 Mio €. Hinzu kommen die laufenden Betriebskosten
von jährlich ca. 50 Mio €.
Betriebswirtschaftlich würde sich das nur rechnen, wenn diese Aufwendungen zu
entsprechenden Erträgen führten, aber diese decken bei weitem nicht einmal die
jährlich auflaufenden Betriebskosten der Anlagen ab.
- Dagegen bleiben die Investitionen in die notwendige städtische
Infrastruktur mit durchschnittlich 6,3 % des Gesamthaushalts weit hinter den tatsächlichen
Erfordernissen zurück (durchschnittliches Wachstum +5,2 % p.a.). Das führt zu
maroden Straßen, einem riesigen Sanierungsstau bei der Kanalisation,
stagnierendem öffentlichem Wohnungsbau usw. Die Gegenüberstellung der Investitionen
in die Infrastruktur (in 10 Jahren kumuliert: 1,1 Mrd €) einerseits und der
Luxusinvestitionen in Leuchttürme und Events andrerseits (570 Mio €) zeugt von
einer elitären, unseriösen Haushaltspolitik unter dem Leitmotiv: "Nach uns die Sintflut."
(Fortsetzung folgt)