Vor wenigen Monaten beschloss die Stadtpolitik, mithilfe eines "Masterplans Digitalisierung" aus Dortmund eine "Smart City" zu machen. Einer dafür gegründeten öffentlich-privaten "Allianz Smart City Dortmund" schlossen sich bald 120 Unternehmen und Forschungseinrichtungen an. Sie trugen einige Dutzend Projektideen zusammen, die das Leben der Stadtbewohner-innen erleichtern und/oder verschönern sollen, von kleinen App-Spielereien bis zu gigantischen Big-Data-Pools im Verkehrs- und Energiesektor.
Dass es dabei nicht nur um nette Kinkerlitzchen geht,
sondern um die grundlegende strategische Neuausrichtung der kommunalen
Wirtschaftspolitik, zeigt jetzt der nächste Schritt: Der städtische
Eigenbetrieb "Wirtschaftsförderung Dortmund" steht vor einem
Totalumbau.
"Heute agieren
Unternehmen in Netzwerken und sogenannten Ecosystemen," konstatiert
ihr Chef Thomas Westphal in der Ratsvorlage zur Neuorganisation. Dem zu Folge
müsse sich die Wirtschaftsförderung "vom
klassischen reaktiven Dienstleister zum agilen Netzwerker" wandeln.
Was steckt hinter diesem Wortgeklingel? Wie eine Recherche
im Internet ergibt, ist "Ecosystem" nicht nur ein neues
Modewort der Betriebswirtschaft, sondern Codewort für eine ganze
Unternehmensstrategie und ihr folgend auch der Wirtschaftspolitik.
Das Wort "Ecosystem" hat der US-Ökonom James
F.Moore 1993 aus der Biologie entlehnt. Dort bezeichnet es Gemeinschaften von
Organismen, die mit anderen in ihrer Umgebung interagieren. Moore wandte es auf
ökonomische Zusammenarbeit an. Er bezeichnete als Ecosystem
"eine
wirtschaftliche Gemeinschaft aus interagierenden Organisationen und Individuen
- den "Organismen" der Wirtschaft. Die wirtschaftliche Gemeinschaft
erzeugt Güter und Dienstleistungen mit Wert für Kunden, die selbst zum
Ecosystem zählen. Das Ecosystem umfasst auch Zulieferer, vertraglich
assoziierte Haupt- und Nebenproduzenten, Wettbewerber und andere Stakeholder.
Mit der Zeit entwickeln sie ihre Fähigkeiten und Funktionen im Markt gemeinsam
und tendieren dahin, sich den Anforderungen anzupassen, die von einem oder
mehreren Zentral-Unternehmen an sie gestellt werden. Diese Unternehmen, die die
Führung innehaben, mögen mit der Zeit wechseln, aber die Führungsfunktion im
Ecosystem wird von der Gemeinschaft geschätzt, weil sie den Mitgliedern
ermöglicht, gemeinsame Visionen zu verwirklichen, ihre Investitionen
abzustimmen und sich gegenseitig zu stärken." (soweit J.F.Moore)
Entstanden ist diese Konzeption der Vernetzung um ein
führendes Zentralunternehmen herum nicht zufällig im Silicon Valley, wo
die Hochtechnologie der Welt auf dieser
Basis entwickelt und vermarktet wird. Die meisten Quellen sind sich einig, dass
diese Struktur besonders auf Hitech-Konzerne zugeschnitten ist. Diese nutzen
ihre überragende technologische und finanzielle Macht, um nicht mehr nur die
ganze Wertschöpfungskette eines Produkts, sondern jetzt auch alle möglichen
Nebenprodukte und Dienstleistungen um sich herum ihren Renditeanforderungen zu
unterwerfen. So bilden sich riesige Agglomerate um die marktbeherrschenden
Zentralkonzerne über Branchen- und Ländergrenzen hinweg.
Zwei Beispiele aus dem Alltag sollen das verdeutlichen. Wie
allgemein bekannt haben die großen Supermarktketten nicht nur schon viele
eigene Produktionsbetriebe aufgebaut, sondern unabhängige Großschlächtereien,
Molkereien, Viehhändler, Milch- und Weinbauern und zahllose andere Lieferanten
durch Lieferverträge an sich gebunden und können denen allein durch ihre
Marktmacht Preise, Termine und Konditionen diktieren. Aber damit nicht genug, beteiligen
sich einige Discounter inzwischen über weltweit tätige Agrarkonzerne am
Landgrabbing in Afrika, am Abholzen der Regenwälder für Rinderfarmen, Palmölplantagen
usw.
