Mittwoch, 30. September 2015

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Stadtwerke-Chef verzockte Milliarden und wird wieder gewählt


Nach der Selbstdarstellung der Dortmunder Stadtwerke „war sich der Aufsichtsrat einig“, dass der Vorstandschef Guntram Pehlke „hervorragende Arbeit abliefert“ und bestätigte ihn daher am Dienstag für weitere fünf Jahre im Amt. Das war eine bewußte Falschmeldung: Die AR-Mitglieder der Linken sowie der FDP haben sich bei der Wahl enthalten, die Grünen haben abgelehnt.

Warum haben wir uns enthalten?

Auch wenn Stadtwerke privatrechtlich als Aktiengesellschaft firmieren wie in Dortmund, müssten deren Vorstände und Aufsichtsräte eigentlich dem Gemeinwohl verpflichtet sein. Das ist bei den Dortmunder Stadtwerken ganz und gar nicht der Fall. Obwohl die DSW21 AG zu hundert Prozent der Stadt gehört, zockt Vorstandschef Pehlke  mit dem Geld der Dortmunder Bürger wie ein Großspekulant am Kapitalmarkt. Und ließ sich mehrere milliardenschwere Fehlspekulationen zuschulden kommen.

Darunter:
-die Anhäufung von immer mehr heute fast wertlosen RWE-Aktien bei den Stadtwerken,
-die Entscheidung, in das RWE-Pannenkraftwerk Gekko zu investieren
-und die Zustimmung zur weiteren Beteiligung von RWE an der Dortmunder Energie- und Wasserversorgung, der hoch profitablen Stadtwerke-Tochter DEW21.
Mit all dem hat er der Stadt Dortmund Schäden von Hunderten Millionen Euro zugefügt, und die könnten mit dem weiteren Niedergang von RWE noch mehr werden. Faktisch handelt er wie der Statthalter von RWE in Dortmund (neben dem OB Sierau). Und das macht ihn faktisch auch zum Gegner der Energiewende (siehe das Kohlekraftwerk Gekko).

Um die Stadtwerke herum hat er ein weit verzweigtes Imperium von Beteiligungen aufgebaut, in dem er das Sagen hat: Geschäftsführer von drei weiteren Gesellschaften, Aufsichtsratsvorsitzender der Gelsenwasser AG, der STEAG, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke Schwerte GmbH. Dies alles weitgehend außerhalb öffentlicher Beobachtung und Kontrolle. Denn eine Aktiengesellschaft ist per Gesetz vor den Augen der Bürger weitgehend abgeschirmt, und auch die Mehrheit der Ratsmitglieder im DSW-Aufsichtsrat hat, statt Pehlkes Abenteuerkurs zu stoppen, alle Fehlspekulationen mit zu verantworten.

Wir dürfen und wollen Pehlke auch nicht verzeihen, dass er als Stadtkämmerer, kurz vor seinem Wechsel auf den Chefsessel der Stadtwerke, Dortmunds Stadtbahnen und –anlagen sowie die Westfalenhallen an US-amerikanische Finanzhaie verschacherte, was die Stadt auf Generationen hinaus mit vielen Millionen Schadenersatzrisiken belastet.

Warum haben wir ihn nicht abgelehnt, sondern uns enthalten?

Trotz seiner spekulativen Abenteuer hat Pehlke sich immer öffentlich gegen Versuche gestellt, die Stadtwerke und ihre Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge zu privatisieren. Selbst die Beteiligung von RWE an DEW21 hätte er lieber beendet, um die ganze Dividende aus dem Strom- und Gasgeschäft den Stadtwerken gut zu schreiben, beugte sich dann jedoch dem hohen Abfindungsanspruch von RWE sowie dem politischen Druck der RWE-Lobbyisten in Rat und Stadtverwaltung.

Pehlkes eindeutige Positionierung zugunsten der öffentlichen Daseinsvorsorge in kommunaler Verantwortung liegt nicht nur im Interesse der Bürger, sondern besonders auch der Beschäftigten der Stadtwerke für die Sicherung ihrer Arbeitsplätze.
Mit einem anderen Vorstandsvorsitzenden würde das Risiko einer schrittweisen Privatisierung der Stadtwerke evtl. größer.

Mittwoch, 23. September 2015

Zwischenstopp auf dem Weg in ein anderes Europa


Griechenland benutzen die europäischen Machthaber als Versuchskaninchen dafür, was man einem zivilisierten Land mitten im zivilisierten Teil der Welt unterhalb der Schwelle des gewaltsamen „regime change“, allein mit dem Knüppel der Kreditabhängigkeit, an politischer Bevormundung, sozialer Verelendung und nationaler Entwürdigung aufzwingen kann. Griechenland hat sich dem Zwang gebeugt, die europäische Bourgeoisie kann zunächst mit dem Ergebnis zufrieden sein.

Griechenland ist zugleich Versuchskaninchen für die Durchsetzung eines europäischen Wirtschaftsmodells, das mittels Lohn- und Sozialdumping ganze Volkswirtschaften auf die Verwertungsbedürfnisse des mächtigsten, aggressivsten Kapitalblocks zurichtet. Auch dieser Versuch scheint zunächst zugunsten des Kapitals auszugehen. Das Land ist zu klein, zu schwach, um sich allein aus eigener Kraft aus dem Zangengriff der Gläubiger zu befreien.

Die Wahl vom 20.September hat nochmals bestätigt, wie die Griech-innen selbst ihre Lage einschätzen: Das soziale Elend zu tief, die Wirtschaft zu abhängig von internationalen Kreditoren und Investoren, das politische System zu ineffektiv, das Selbstvertrauen zu lädiert zum Aufstand.

Ein Ausweg aus der griechischen Misere kann folglich nur auf gesamt-europäischer Ebene liegen. Doch gerade auf dieser Ebene hat die griechische Krise offenbart, dass das – maßgeblich von deutscher Seite durchgesetzte – Wirtschaftsmodell für Europa nicht funktioniert und über kurz oder etwas länger scheitern muss und wird. Ein Modell, das im Namen des „Wettbewerbs“ die Stärksten auf Kosten der Schwächeren immer übermächtiger macht, bringt zwangsläufig Widersprüche zwischen den Nationen und in ihren Gesellschaften hervor, die alle frommen Wünsche und schon erreichten Ansätze zur europäischen Integration zerstören.

Weder hilft dagegen das ängstliche Festhalten an diesem zum Scheitern verurteilten Modell, noch muss uns sein Scheitern zur Verzweiflung treiben. Kennen wir doch seit Hegel die Gesetzmäßigkeit, nach der Geschichte sich vollzieht: Neues erwächst immer aus der praktischen Kritik des Bestehenden. Auch wenn heute kaum zu ahnen ist, welche politischen Kräfte die Stärke gewinnen können, das „Imperium Schäuble“ zu überwinden: Dessen innere Widersprüche werden sie zwangsläufig hervorbringen. Wie jedes Imperium vor ihm wird auch dies besiegt werden und einem demokratischeren, sozialeren, solidarischeren Europa weichen müssen.

Die griechische Wahl vom 20.September hat nicht mehr erreicht als den Status quo zu verteidigen. Nicht mehr – doch das ist nicht wenig: Sie hat uns nochmals Zeit verschafft, die Opposition gegen das Europa der EZB und des BILD-Chauvinismus zu organisieren. Die Opposition muss auf gesamt-europäischer Ebene heranwachsen, hat aber ihre Wurzeln in den Gesellschaften der einzelnen Länder.

Der gemeinsame Aufruf „Ein Plan B für Europa“ von Yannis Varoufakis, Zoe Konstantopoulou, Jean-Luc Mélènchon, Stefano Fassina und Oskar Lafontaine (ND 12.09.15) liefert dafür eine brauchbare Plattform. Vorausgesetzt, man liest ihn nicht von vorn herein absichtlich diffamierend als Plan zum Euro-Austritt. Die Kernaussagen des Aufrufs:

„Die Europäische Union ist zur Vertreterin eines extrem rechten Ethos geworden sowie zu einem Werkzeug, um demokratische Kontrolle über Produktion und Verteilung in Europa auszuhebeln. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat es klar gesagt: „Es kann keine demokratische Wahl gegen die europäischen Verträge geben“.
Wir sind entschlossen mit diesem „Europa“ zu brechen. Wir müssen dem Irrsinn und der Unmenschlichkeit der aktuellen europäischen Verträge entkommen und sie von Grund auf erneuern, um die Zwangsjacke des Neoliberalismus abzustreifen, den Fiskalpakt aufzuheben und TTIP zu verhindern. Dies ist unser Plan A: Wir werden alle in unseren Ländern, und alle zusammen überall in Europa, auf eine vollständige Neuverhandlung der europäischen Verträge hinarbeiten.
Bis diese Neuverhandlung erreicht ist, beteiligen wir uns in einer Kampagne des europäischen zivilen Ungehorsams gegenüber willkürlichen, europäischen Praktiken und irrationalen „Regeln“ an den Kämpfen der Europäerinnen und Europäer überall in Europa.
Angesichts dieser Erpressung benötigen wir unseren eigenen Plan B als Abschreckung gegen den Plan B, den Europas reaktionärste und anti-demokratische Kräfte verfolgen.
Wenn der Euro nicht demokratisiert werden kann, wenn sie weiter darauf bestehen, den Menschen die Luft abzuschnüren, dann werden wir … einen Weg finden, um sicherzustellen, dass die Europäerinnen und Europäer ein Geldsystem haben, das für sie arbeitet, nicht gegen sie.
Unser Plan A für ein demokratisches Europa, gestützt durch einen Plan B, der den Mächtigen zeigt, dass sie uns durch ihre Erpressung nicht unterwerfen können, ist offen und zielt darauf, die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer anzusprechen.
Wir schlagen deshalb vor, einen internationalen Gipfel für einen Plan B für Europa einzuberufen, der allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern, Organisationen und Intellektuellen offen steht.“

Der ganze Aufruf: http://www.neues-deutschland.de/artikel/984333.ein-plan-b-fuer-europa.html