Das andere Beispiel: Amazon verkauft nicht nur Bücher,
sondern bindet über Lieferverträge sowohl Verlage als auch Auslieferdienste an
sich. Mit dem Vertrieb von e-Books, DVDs, Filmen und anderen digitalen Medien
hat der Konzern die eigene Produktpalette erweitert, aber auch unzählige große
und kleine IT-Spezialisten, Medien- und Hardware-Hersteller an sich gebunden.
Und neuerdings mischt der Börsenriese sogar mit „Amazon Fresh“ den
Lebensmittelhandel auf.
Wenn unsere Stadtspitze diesen Strukturwandel jetzt für
Dortmund vorantreibt und den eigenen Betrieb darauf umstellt, ist klar, wohin
der Hase laufen soll: Mithilfe der Wirtschaftsförderung wird ein Teil der
Dortmunder Unternehmen den Erfordernissen der Weltmarktbeherrschung angepasst,
der große Rest kann sehen wo er bleibt.
Damit wird noch offensichtlicher, weshalb ausgerechnet der
US-Konzern CISCO die treibende Kraft hinter "Smart City Dortmund"
wurde. Es geht aber nicht nur um CISCO. Von den mehr als 11.000 Mitgliedsfirmen
der IHK zu Dortmund sind noch nicht mal 80 (weniger als 1 Prozent) der
"Allianz Smart City Dortmund" beigetreten (Stand Herbst 2017). Unter
den 120 Allianz-Mitgliedern haben 46 ihren Firmensitz nicht in Dortmund,
sondern benutzen nur die Dortmunder Strukturen, um ihre Marktmacht auszudehnen.
Von diesen 46 „Ortsfremden“ spielen mindestens 20 in der Weltliga der
Hitech-Branchen und haben großenteils selbst um sich herum schon ihre
"Ecosysteme" aufgebaut.
Natürlich können und wollen wir dem Dortmunder Mittelstand
nicht verbieten, sich solchen Ecosystemen anzuschließen. Natürlich spricht auch
nichts dagegen, den städtischen Eigenbetrieb WF-DO so zu modernisieren, dass er
aktiver auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt einwirken kann und seine
Mitarbeiter-innen mehr "Autonomie und Eigenverantwortung" erhalten,
wie die Vorlage es ihnen verspricht.
Es dürfte aber den wenigsten von ihnen auf- und einfallen,
dass sie sich damit auf Gedeih und Verderb an Kapitalmächte binden, die sich
gegenseitig die Beherrschung der Weltmärkte streitig machen – und dazu neuerdings
eben auch diese Hilfstruppen in die Schlacht werfen, die sich ihnen freiwillig
im Rahmen solcher Ecosysteme unterordnen.
Schon im Zusammenhang mit „Industrie 4.0“ und dem
„Masterplan Digitales Dortmund“ wurde uns die Vernetzung von
Wirtschaftsabläufen über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg als revolutionärer
Fortschritt für Dortmunds Wirtschaft und Stadtgesellschaft gepriesen. – Jetzt
erkennen wir: Was so freundlich als harmloses „Netzwerk“ daherkommt, kann zum Baustein
einer weltumspannenden Strategie im Wettkampf der Wirtschaftsimperien werden. Eine
immer kleinere Zahl von Weltkonzernen wird so noch mächtiger. Damit nehmen alle
Gefahren weiter zu, die aus ihrer Macht über die Erde und die Menschen entstanden
sind.
Stellt die digitale Vernetzung von Wertschöpfungsketten
(„Industrie 4.0“) eine Weiterentwicklung der technisch-organisatorischen
Produktions- und Verteilungsstrukturen dar – und somit zweifellos einen
Fortschritt der gesellschaftlichen Produktivkräfte – so geht es jetzt bei der Herstellung
von „Ecosystemen“ um eine neue Formierung der Markt- und Machtbeziehungen
zwischen den Kapitalen, um eine neue Qualität der Zusammenballung von
Wirtschaftsmacht in globalen Oligopolen.
Kommunale Wirtschaftsförderung, die als abhängige Unterabteilung
staatlicher Wirtschaftspolitik ohnehin den Erfordernissen der Kapitalverwertung
folgt – jetzt macht sie sich hier sogar zum Treiber („agiler Netzwerker“) der
Unterordnung lokaler Klein- und Mittelunternehmen unter die Oligopole. Linke
und Piraten werden diese Entwicklung nicht stoppen – aber sie durch
Ratsbeschluss zu unterstützen kann nicht unsere Sache sein. Wir sollten uns da raushalten.